Evidenz um jeden Preis?
„Was bringt eine Untersuchungsmethode wirklich? Welche Vor- und Nachteile hat eine bestimmte Behandlungsform? Sie suchen nach Antworten auf solche Fragen und finden keine? Dann schlagen Sie beim ThemenCheck Medizin Ihr Thema vor, das wissenschaftlich untersucht werden sollte, um Ihre Fragen zu beantworten.“ Mit diesem Text wendet sich das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG, auf seiner Internetseite „ThemenCheck-Medizin“ an den gemeinen User. Kommt jener der Einladung nach, wird sein Vorschlag womöglich überprüft und mündet in wissenschaftliche Bewertungen der medizinischen und zahnmedizinischen Verfahren – sogenannte HTA-Berichte (engl. Health Technology Assessment).
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Den Auftrag für den ThemenCheck Medizin erhielt das IQWiG vom Gesetzgeber, Grundlage ist das GKV-Versorgungsstärkungs- gesetz, das laut §139b (5) SGB V vorsieht, dass neuerdings „Versicherte und interessierte Einzelpersonen beim IQWiG Bewertungen zu medizinischen Verfahren und Technologien vorschlagen können. (...) Das Institut soll die für die Versorgung von Patienten besonders bedeutsamen Vorschläge auswählen und bearbeiten“.Und das macht das IQWiG jetzt auch.
Bürger können Themen vorschlagen
Unter den ersten eingesandten Vorschlägen sind gleich sieben, die zahnmedizinische Aspekte im weitesten und engeren Sinne betreffen (siehe Kasten), und aus denen das IQWiG jetzt in einem zweistufigen Verfahren Themen auswählen muss.
In der ersten Stufe trifft ein Auswahlbeirat, in dem die Bürger- und Patientensicht wie auch die wissenschaftliche Perspektive vertreten sind, zunächst eine engere Auswahl von bis zu 15 geeigneten Themen. Geeignet heißt hier, dass sich daraus eine wissenschaftliche Fragestellung formulieren lässt. Ausgenommen sind Themen, die ausschließlich die Bewertung von Arzneimitteln betreffen. In der zweiten Stufe bestimmt dann die IQWiG-Leitung aus dieser Vorauswahl mit einem Fachbeirat jährlich bis zu fünf Themen, zu denen dann unterstützt von externen Sachverständigen konkrete
HTA-Berichte entstehen. Anfang 2017 soll feststehen, zu welchen Fragestellungen wirklich HTA-Berichte erarbeitet werden, die der anerkannten Methodik des IQWiG folgen.
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Hier liegt die Krux
Und hier liegt die Krux. Denn im Rahmen der Berichte wird die gesamte verfügbare externe Evidenz zur jeweiligen Fragestellung analysiert, kritisch beurteilt und bewertet. Abschließend wird ein zusammenfassender Bericht erstellt und es werden gegebenenfalls Handlungsempfehlungen für die Gesundheitsversorgung formuliert.
HTA-Berichte informieren dann behandelnde Ärzte, Gesundheitsbehörden, Krankenkassen, Patienten und die Politik über die experimentelle Wirksamkeit (efficacy), die Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen (effectiveness), die Sicherheit (safety) und den gesundheitsökonomischen Stellenwert (cost-effectiveness) sowie den sozialen, ethischen und legalen Rahmen der jeweiligen Fragestellung. Die grundsätzliche Methodik der wissenschaftlichen Bewertungen im IQWiG basiert damit auf den Standards der evidenzbasierten Medizin. Wozu der ganze Aufwand? In heutigen Zeiten steigender Gesundheitskosten und beschränkter Budgets werden HTA-Berichte zu Rate gezogen, um Entscheidern Handlungsempfehlungen für die Gestaltung der Gesundheitsversorgung zu gegeben. Anders gesagt: Das Urteil der HTA-Berichte hat auch Einfluss auf den Inhalt des GKV-Leistungskatalogs.
Die Zahnmedizin steckt in der Evidenzfalle
Eben dieses Vorschlagsverfahren könnte nun der Zahnmedizin schaden. Denn die methodischen Standards, die das IQWiG anlegt, erfordern randomisierte kontrollierte Doppelblindstudien, also experimentelle klinische Studien, bei der Patienten nach dem Zufallsprinzip einer Therapiegruppe beziehungsweise Kontrollgruppe zugeordnet werden, wie es im Bereich der Medikamentenwirkstoffforschung üblich ist.
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In der Zahnmedizin ist dieses Vorgehen aber schwierig, weil es sich nicht verblinden lässt, ob beispielsweise Amalgam oder Komposit einsetzt wird – der Behandler sieht immer, welche Füllstoffe er verwendet. Das interessiert aber das IQWiG wenig. Weshalb Fragestellungen, die nicht mit den Standards der evidenzbasierten Medizin nachgeprüft werden können, sich aber gleichwohl in der zahnmedizinischen Praxis als geeignet erwiesen haben, mit unter irritierende Ergebnisse erzielen werden. Ein aktuelles Beispiel: Das IQWiG untersucht derzeit, ob Fluoridlacke, die lokal auf oberflächliche, erst beginnende Schäden am Zahnschmelz aufgetragen werden, den betroffenen Kindern Vorteile bieten. Vorläufiges Ergebnis dieser Nutzenbewertung: „Nutzen oder Schaden (bleiben) unklar, da es bisher keine geeigneten Studien gibt.“ Bis zum 18. November können interessierte Personen oder Institutionen zu diesem Vorbericht noch Stellungnahmen abgeben.
Abzuwarten bleibt, ob und welches Thema aus dem zahnmedizinischen Kontext in die finale Auswahl kommt und welche konkrete wissenschaftliche Fragestellung daraus abgeleitet werden kann.