„Unverhältnismäßig, viel zu weitgehend und maßlos!“
„Das ist ein massiver Eingriff in die Rechte der Selbstverwaltung, der die tragenden Prinzipien der Selbstverwaltung aushöhlt und zerstört!“
Zu diesem vernichtenden Urteil kamen die Vertreter der Verbände auf einer Anhörung Mitte Oktober im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Betroffen sind alle: Neben der KBV und der KZBV auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der GKV-Spitzenverband und der MDS (zm 21/2016, 22 ff).
„Mit diesem Entwurf wird die gesamte Selbstverwaltung aufgrund singulärer Ereignisse unter einen völlig ungerechtfertigten Generalverdacht gestellt und ohne Not ein vergiftetes Klima des Misstrauens und der Unsicherheit geschaffen“, veranschaulichte der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer die Konsequenzen. „Mit der Umstrukturierung der Rechstaufsicht zur Fachaufsicht läuft der Gesetzgeber Gefahr, die Selbstverwaltungsprozesse vor allem dort zu unterbinden, wo sie unbestreitbar funktionieren und für die Patientenversorgung Positives bewirken.“
Alle sind kontra
Ein entschiedenes Kontra kommt auch von renommierten Rechtswissenschaftlern.
So bewertet Prof. Dr. Peter Axer von der Universität Heidelberg die geplanten Regelungen als „viel zu weitgehend, unverhältnismäßig und maßlos“. Der Lehrstuhlinhaber für Sozialrecht in Verbindung mit Öffentlichem Recht beleuchtet dabei die Begründungszusammenhänge, die das BMG in seinem Gesetzesentwurf zu einem grundlegenden Urteil des Bundessozialgerichts (BSG vom 6. Mai 2009, Az.: B 6 A 1/08 Randnummer 49) hergestellt hatte.
In diesem Urteil weist das Gericht darauf hin, dass das SGB V dem BMG zusätzlich zur (Rechts-)Aufsicht mit dem Richtlinienerlass durch den G-BA noch weitere Mitwirkungsbefugnisse einräumt – über die bloße Rechtmäßigkeitsprüfung hinaus. Und daraus habe das BMG offensichtlich die Rechtfertigung für brisante Regelungen zur Aushöhlung der Selbstverwaltung konstruiert, folgert Axer.
Wie der Gesundheitspolitische Informationsdienst in seiner Oktober-Ausgabe zusammenfasst, stellt sich Axer generell die Frage, ob nicht auch die Aufsicht durch das BMG klar verfassungsrechtlich geregelt sein müsste. Eine Normsetzung mit Inhalts-bestimmungen durch die Aufsicht – also so, wie sie der Gesetzesentwurf derzeit vorsieht – ist seiner Auffassung verfassungsrechtlich nicht möglich.
Auch in der weiteren Verbändelandschaft sind Reaktionen auf die ersten Eckpunkte durchweg negativ – abgelehnt wird dabei insbesondere die geplante Ausweitung der Rechte für die Aufsicht. So erklärte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstand, es dürften keine einheitlichen Regelungen für sehr unterschiedliche Organe getroffen werden. Angesichts der Skandale auf Ärzteseite und der Unterschiede zwischen der Selbstverwaltung der Leistungserbringer und der der gesetzlichen Krankenkassen fehle es an einer schlüssigen Begründung für das Gesetz.
Kritik kam auch von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem vdek: Anstatt die Selbstverwaltung zu stärken, werde massiv in die Entscheidungsautonomie der Spitzenorganisationen eingegriffen. Die Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörde jederzeit und grundlos einen Vertreter für die Wahrnehmung der Aufgaben bei den Spitzenorganisationen einsetzen könne, „verletzt den Grundsatz der maßvollen Ausübung der Aufsicht und ist nicht akzeptabel“. Die Stärkung der internen Kontrollrechte der Selbstverwaltungsmitglieder ist aus Sicht des BDA dagegen zu begrüßen.
Der Bundesverband der Freien Berufe wies Gröhe in einem Brief darauf hin, dass sich ein hochklassiges Gesundheitswesen nicht allein durch den Staat verwirklichen lasse, sondern durch die fachliche Kompetenz der Berufsträger in der Selbstverwaltung.
Schelte kam sogar von Ministerebene: Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) sagte auf dem Bayerischen Zahnärztetag in München, die Rechtsaufsicht dürfe nicht zur Fachaufsicht werden. Internen Berichten zufolge rügten selbst Bundesjustizministerium und Bundeswirtschaftsministerium den Entwurf.
In einem Brief appellierte der KZBV-Vorstand nun an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und an weitere Gesundheitspolitiker, die angedachten Regelungen noch einmal auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit zu überprüfen, um den Prinzipien einer maßvollen Rechtsaufsicht zu entsprechen.
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