Der besondere Fall mit CME

Zufallsbefund: Das ossifizierende Fibrom

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Peer W. Kämmerer
Eine 34-jährige Patientin kommt vor einer geplanten Implantation in die MKG-Sprechstunde zur Abklärung einer raumfordernden Veränderung. Vor etwa zehn Jahren ist ihr an dieser Stelle der Zahn 48 entfernt worden, ohne dass zu diesem Zeitpunkt eine postoperative radiologische Kontrollaufnahme angefertigt wurde.

Die Vorstellung der Patientin in der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastischen Gesichtschirurgie der Universitäts-medizin Rostock erfolgte primär als Überweisung zur Augmentation der Kieferhöhle regio 16 vor geplanter Implantation durch einen niedergelassenen Oralchirurgen. Nebenbefundlich im alio loco angefertigten Orthopantomogramm war eine scharf abgrenzbare, unizystisch imponierende Aufhellung ohne direkten Bezug zum benachbarten Zahn 47 aufgefallen. In Projektion auf die Veränderung waren zwei ovale glatt begrenzte, homogene Verschattungen lokalisiert (Abbildung 1).

Die beschwerdefreie Patientin berichtet von einer mehr als zehn Jahre zurückliegenden operativen Entfernung des retinierten Zahnes 48, die sich nach ihren Angaben schwierig gestaltet hatte. Alte Röntgenaufnahmen waren leider nicht mehr erhältlich. Der extra- und intraorale klinische Befund war unauffällig. Es fanden sich insbesondere keine Knochenauftreibungen, Gefühlsstörungen im Trigeminusgebiet oder dentale Pathologien. Das DVT der Region zeigt zusätzlich die Auflösung der lingualen Knochenlamelle regio 48. Ein Bezug zum Kanal des N. alveolaris inferior ließ sich nicht ausschließen (Abbildung 2).

In Zusammenschau der Befunde bestand der Verdacht auf einen benignen odontogenen Tumor des Kieferknochens, wobei anamnestisch-differenzialdiagnostisch auch die Möglichkeit eines verbliebenen Wurzelrestes mit einer dentogenen Zyste in regio 48 in Erwägung gezogen werden musste. Es wurde mit der Patientin die Exkochleation des Befundes zusammen mit dem Sinuslift regio 16 in Intubationsnarkose besprochen, wobei die Patientin insbesondere über die Gefahr des Nervenschadens, die Möglichkeiten einer Folgeoperation sowie einer Kieferfraktur aufgeklärt wurde.

Intraoperativ wurde die Retromolarregion des rechten Unterkiefers über eine vom aufsteigenden Unterkieferast kommende, nach paramarginal auslaufende Schnittführung dargestellt (Abbildung 3).

Um bei bestehender Arrosion der lingualen Knochenlamelle die Knochenstruktur nicht weiter zu schwächen, wurde krestal mittels Piezochirurgie ein Knochenfenster angelegt (Abbildung 4). Es stellten sich eine zystische Läsion mit dicker Epithelauskleidung (Abbildung 5) und zwei wurzelrestartigen Gebilden (Abbildung 6) dar, die unter Schonung des N. alveolaris inferior vollständig entfernt werden konnten. Anschließend erfolgte in regio 16 – ebenfalls mit Piezochirurgie – die Anlage eines vestibulären, kranial gestielten Fensters und der komplikationslose Sinuslift mit xenogenem Knochenersatzmaterial (Abbildung 7).

In der feingeweblichen Aufbereitung der eingesandten Gewebe wurde eine spindelige fibroblastenartige Proliferation mit zahlreichen eingestreuten, rundlichen, teils hantelförmigen und teilweise verkalkenden, gut abgrenzbaren Zementpartikeln sowie einzelnen Anteilen von Lamellenknochen mit Ausbildung von Retraktionsartefakten und osteoklastischen Riesenzellen beschrieben. Ein Anhalt für Malignität bestand nicht. Es wurde die Diagnose einer fibroossären Läsion vereinbar mit einem zemento-ossifizierenden Fibrom gestellt (Abbildung 8).

Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos und die Patientin gab bis auf eine leichte Hyperästhesie im Bereich des Nervus alveolaris inferior rechts, die sich innerhalb von zwei Wochen jedoch zurückbildete, keine Beschwerden an. Eine erneute Röntgenkontrollaufnahme wurde aktuell zwei Monate postoperativ bisher nicht durchgeführt; die Implantation wird über den überweisenden Oralchirurgen erfolgen.

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Diskussion

Die Begriffe zemento-ossifizierendes Fibrom und ossifizierendes Fibrom werden in der Literatur synonym verwendet. Es wird gemäß der WHO von 2005 zusammen mit der ossifizierenden Dysplasie, der fibrösen Dysplasie, dem zentralen Riesenzellgranulom, dem Cherubismus, der aneurysmatischen Knochenzyste und der einfachen Knochenzyste der Gruppe der Tumore und anderer Läsionen des Knochens zugerechnet [Barnes et al., 2005]. Eine Neuauflage dieser Klassifikation ist für 2017 geplant. Unter histologischen, genetischen und molekular-pathogenetischen Gesichtspunkten werden vier Hauptgruppen der benignen fibro-ossären Läsionen des kraniofazialen Knochens definiert. Dazu gehören das ossifizierende Fibrom, die ossifizierende Dysplasie, die fibröse Dysplasie und ossifizierende Fibrome als Manifestation genetischer Systemerkrankungen [El-Mofty, 2014]. Unabhängig von der Zuordnung ist das ossifizierende Fibrom als echte, umschriebene, gutartige Neoplasie aus zellreichem, fibrösem Stroma und knochen- oder zementähnlichen mineralisierten Anteilen definiert.

Es ist ein seltenes Erkrankungsbild und kommt, wie auch im vorliegenden Fall, vorwiegend bei Frauen der zweiten bis vierten Lebensdekade vor. Prädilektionsstelle ist der zahntragende Unterkiefer. Diagnostiziert wird es aufgrund des langsamen Wachstums meist als radiologischer Zufallsbefund, wie auch in dem berichteten Fall, bevor Symptome wie knöcherne Deformationen oder Schmerzen auftreten. Bei ausgeprägten Läsionen kann es sowohl zu ästhetischen als auch funktionellen Beeinträchtigungen kommen [Sagheb et al., 2012].

Unter klinisch-pathologischen Gesichtspunkten werden als Untergruppen das trabekuläre juvenile ossifizierende Fibrom und das psammomatoide juvenile ossifizierende Fibrom abgegrenzt. Beide treten bei deutlich jüngeren Patienten auf und zeigen eine hohe Wachstumstendenz mit Rezidivneigung. Das trabekuläre juvenile ossifizierende Fibrom ist vor allem im Oberkiefer und das psammomatoide juvenile ossifizierende Fibrom in der knöchernen Begrenzung der paranasalen Sinus lokalisiert. Eine Unterscheidung der einzelnen Formen der fibroossären Läsionen des Gesichtsschädels ist histopathologisch nicht mit ausreichender Sicherheit möglich. Als gemeinsames Merkmal zeigt sich ein fibröses Stroma mit verschiedenen Anteilen an knochen- oder zementartigem Gewebe oder kalzifizierten Strukturen. Die Diagnosestellung nach feingeweblicher Untersuchung ist somit nur in Zusammenschau mit anamnestischen, klinischen und radiologischen Befunden möglich [El-Mofty, 2014].

Aufgrund der durch das heterogene biologische Verhalten bedingte unterschiedlichen Anforderungen an die Nachsorge stellt diese Erkrankungsgruppe also ein diagnostisches und therapeutisches Problem dar [Sagheb et al., 2012].

In der Bildgebung stellt sich das ossifizierende Fibrom als klar abgrenzbare, meist unilokuläre in Abhängigkeit vom Mineralisationsgrad teils radioluzente, teils radioopake Läsion des Gesichtsschädels dar. Die digitale Volumentomografie hat einen hohen Stellenwert sowohl in der Differenzialdiagnose als auch in der Nachsorge fibroossärer Läsionen. Vorteile sind – bei Verwendung eines kleinen „Field of View“ – die geringere Strahlenbelastung bei guter räumlicher Auflösung zur Darstellung der spezifischen Charakteristika und die bessere Verfügbarkeit in der zahnärztlichen und kieferchirurgischen Praxis [MacDonald, 2015].

Aufgrund der, wenn auch im allgemeinen langsamen, aber doch vorhandenen Wachstumstendenz, ist die Therapie der Wahl die vollständige schonende chirurgische Entfernung [Barnes et al., 2005]. Eine maligne Transformation wurde bisher nicht beobachtet und Rezidive treten mit Ausnahme bei den juvenilen Formen selten auf [El-Mofty, 2014]. Beim ossifizierenden Fibrom scheint eine besondere Nachsorge somit nicht erforderlich.

Dr. med. Susanne Liese, Fachärztin für MKG-ChirurgieWissenschaftliche Mitarbeiterin der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Uni-Medizin Rostock E-mail:PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, MA, Leiter der zahnärztlich-chirurgischen Poliklinik sowieOberarzt der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universitätsmedizin RostockSchillingallee 35, 18057 Rostock

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