Versorgung als ethischer Auftrag
Im Jahr 2060 wird der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung fast 40 Prozent betragen. Parallel zum zunehmenden Anteil der älteren Bevölkerung wird sowohl die Anzahl der Jugendlichen als auch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich zurückgehen. An diesen offiziellen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes lässt sich unschwer erkennen, dass die Alterszahnheilkunde immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) haben sich schon früh auf diese gesellschafts- und versorgungspolitische Entwicklung eingestellt. Als Resultat sind die Überlegungen bereits 2010 in ein wegweisendes Konzept zur vertragszahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Behinderung eingeflossen. Unter dem Titel „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ wurde bereits damals ein aus mehreren Bausteinen bestehendes Gesamtkonzept entwickelt, dessen Umsetzung mit Erfolg voranschreitet. Die Agenda unterstrich, dass die zahnärztlichen Körperschaften in der Betreuung der Mundgesundheit von älteren Patienten langfristig eine herausragende Rolle innerhalb der zahnmedizinischen Versorgung sehen.
Der Gesetzgeber seinerseits hat mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz 2012 einen ersten Schritt zur Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Behinderung gemacht: Zahnärzte erhalten eine zusätzliche Vergütung für die aufsuchende Versorgung von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Behinderungen, die wegen ihrer Pflegebedürftigkeit die Praxis nicht mehr aufsuchen können.
Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung wurde diese Vergütung auf die aufsuchende Betreuung von immobilen Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ausgeweitet und vorgegeben, dass stationäre Pflegeeinrichtungen mit Zahnärzten Kooperationsverträge abschließen können. Seit dem Inkrafttreten der Regelung im April 2014 nimmt die Zahl der Kooperationsverträge stetig zu. Das weist nicht zuletzt das 2015er-Jahrbuch der KZBV, das gerade erschienen ist, belegbar aus und ist als eine weitere Errungenschaft der Zahnärzteschaft zum Wohle der Mundgesundheit älterer Patienten zu sehen. Konkret lag die Zahl der abgeschlossenen Verträge zwischen Zahnärzten und Pflegeeinrichtungen am Jahresende 2014 bei 1.708, zum 30.09.2015 waren es bereits 2.432 Verträge.
Zweifellos sind diese Zahlen ein großer Erfolg, bedeuten sie doch eine klare Verbesserung für die zahnmedizinische Prävention und Therapie von Pflegebedürftigen und von Menschen mit Handicap. Für die nächsten Jahre ist es von enormer Bedeutung, aktiv an einer weiteren Verbreitung der Verträge zu arbeiten, mit dem Ziel, dass in naher Zukunft jede stationäre Pflegeeinrichtung einen eigenen Kooperationszahnarzt hat.
Ein weiterer zentraler Baustein des Versorgungskonzepts ist die Einführung des zahnärztlichen Präventionsmanagements für Pflegebedürftige und für Menschen mit Behinderung mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz im Jahr 2015.
Alle Umsetzungsschritte wurden soeben in einem Infoflyer zusammengefasst, den die KZBV in Kooperation mit der BZÄK, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste entwickelt hat. Dieser soll Pflegebedürftige, Angehörige und die Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste detailliert und leicht verständlich über die aufsuchende zahnmedizinische Betreuung informieren.
Die zahnmedizinische Versorgung von Pflegebedürftigen wird 2016 ein Schwerpunkt-Thema der KZBV bleiben. Daher werden wir auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress „Medizin und Gesundheit“ in Berlin mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste eine Veranstaltung zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen gestalten. Letztlich wird auch damit unterstrichen: Die Versorgung von Patienten aller Altersklassen ist nicht nur unser gesundheitspolitischer Auftrag als Player der Selbstverwaltung. Sie ist vor allem ein ethisches zahnärztliches Anliegen, das in den Praxen hierzulande täglich umgesetzt wird.
Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV