Was nervt in der Praxis am meisten?
Was würden Sie auf diese Frage antworten? Vermutlich was alle sagen: Bürokratie! Unter zu viel Bürokratie leidet wohl ganz Deutschland, aber wir Zahnärzte klagen lauter. Sind wir besonders betroffen oder nur besonders empfindlich? Sollten wir uns vielleicht nur weniger anstellen?
Sicher kann jeder Normal-Deutsche von besonderen Bürokratie-Erlebnissen berichten. Das sind aber zum Glück meistens Ausnahmen und nicht die Regel. Größere Unternehmen haben ihre Wege gefunden, Bürokratie in spezielle Abteilungen auszulagern. Der normale Beschäftigte bekommt davon wenig mit.
Ungefedert und sofort schlägt Bürokratie dann aber in den kleinen Strukturen durch: Handwerksbetriebe, Arzt- und Zahnarztpraxen. Hier besteht oft die missliche Kombination aus Prozessen, denen die Gesellschaft skeptisch gegenübersteht – Gefahrstoffe, Hygiene, Röntgen – und wenigen Mitarbeitern, die sich um einen Wust von Sicherheitsauflagen kümmern sollen.
Es tut weh, wenn von den durchschnittlich 4,5 Mitarbeitern einer Zahnarztpraxis rechnerisch eine 3/4-Stelle ausschließlich mit Bürokratie beschäftigt ist und zusätzlich noch 25 Prozent der Arbeitszeit von Chefin oder Chef dafür beansprucht wird. Als Zwischenfazit lässt sich also feststellen: Ja, wir tragen eine besondere Bürokratielast, und nein, wir sind nicht besonders empfindlich.
Wie würde der Arzt so ein Problem angehen? Diagnose, Ätiologie, Therapie. So ähnlich macht es der Nationale Normenkontrollrat (NKR) bei der Krankheit „Bürokratie“. Nach niederländischem Vorbild wurde der NKR 2006 zum Bürokratieabbau gegründet. Er besteht aus 10 ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Bundespräsidenten berufen werden, arbeitet unabhängig und berichtet der Bundesregierung. Unter der Überschrift „Mehr Zeit für Behandlung“ startete 2013 ein Projekt, um die Bürokratielast in Arzt-, Psychotherapie- und Zahnarztpraxen zu „behandeln“. Gemessen wurde nach einem standardisierten Protokoll vom statistischen Bundesamt.
Nun kennen wir die konkrete Bürokratielast der zahnärztlichen Praxis und zusätzlich die aus Sicht der Kollegenschaft aufwendigsten Dokumentationspflichten. Daraus wurden sinnvolle Handlungen abgeleitet, unter anderem:
1. Digitales Antrags- und Genehmigungsverfahren für GKV-Zahnersatz.
2. Keine Routine-Aufzeichungen bei der hygienischen Instrumentenaufbereitung, sondern nur problematische Abweichungen in einer Tagesabschluss-Dokumentation.
3. Einfaches An- und Ummeldeverfahren für Röntgengeräte.
4. Deutlich kürzere Präsenzkurse zur Röntgenaktualisierung (bislang 8 Stunden).
Ein Jahr nach dem Abschlussbericht bat der NKR jetzt zum Recall: Wo stehen wir heute, was wurde erreicht? Wenn man hier „nichts“ schriebe, wäre das einerseits richtig, klänge aber negativer als nötig. Immerhin ist die Digitalisierung für den aus Sicht der Kollegenschaft großen Bürokratiebrocken „Zahnersatzverfahren“ in konkreter Vorbereitung. Die anderen Punkte stehen unter Länderhoheit. Damit sind die Bretter dicker, aber das Bohren hat auch hier begonnen.
Uns wurde von Anfang an klargemacht, dass Bürokratieabbau ein kontinuierlicher Prozess ist und es nur in regelmäßigen Gesprächen möglich ist, konkrete Entlastungen zu erzielen. Gerade bei der Umsetzung von Vorgaben auf Bundesebene in den Ländern und Kommunen brauchen wir zudem die Bereitschaft, bürokratiearme „Best-Practice-Lösungen“ zu entwickeln und umzusetzen. Dazu brauchen wir den Dialog und Willen mit allen Beteiligten.
Und noch etwas ist jetzt möglich: Wir können unsere Bürokratielast zum ersten Mal genau beziffern – siehe oben. Kein „Meinen“, kein „Fühlen“, eine konkrete Zahl. Und diese Zahl darf sich nur noch in eine Richtung bewegen: nach unten!
Die Ärzte schreiben den NKR-Bericht seit 2016 mit einem eigenen Index fort, dem Bürokratie-Index (BIX). Wir wollen uns anschließen. Aber wenn die Ärzte den BIX auch schon etwas nach unten gebracht haben, bleibt eins doch Illusion – die Praxis, in der nichts mehr nervt.