Zahnarzt verschenkt Praxis
Wangen im Allgäu im Sommer 2017: Dr. Siegfried Ziegler steht, 36 Jahre nach der eigenen Praxisübernahme, vor dem Schritt in den Ruhestand – und vor der Entscheidung für oder gegen eine unübliche Nachfolgeregelung. Dann geht alles ganz schnell. Am Ende passt Zieglers berufliches Lebenswerk in zwei Transporter. Als die zwei Behandlungseinheiten samt Hygienestrecke zusammen mit dem zerlegten Wartezimmer und dem Empfangstresen vom Hof rollen, um die Reise ins westukrainische Lemberg anzutreten, ist Ziegler erleichtert: „Ich bin froh diesen Schritt gegangen zu sein. Es macht einfach Sinn, brauchbare und funktionsfähige Geräte und Instrumente abzugeben an die, die gar nichts oder nur wenig haben“, sagt er. Und genau diese Gruppe habe die Hilfsorganisation H.O.P.E im Blick, ist sich Ziegler sicher.
Dabei hatte der Generalist, der in seiner Zeit als Praxischef fünfzehn ZFAs ausbildete und in Spitzenzeiten fünf Mitarbeiter beschäftigte, zunächst an eine „normale“ Praxisabgabe gedacht, wie er sie 1981 als Übernehmer selbst erlebt hatte: Die Abgeltung von materiellem und ideellem Wert der Praxis polstern den Start des Abgebenden in den Ruhestand. „Bei meiner Übernahme betrug die Ablösesumme damals 140.000 DM und bedeutete für den Praxisabgeber eine zusätzliche Altersversorgung“, erinnert sich Ziegler, der gern an die Anfangszeit in eigener Praxis zurückdenkt. Die Kollegenzahl vor Ort war nicht zu groß, Spezialisierungen seltener und betriebswirtschaftliche Aspekte standen noch nicht so im Vordergrund wie heute, sagt er. „Da Wangen im Allgäu ein noch sehr ländlich geprägtes Umfeld hat, kam es oft noch zu Naturaliengeschenken. Da wurde zum Beispiel während einer Behandlung ganz ungeniert die Tür geöffnet und mir frisch geangelter Fisch in die Hand gedrückt“, lautet die Anekdote aus der Anfangszeit.
Ähnlich sind die Gegebenheiten aktuell immer noch in der Ukraine, glaubt man Wolfgang Ponto, der seit zwei Jahren die Kinderhilfsorganisation H.O.P.E. leitet und ausschließlich Hilfen für das osteuropäische Land organisiert. „Verglichen mit Deutschland ist die Ukraine ein armes Land und es gibt keine Krankenversicherung, wie wir sie kennen. Die Patienten müssen alles selbst bezahlen. Da wird ein Zahnarzt auch schon einmal mit einem Sack Kartoffeln entlohnt.“ Entsprechend führe der Beruf in der Ukraine zwar zu einem finanziellen Auskommen, aber sicher nicht dazu, dass es jemand zu großem Wohlstand bringe, sagt Ponto, der aktuell drei Bewerber auf Zieglers Inventar hat. „Die sind grundsätzlich alle drei gut geeignet. Wir prüfen aktuell noch, wer am bedürftigsten ist, bevor wir die eingelagerte Praxisausstattung übergeben.“ Im Gegenzug erkläre sich der Empfänger dann bereit, fünf Tage pro Monat mittellose Kinder kostenlos zu behandeln.
Dabei war der Entschluss, seine Praxis komplett zu verschenken, zunächst gar nicht Zieglers Ziel. Eineinhalb Jahre hatte er erfolglos nach einem Nachfolger gesucht, als sein Sohn im Internet auf die ortsansässige Hilfsorganisation stieß. Und als dieser las, dass die Oberschwabenklinik bereits 300 Krankenhausbetten an H.O.P.E gespendet hatte, bot er kurzerhand die gesamte Praxiseinrichtung seiner Eltern an.
„Das war schon ein überraschendes Angebot“, erinnert sich Ponto, dessen Engagement mit einer Packung Mullbinden für ein Krankenhaus begann. Mittlerweile hat er zusammen mit ehrenamtlichen Helfern in Wangen und Lemberg nach eigenen Angaben rund 120 Tonnen Hilfsgüter – von Verbandsmaterial bis Krankenhausbetten – in die Ukraine gebracht. Mehr als 30-mal war er in dieser Zeit vor Ort, immer in seiner Freizeit und auf eigene Kosten, wie er betont. „Das erste Mal war ich eigentlich wegen eines Fußballspiels in der Ukraine. Bayern München gegen Donezk“, erzählte Ponto jüngst der Schwäbischen Zeitung. Bei dieser Reise lernte er dann Familien mit schwerst verbrannten Kindern kennen, die alle Verbrauchsmaterialien und jede Behandlung aus eigener Tasche zahlen mussten. Besonders problematisch: Da in den ukrainischen Karpaten noch oft mit offenem Feuer gekocht wird und offene Stromleitungen keine Seltenheit sind, kommen starke Verbrennungen bei Kindern häufig vor, erklärt Ponto.
Das durchschnittlich zwölf Jahre alte Inventar einer kompletten Zahnarztpraxis passte zunächst nicht ins „Beuteschema“ der Hilfsorganisation. Doch dann vermittelte ein befreundeter Chirurg aus der Ukraine Ponto den Kontakt zu Zahnärzten aus Lemberg.
„Irgendwie lag die Lösung immer nahe“
Kommendes Jahr möchte Ziegler dann mit seiner Frau Doris, die als gelernte Krankenschwester ebenfalls viele Jahre mit in der Praxis arbeitete, den neuen Standort „seiner“ Praxis einmal besuchen. Schon jetzt ist das Paar mit der außergewöhnlichen Praxisabgabe sehr zufrieden. „Bei meinen Patienten fand die Aktion große Resonanz“, sagt Siegfried Ziegler. Und da das Paar sich schon immer im sozialen, kirchlichen und kulturellen Bereich der Stadt Wangen ehrenamtlich engagiert habe, lag die letztlich gefundene Lösung irgendwie immer nahe.