Wegbereiter der Zahnheilkunde – Teil 4

Carl Wilhelm Ludwig Schmedicke - Gründer der ersten zahnärztlichen Zeitschrift

Dominik Groß
Schweren Schicksalsschlägen zum Trotz gelang Carl Wilhelm Ludwig Schmedicke beruflich eigentlich alles. Der Zahnarzt war seinen Kollegen deutlich voraus – und setzte als Praktiker, Redakteur, Fachautor, Hofzahnarzt und Standespolitiker Maßstäbe.

Carl Wilhelm Ludwig Schmedicke erblickte am 4. Juli 1822 in Kolberg/Pommern das Licht der Welt [Visser, 1937; Hüpper, 2005]. Im darauffolgenden Jahr zog die Familie nach Berlin um, wo Schmedicke zeitlebens wohnhaft blieb. Er besuchte das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium, wo er im Jahr 1840 erfolgreich die Reifeprüfung ablegte.

Zunächst hatte er mit dem Beruf des Apothekers geliebäugelt. Am Ende entschied sich Schmedicke für die Zahnheilkunde. So ging er für drei Jahre bei dem Berliner Hofzahnarzt Gustav Adolph Oenicke in die Lehre. Oenicke erwies sich nicht nur als guter Lehrmeister, sondern wurde überdies zu einem väterlichen Freund. Über Oenicke lernte er auch seine spätere Ehefrau Emilie Wilhelmine kennen – eine Tochter Oenickes.

Neben der praktischen Ausbildung hörte er einzelne Vorlesungen an der Universität, bevor er am 4. Juni 1843 die zahnärztliche Prüfung vor dem Berliner Medizinalkollegium ablegte. Danach ließ er sich in Berlin als praktischer Zahnarzt nieder [Visser, 1937; Hüpper, 2005].

Mit dem Eintrag im „Berliner Adreßbuch“ von 1843 ist verbürgt, dass Schmedicke seine zahnärztliche Praxis zunächst in der Behrenstraße 29, mitten in Berlin, aufnahm – im Haus seiner Eltern (Schmedickes Vater war Ministerialbeamter im Berliner Finanzministerium). Doch schon ein Jahr später hat er dem „Adreßbuch“ von 1844 zufolge seinen Praxisstandort in die Marienstraße 3 verlegt. Seinen Patienten stand er täglich vormittags und nachmittags jeweils drei Stunden in seiner Praxis zur Verfügung. Hinzu kam von acht bis neun Uhr eine separate Sprechstunde für Arme [Hüpper, 2005].

Alle Teile der Serie „Wegbereiter der Zahnheilkunde“

Jacob Callmann Linderer – Zahnerhalter der ersten Stunde

Zu den Wegbereitern der Zahnheilkunde zählt Jacob Callmann Linderer, der sich einen Namen als Fachautor machte und unter anderem den Fiedelbohrer erfand. Linderer lebte in einer Zeit, in der sich der Zahnarztberuf grundlegend wandelte: Er zog als Behandler noch umher, hatte aber auch schon eine erfolgreiche standortgebundene praktische Tätigkeit.

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Carl Sauer – Widersacher der Dentisten

Sauer kämpfte in seinen Funktionen als Standespolitiker und Wissenschaftler im 19. Jahrhundert gegen die nichtapprobierte Konkurrenz. Zudem setzte er sich für bessere zahnärztliche Ausbildungsstandards und eine sukzessive Annäherung an den akademischen Arztberuf ein. Schließlich wurde nach ihm ein Drahtschienenverband benannt, den er entwickelt hat.

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Hans Moral – Miterfinder der Lokalanästhesie

Hans Moral gehört aus heutiger Sicht zu den produktivsten und innovativsten Wissenschaftlern seiner Zeit. Der jüdische Zahnmediziner war erfolgreicher Ordinarius an der Rostocker Zahnklinik, bis ihn, der viele Jahre unter Depressionen litt, die Nazis in den Selbstmord trieben.

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1848 war die Praxis dann in der Französischen Straße 60 zu finden. Am 24. Mai 1855 heiratete Schmedicke im Alter von 33 Jahren die gut acht Jahre jüngere Emilie Wilhelmine. Im Jahr 1857 kam das erste gemeinsame Kind zur Welt: eine Tochter, die den Namen Clara Louise erhielt. Sie verstarb jedoch nach nur neun Monaten. Ihr Tod markiert den Anfang einer erschütternden Reihe privater Schicksalsschläge: 1861 hatte Schmedicke den Tod seines Vaters zu verkraften. Wenig später verstarb auch die 1859 geborene zweite Tochter, Helene Wilhelmine, im Alter von nur drei Jahren. Und auch sein drittes und letztes Kind, sein 1861 geborener Sohn Carl Emil, starb bereits ein Jahr nach seiner Geburt. Es folgte eine schwere Erkrankung seiner Mutter. Kaum war diese genesen, erkrankte Schmedicke selbst an einer schweren Pneumonie, zu der sich eine Pleuritis und schließlich eine Herzerkrankung gesellten, so dass auch er selbst nach einem viermonatigen Krankenlager am 7. Mai 1863 im Alter von nur 40 Jahren den Tod fand [Visser, 1937; Holzhauer, 1962; Hüpper, 2005].

Die Zeit schien reif für ein solches Periodikum

Gemessen an der kurzen Lebensspanne mutet das Werk Schmedickes geradezu unglaublich an [Visser, 1937; Hüpper, 2005; Groß/Schäfer, 2009]. Der größte fachliche Stellenwert kommt hierbei der Gründung von „Der Zahnarzt“ zu – der ersten deutschen zahnärztlichen Zeitschrift, die Schmedicke am 1. Januar 1846 im Alter von knapp 24 Jahren ins Leben rief. 1847 übernahm er zudem die Redaktion des Organs. Die Zeitschriftengründung war ein Wagnis – die deutschen Zahnärzte hatten sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht organisiert, ihre Zahl war gering, ihre Ausbildung heterogen, die mit der Auslieferung des Presseorgans verbundenen logistischen Herausforderungen erheblich. Und doch schien die Zeit reif zu sein für ein solches Periodikum: Zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen in der Zahnheilkunde erfolgten in ebendieser Zeitphase.

Schmedicke hatte Erfolg: Die im Albert Förstner Verlag erschienene Zeitschrift wurde 17 Jahre lang von ihm geleitet und hatte 27 Jahre lang Bestand. Schmedicke besprach in seinem Organ neu erschienene Bücher und brachte etliche eigene Beiträge ein. So trat er allein in den Jahren 1846 bis 1849 als Verfasser einer zweistelligen Zahl von Fachartikeln hervor, die sich unter anderem mit aktuellen Fragen der Zahnkrankheiten, der Prothetik und der Zahnextraktion beschäftigten [Visser, 1937]. Allerdings war es offensichtlich schwierig, eine kritische Zahl an deutschsprachigen Autoren zu finden. Wohl vor diesem Hintergrund begann Schmedicke, vermehrt Orginalarbeiten ausländischer Autoren zu übersetzen und zusammenzufassen – ein Umstand, der dem Organ die Kritik einbrachte, ein (bloßes) „Übersetzungsblatt“ zu sein.

Ebenfalls 1846 veröffentlichte Schmedicke das „Zahnärztliche Rezepttaschenbuch“, das er als „Sammlung erprobter Arzneiformeln“ auf dem Gebiet der Zahnheilkunde bezeichnete. Hierbei handelte es sich um das erste Arzneimittellehrbuch für Zahnärzte. Das Werk enthielt nicht nur eine Rezeptsammlung, sondern auch eine Systematik zahnärztlicher Arzneimittel.

Neben dem Praktiker, Redakteur und Autor ist auch der Standes- und Interessenpolitiker zu würdigen: Schmedicke war Initiator der allerersten deutschen zahnärztlichen Vereinigung – des am 24. Januar 1847 konstituierten „Vereins der Zahnärzte zu Berlin“. Schwerpunkte der Organisation waren die

Förderung der Kollegialität, die Besprechung praxisrelevanter Fälle und standespolitische Aktivitäten. Schmedicke gehörte dem – zeitweilig von seinem späteren Schwiegervater geleiteten – Vereinsvorstand bis zu seinem Tod als (stellvertretender) Sekretär an, und „Der Zahnarzt“ fungierte hierbei als Vereinsorgan [Maretzky/Venter, 1974].

Auch Schmedickes Entschluss, mit Beginn des Sommersemesters 1850 in Anbindung an die Universität in Berlin Lehrveranstaltungen im Fach Zahnheilkunde anzubieten, war standespolitisch motiviert: Er hielt die Ausbildung und Prüfung der Zahnärzte für nicht mehr zeitgemäß, trat (vergeblich) für eine Anhebung der schulischen Voraussetzungen und die Errichtung zahnmedizinischer Lehrstühle ein und wurde so zum ersten Zahnarzt in Deutschland, der derartige Fachveranstaltungen abhielt – darunter einen Repetitionskursus der gesamten Zahnheilkunde und einen praktischen Kursus für zahnärztliche Technik. Auch diese Aufgaben nahm er bis zu seinem Tod wahr [Visser, 1937].

An der 1859 erfolgten Gründung des „Central-Vereins deutscher Zahnärzte“ (CVdZ, seit 1933 DGZMK) hatte Schmedicke ebenfalls wesentlichen Anteil. Den Anstoß zur Gründung der ersten überregionalen zahnärztlichen Organisation in Deutschland gab der Lüneburger Zahnarzt David Fricke. Dieser bat Schmedicke um den Abdruck eines nationalen Aufrufs zur Teilnahme an einer Gründungsversammlung. Schmedicke veröffentlichte besagten Brief in der Februar-Ausgabe von „Der Zahnarzt“ – und bereits in der Juni-Ausgabe konnte er eine Einladung zur Gründungsversammlung in Berlin abdrucken. Schmedicke war es auch, der im August 1859 die Gründungsversammlung leitete. Zum Vorsitzenden wurde hier der renommierte Arzt und Zahnarzt Prof. Dr. med. Moriz Heider aus Wien gewählt, während Schmedicke zum Vereinssekretär bestimmt wurde. Allerdings war das Verhältnis von Heider und Schmedicke ausgesprochen schwierig: Der anspruchsvolle Heider hatte bereits 1849 öffentlich kritisiert, dass „Der Zahnarzt“ kaum Originalarbeiten biete und wissenschaftlichen Kriterien nicht standhalte. Dementsprechend trat Heider in der Folge für die Gründung eines neues Vereinsorgans ein, während Schmedicke wohl auf die Übernahme des „Zahnarztes“ als Vereinszeitschrift gehofft hatte [Maretzky/Venter, 1974].

Dass Schmedicke in Heiders Haltung einen Affront sah, zeigt sich in der Tatsache, dass er noch im selben Monat den „Verein Deutscher Zahnärzte“ (VDZ) initiierte, der nachfolgend in direkte nationale Konkurrenz mit dem CVdZ trat [Holzhauer, 1962; Groß/Schäfer, 2009]. Im Oktober 1859 gab Schmedicke dem Vorstand des CVdZ dann offiziell seinen Austritt bekannt, „weil eine Theilnahme meinerseits an der Ausführung seines Vorhabens, ein neues zahnärztliches Journal zu gründen, mit meinen Pflichten als Herausgeber der Monatsschrift ,Der Zahnarzt‘ nicht in Einklang zu bringen ist“ [Groß/Schäfer, 2009]. Allerdings erwies sich der „Verein Deutscher Zahnärzte“ nicht als echte Konkurrenz für den CVdZ: Die letzte Versammlung des VDZ fand im September 1862 in Dresden statt, und mit dem frühen Tod von Schmedicke im Jahr 1863 hörte der Verein auf zu existieren [Holzhauer, 1962; Groß/Schäfer, 2009].

Zu einer Versöhnung mit Heider kam es vermutlich nicht mehr. Noch 1862 richtete Heider an Schmedicke die folgenden Worte: „Nach dem Gesagten wird es Sie hoffentlich nicht mehr in Erstaunen setzen, dass es der Central-Verein Deutscher Zahnärzte für seine erste Aufgabe erachtete, eine Zeitschrift zu gründen und zu seinem Organ zu machen, welche vor Ihrer Zeitschrift wenigstens das voraus hatte, keine Vergangenheit zu haben, an welche sich eine den deutschen Namen kompromittierende Erinnerung knüpft“ [Groß/Schäfer, 2009].

Unbeschadet der Dissonanzen mit Heider erfuhr Schmedicke in seinem kurzen Leben breite fachliche Anerkennung: So verlieh ihm der 1856 in Hamburg gegründete „Zahnärztliche Verein“ 1859 die Ehrenmitgliedschaft und im Februar 1860 wurde er zudem vom Fürsten zu Hohenzollern-Sigmaringen zum Hofzahnarzt ernannt.

Der Praktiker, Redakteur, Fachautor und Standespolitiker Schmedicke war seinen zahnärztlichen Kollegen mit seinen Initiativen zeitlich deutlich voraus. Und auch wenn sich „Der Zahnarzt“ und der „Verein Deutscher Zahnärzte“ letztlich nicht gegen die jeweilige Konkurrenz – die „Deutsche Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde“ und den CVdZ – behaupten konnten, erfüllten sie doch eine wesentliche Schrittmacherfunktion für das zahnärztliche Zeitschriften- und Vereinswesen und damit für die Verwissenschaftlichung des Faches Zahnheikunde.

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß

RWTH Universität Aachen Medical School
Wendlingweg 2, 52074 Aachen

Literaturliste

Christoph Fuchs, Thomas Gerst, Medizinethik in der Berufsordnung. Entwicklungen der Muster-Berufsordnung, Deutsches Ärzteblatt 94/43 (1997), S. B-2281-2284

Dominik Groß, Ethik in der Zahnmedizin. Ein praxisorientiertes Lehrbuch mit 20 kommentierten klinischen Fällen, Berlin: Quintessenz 201

Ottmar Leidner, Wettbewerb im Gesundheitswesen: Was sich nicht rechnet, findet nicht statt Dtsch Arztebl 2009; 106(28-29): A-1456

Ellen Madeker, Der Weg zum Leitbild der Freien Berufe, www.docsengine.com/pdf/1/der-weg-ins-freie.html, 2008

Julian Nida-Rümelin, Die ethischen Grundlagen des Sozialstaats, in: Kersting, Wolfgang (Hg.): Politische Philosophie des Sozialstaats, Weilerswist: Velbrück (2000), S. 333-350

Dominik Groß

Univ.-Prof. Dr. med. dent. Dr. med. Dr. phil. Dominik Groß

Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Vorsitzender des Klinischen
Ethik-Komitees des UK Aachen
Universitätsklinikum der
RWTH Aachen University MTI 2
Wendlingweg 2, 52074 Aachen

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