Auf dem Weg in die Bätschi-Koalition
Politik lebt durchaus von Symbolen, vor allem aber vom gesprochenen Wort. Nun ist es in Zeiten der political correctness mit „klaren Ansagen“ so eine Sache. Doch wenn Politiker diesen Verblindungsmodus verlassen, kommt manchmal Interessantes dabei heraus. Wie sagte Andrea Nahles im letzten September nach der krachenden SPD Niederlage? „… ab morgen kriegen sie in die Fresse“.
Das äußerte sie wohlgemerkt als frisch gewählte Fraktionsvorsitzende und gemeint war die Union, der die SPD als einzig „wahre“ Oppositionspartei – Motto: Wir halten die AFD klein – nun ordentlich Kontra geben wollte. Erneuerung in der Opposition war für die SPD angesagt. War, denn 326 Delegierte – immerhin 56,4 Prozent – des Sonderparteitags der SPD kamen Mitte Januar in Bonn zu einem anderen Ergebnis und eröffneten getreu dem Motto eines alten Werbespruchs der Volksbanken Raiffeisenbanken „Wir machen den Weg frei“ den Genossen Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU. Auf dass die GroKo kommen möge.
Wenn man es positiv sehen will, ist damit endlich ein Ende des partei(!)politischen Stillstands auf Bundesebene in Sicht und ebenso der Posse mit den Sondierungsverhandlungen, von denen eh kaum ein deutscher Wähler kapiert hat, wo der Unterschied zu Koalitionsverhandlungen liegen soll. Um aus ein bisschen schwanger eben schwanger zu machen? Alles Schnee von gestern, denn nun will Nahles „verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite“. Vor allem in der Gesundheitspolitik erachtet die SPD-Spitze erhebliche Ergänzungen zu dem Sondierungspapier als unerlässlich. Zwar hatte SPD-Vize Karl Lauterbach in seinem Redebeitrag vor der Abstimmung noch eingeräumt, dass es nicht gelungen war, in den Sondierungsverhandlungen die Bürgerversicherung durchzusetzen. Und vermeintlich resignierend angefügt „Glaubt denn irgendjemand im Raum, wir würden es erreichen, wenn wir nicht mitregieren?“. Nach dem, wenn auch knappen, aber positiven Votum der Delegierten klang das bereits wieder ganz anders. „Wir werden konkrete Maßnahmen zum Abbau der Zwei-Klassen-Medizin verlangen – und wir werden sie durchsetzen“, tönte Parteichef Martin Schulz. Vonseiten des möglichen Koalitionspartners schallt es zwar laut zur SPD hinüber: keine Änderungen an den Ergebnissen der Sondierungsverhandlungen! „Wir schnüren das Paket nicht auf“, so Peter Altmaier. Braucht die Union auch nicht, denn was die Bürgerversicherung angeht, ist die SPD auf dem Weg der normativen Kraft des Faktischen. In Hamburg hatte die rot-grüne Regierung bekanntlich bereits im Dezember letzten Jahres den Fuß in die Tür gestellt, um mit einem Gesetzentwurf den Beamten der Hansestadt ab August 2018 die Wahl zwischen GKV und PKV zu ermöglichen. Zwar muss der Gesetzentwurf noch durch den Senat, aber wer zweifelt daran, dass die rot-grüne Mehrheit zustimmen wird. Ab dann werden fleißig Kosten gespart, oder? Leider nein, denn die Folge sind weder eine bessere Versorgung noch Kosteneinsparungen des Staates, sondern vielmehr erhebliche Kostensteigerungen. Sind ja nur Steuergelder …
Keine Bürgerversicherung? Es bleibt abzuwarten, ob die „klare“ Ansage von CDU und CSU aus den Sondierungen tatsächlich die Koalitionsverhandlungen überleben wird. Nun mag eine aus drei Lahmen bestehende Koalition tatsächlich besser als gar keine Regierung sein. Aber bei mir überwiegt der Eindruck, dass hier eher die Angst vor Neuwahlen und möglichen weiteren Stimmenverlusten den Arm der SPD-Delegierten bei der Abstimmung geführt hat. Und natürlich auch, wem will man es verdenken, die Angst vor dem Verlust der vielen schönen ... ähm ... Aufgaben in Berlin. Und so hätte eine GroKo ja auch ihr Gutes, oder? Apropos „in die Fresse“. Ich glaube, Andrea Nahles hatte Sahne, süße Sahne gemeint.
Da ist es mir echt lieber, der Vergleich sei mir gestattet, wenn ich in Brandenburg von angehenden ZFAs „die Fresse poliert“ kriege. Denn das ist in der Tat der (Mund)Gesundheit zuträglich!
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur