MVZ greifen die Versorgungsstruktur an
Vor Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) im Juli 2015 gab es nur 28 ausschließlich fachübergreifende MVZ mit zahnärztlicher Beteiligung. Zum Stichtag 31. März waren bereits 544 MVZ zugelassen, in denen 2.231 Zahnärzte tätig waren – 421 Vertragszahnärzte und 1.810 angestellte Zahnärzte.
Bereits im November 2017 hatten BZÄK und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) in einem gemeinsamen Brief an politische Entscheidungsträger auf die Entwicklung aufmerksam gemacht und gefordert, MVZ für den vertragszahnärztlichen Bereich künftig wieder ausschließlich arztgruppenübergreifend auszugestalten. Das Ziel des GKV-VSG, die Versorgung in der Fläche zu sichern, sei im vertragszahnärztlichen Bereich nicht erreicht worden – nur rund ein Fünftel der MVZ befänden sich in ländlichen Gebieten, der übergroße Anteil konzentriere sich auf großstädtische Ballungsräume und einkommensstarke ländliche Gebiete. Bleibe diese Dynamik bestehen, werde es künftig zu Engpässen und Unterversorgung im ländlichen Raum kommen und die Sicherstellung einer deutschlandweit gleichwertigen Versorgung sei in Gefahr, so schlussfolgern die zahnärztlichen Standesorganisationen in ihrem Schreiben.
Der BZÄK-Vorstand beschäftigte sich daher auf seiner Klausurtagung, die am 22./23. Juni 2018 in Bayern stattfand, mit dem Sachstand in Sachen MVZ und den Handlungsoptionen der Zahnärzteschaft. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung, dass kapitalstarke Fremdinvestoren in die gesundheitliche Versorgung drängen. Die Tagung stand unter dem Thema „Das Medizinische Versorgungszentrum im Spannungsfeld von Berufs- und Sozialrecht – Chancen und Risiken“.
Probleme bei der Berufsaufsicht
Geladen waren sowohl Referenten aus den Zahnärztekammern als auch externe Experten – insgesamt ein hochkarätig besetztes Forum, das einen umfassenden Blick auf das facettenreiche Thema MVZ ermöglichte.
In ihrem Einführungsvortrag verwiesen Dr. Peter Kurz, Zahnärztekammer Hamburg, und Frank Hanneken, Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, auf Probleme, die das MVZ für die Berufsaufsicht der Kammern aufwirft. Ein MVZ an sich ist keine juristische Person, sondern könne in verschiedenen Berufsausübungsformen betrieben werden: einerseits als Zusammenschluss natürlicher Personen (GP, PG, PartG) oder als juristische Person in Form einer GmbH. Während die GmbH als zahnärztliche Berufsausübungsform bislang faktisch nicht existent war, spielt sie bei der Ausgestaltung der MVZ die zentrale Rolle. Und: Dabei müssten weder Gesellschafter noch Geschäftsführer zwingend Zahnärzte sein. Die Berufsaufsicht der Kammern erfasse zwar natürliche, aber keine juristischen Personen. Eine MVZ-GmbH sei IHK-Mitglied und der Berufsaufsicht entzogen, was Bereiche wie die ärztliche Schweigepflicht, den Notdienst oder die Haftpflicht betreffe. Wenn die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen beibehalten werden, führe das über kurz oder lang zu einem Paradigmenwechsel in der Berufsausübung. Die Erfahrungen aus dem ärztlichen Bereich zeigten, dass es insbesondere dann, wenn kapitalstarke Fremdinvestoren in die gesundheitliche Versorgung eintreten, zu einer Dominanz wirtschaftlicher Interessen gegenüber medizinischen Belangen komme, was letztlich zu einem Verlust der ärztlichen Diagnose- und Therapiefreiheit führe – einem zentralen Merkmal der zahnärztlichen Berufsausübung. Dass eine solche Entwicklung für den zahnärztlichen Bereich nicht wünschenswert sei – darin waren sich die Teilnehmer einig.
Genossenschaft als Alternative?
Anschließend verwies Dr. Harald Schrader, Bundesvorsitzender des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (FVDZ), auf die Möglichkeit, mit der Bildung von Genossenschaften eine Alternative zum MVZ aus dem Berufsstand heraus zu schaffen. Der FVDZ entwickle zurzeit verschiedene Genossenschaftsmodelle (Dienstleistungsgenossenschaften, Genossenschaften zur Berufsausübung), die einerseits Synergien und Skaleneffekte erschließen, Abläufe vereinfachen und von Bürokratieaufwänden entlasten und andererseits den Vorrang zahnärztlicher Behandlung vor ökonomischen Zwängen sichern sollen. Genossenschaften könnten auch die Bedürfnisse junger Zahnärzte nach Arbeitsteilung und Flexibilität aufgreifen. Solche Lösungen seien im bestehenden gesetzlichen Rahmen möglich und wären eine aktive Antwort des Berufsstands auf die Herausforderungen durch die MVZ, so Schrader.
Als externen Experten hatte der Vorstand Ulrich Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, eingeladen. Sommer hatte im Frühjahr mit seinen Äußerungen zu ihm unterstellten apoBank-eigenen „Franchise-Praxen“ Aufsehen erregt. Sommer zeichnete ein positives Bild der Einzelpraxis: 42 Prozent aller Einzelpraxen erwirtschafteten einen Gewinn von 100.000 bis 200.000 Euro, 32 Prozent sogar 200.000 bis 300.000 Euro. Damit erzielten drei Viertel aller Einzelpraxen ein sehr gutes Ergebnis. Nur zwei von 1.000 Praxen scheitern, berichtete Sommer. Die aktuelle Situation sei aber von einem verstärkten Trend zur Anstellung gekennzeichnet – der Einfluss der wachsenden „Generation Y“ mache sich bemerkbar und führe zu einem Wertewandel hin zur Work-Life-Balance und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Finanzielle Bedenken, die Arbeitsbelastung und die Bürokratie seien ebenfalls Hürden für die Selbstständigkeit. Hinzu komme die durch das GKV-VSG gebotene Möglichkeit der Gründung arztgruppengleicher MVZ mit einer gegenüber den anderen Praxisformen nicht mehr begrenzten Zahl angestellter Zahnärzte. Das wirke als Türöffner für die Bildung größerer Versorgungseinheiten und damit für eine „Industrialisierung“ der Zahnmedizin. Das Marktumfeld könne künftig ganz wesentlich von Finanzinvestoren bestimmt werden. Erste Aktivitäten seien bereits zu sehen.
Das apoBank-Konzept der „Fahrschulpraxis“ im Sinne einer Praxis zur Miete könne einer solchen Entwicklung entgegenwirken und die Einzelpraxis stärken. Ziel der Bank sei es nicht, Praxen dauerhaft selbst zu betreiben, sondern sie nach einer gewissen Zeit an interessierte angestellte Zahnärzte zu verkaufen. Junge Zahnärzte könnten so gefördert und langsam an die Niederlassung herangeführt werden.
Die Sicht des BMG
Mit Spannung wurde der Vortrag von Dr. Ulrich Orlowski, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG), erwartet. Das GKV-VSG – so viel war klar – hat mit der Zulassung arztgruppengleicher MVZ seinen angepeilten Zweck, die Versorgung in der Fläche zu sichern, deutlich verfehlt. Die Frage war nun, ob angesichts dessen und des Engagements von Finanzinvestoren im BMG ein Umdenken einsetzen würde. Orlowski gab deutlich zu erkennen, dass das nicht der Fall sei. Am Trend hin zu größeren Versorgungseinheiten mochte er keine gravierenden Nachteile erkennen. MVZ seien Mitbewerber „zu günstigeren Konditionen“. Darüber könnten größere Einheiten auch „bessere Qualität“ anbieten. Im Übrigen sei es Aufgabe der KZVen, die Qualität der Versorgung sicherzustellen – eine vom Berufsstand unterstellte schlechtere Qualität sei daher kein Argument gegen das MVZ.
Deutlich kritischer gegenüber dem wachsenden Einfluss von MVZ und Finanzinvestoren äußerte sich Dietrich Monstadt, Berichterstatter für die Zahnmedizin der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und Mitglied des Gesundheitsausschusses. Er sehe nicht, wie mit renditegetriebenen Geschäftsmodellen die Zahngesundheit beispielsweise von Kindern und Senioren adäquat sichergestellt werden könne. Hier stünden auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit im Raum. Er sehe durchaus die Probleme, die die Zahnärzteschaft im Zusammenhang mit MVZ an die Politik adressiere und versprach, dies in den gesundheitspolitischen Diskussionen zur Sprache zu bringen.
Das Gesetz ist das Einfallstor
Am zweiten Tag der Klausurtagung fand eine Aussprache zu den gehörten Vorträgen statt. In der Bewertung war man sich weitestgehend einig: Die MVZ seien ein weiterer Schritt in Richtung Ökonomisierung und Vergewerblichung in der zahnmedizinischen Versorgung. Insbesondere für die Kapitalinvestoren stehe nicht die Versorgung von Patienten, sondern eine hohe Renditeerwartung im Fokus ihrer Aktivitäten. Das berge letztlich die Gefahr von Qualitätsverlusten und gefährde die Versorgungssicherheit. Die Einführung arztgruppengleicher MVZ mit dem GKV-VSG habe diese Entwicklungen angestoßen und bilde nun das Einfallstor für Finanzinvestoren. Das MVZ sei zu einem „Angriff auf die Versorgungsstruktur“ geworden, wie es Moderator Peter Knüpper zusammenfasste. Was durch die Politik an Fehlentwicklungen ausgelöst worden sei – so der Tenor der Klausurtagung –, müsse von ihr auch wieder repariert werden. Dafür werde man sich seitens der Standespolitik einsetzen.
Transaktionen im Dentalmarkt
Quelle: apobank