Was Stellschrauben im System leisten sollen
Rund 780 Seiten Expertise, mehr als 70 einzelne Empfehlungen – das neue Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) liegt jetzt, kurz vor der Sommerpause, auf dem Tisch. Es geht um eine bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung. Genauer gesagt: Der SVR, also die viel zitierten „Weisen“ im Gesundheitswesen, empfehlen der Politik, nicht mehr zu regulieren, sondern gezielter. Die schiere Fülle an Maßnahmen in dem Gutachten wirkt auf den ersten Blick erschlagend. Doch schnell wird klar: Die Weisen wollen (wie auch in den Gutachten davor) das Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung austarieren. Sie wollen, wie sie sagen, „an wesentlichen Stellschrauben“ im System drehen – auch mit Blick auf das Patientenwohl.
Was das heißt? Sie empfehlen mehr Vernetzung der Sektoren. Auf der Agenda steht, als Big Point sozusagen, die – schon lange angekündigte – zukünftige Ausgestaltung der Notfallversorgung, mit integrierten Notfallzentren, einer einheitlichen Rufnummer und der Zusammenarbeit von Ärzten und Klinikärzten unter einheitlichen Vorgaben und unter einem Dach. Der SVR will auch an die – wie er unterstreicht – viel zu hohe Mauer zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ran, die sektorübergreifende Versorgung soll gefördert werden. Im ambulanten Sektor etwa soll es umfangreiche Änderungen bei der Organisation geben. Hausärzte sollen die Koordination der Patientenbetreuung übernehmen, es soll hin zu einer hausarztzentrierten Versorgung gehen – mit entsprechenden Anreizen für die Patienten. Und: Es soll die Einführung einer Kontaktgebühr für Facharztbesuche ohne Überweisung geprüft werden (Die längst tot geglaubte ehemalige Praxisgebühr von zehn Euro lässt grüßen ...). Den Weisen geht es außerdem um eine gerechte Verteilung von Arztpraxen. Sie führen eine Überversorgung in Ballungsgebieten und eine Unterversorgung im ländlichen Raum an, thematisieren die Rolle von MVZ, von Marktdominanz und Aufkäufen, von Kettenbildung und Fremdkapitalsteuerung. All diese Themen dürften recht bald zu regen Diskussionen in Politik und Fachöffentlichkeit führen.
„Ja und?“, mag sich mancher Zahnarzt nun fragen, „Was hat das Gutachten mit meinem Berufsstand zu tun?“ – Die Verbindung ist hier der Patient. Was den Weisen wichtig ist, ist eine Verbesserung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung und eine kritische Auseinandersetzung im Umgang mit Gesundheitsinformationen. Dazu gehören aus Sicht des SVR umfangreiche evidenzbasierte Patienteninformationen, Hilfe zur Selbsthilfe und – ausdrücklich! – ein nationales Gesundheitsportal als zentrale Anlaufstelle für Bürger.
Hier sind bekanntlich bereits Fakten geschaffen worden. Wir erinnern uns: Im Sommer 2017 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe eine Allianz für Gesundheitskompetenz ins Leben gerufen, an der 15 Verbände, unter anderem auch BZÄK und KZBV, mit eigenen Projekten beteiligt sind. Das Ziel: ein nationales Gesundheitsportal im Internet für alle Fragen rund um die Gesundheit. Das ambitionierte Projekt ist auch im Koalitionsvertrag aufgenommen worden. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hatte in diesem Frühjahr einen Konzeptentwurf für das Portal vorgelegt. In ihrer konstruktiv-kritischen Stellungnahme verwiesen BZÄK und KZBV auf bereits vorhandene, qualitativ hochwertige Patienteninformationen der Zahnärzteschaft und auf ihre fachliche Expertise. Sie unterstützen alle Vorschläge, die die Mundgesundheitskompetenz im Sinne der Patienten stärken. Kritisch sehen sie allerdings die geplanten hohen Anforderungen an Methoden und Kontrollmechanismen und die Tendenzen hin zu einem Informationsmonopol.
Man darf gespannt sein, wie es mit dem Gesundheitsportal weitergeht. Werden sich die Allianz-Partner hier wiederfinden? Wird das Gutachten der Weisen neuen Input einbringen? Kann das Portal wirklich einen Beitrag zur bedarfsgerechten Patientensteuerung im Gesundheitswesen leisten? Und muss die Politik überhaupt dem SVR folgen? Viele offene Fragen. Jedenfalls: Jetzt ist erst einmal Sommerpause – und damit viel Zeit für Politik und Verbände, die 780 Gutachterseiten ausführlich zu analysieren. Im Herbst wissen wir dann sicherlich mehr.