„Der NC ist grundsätzlich in Ordnung!“
zm-online: Was wird sich mit dem Karlsruher Urteil bei der Studienplatzvergabe im Fach Medizin künftig ändern?
Prof. Ralph Luthardt:
Das Allererste, was mir beim Lesen des 85 Seiten umfassenden Urteils auffiel, ist eine Nichtänderung: Die Medien hatten sich in ihrer Berichterstattung vornehmlich auf die Abiturnote fokussiert, die mit dem Urteil infrage gestellt worden sei. Aber die Zulassung nach dem Numerus Clausus ist von den Karlsruher Richtern erst einmal bestätigt worden: Der NC ist absolut legitim und wird letztlich auch weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Die Abiturnote ist also nach wie vor grundsätzlich ein geeignetes Instrument zur Studienplatzvergabe.
Wo das Gericht indes ansetzt, ist die Tatsache, dass die Abiturnote zwischen den Bundesländern nicht vergleichbar ist. Der Gesetzgeber ist daher aufgefordert, hier Regelungen zu finden. Zuständig sind entweder der Bund auf Basis des Hochschulrahmengesetzes oder die Länder im Rahmen der Kultusministerkonferenz.
Zentrale Probleme waren auch die vielen Wartesemester, die teils undurchsichtigen Auswahlverfahren der Hochschulen und die Überbewertung der Ortspräferenz.
Das ist richtig. Somit verursacht die Abiturbestenquote als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf die Studienorte lassen sich dagegen nicht rechtfertigen. Dass also nur diejenigen Bewerber bei einer Universität zum Zuge kamen, die diese als erste Priorität angegeben hatten, ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung.
Nicht gesetzeskonform sind die gesetzlichen Vorschriften insofern, weil die Hochschulen individuelle Kriterien zum Auswahlverfahren festgelegt hatten. Das dürfen sie in Zukunft nicht mehr, weil die Standardisierung und Strukturierung dieser Eignungsprüfungen nicht sichergestellt ist. Das heißt, es geht nicht nur darum, Kriterien zu definieren, sondern auch darum, dafür zu sorgen, dass diese Kriterien standardisiert geprüft werden können müssen.
Außerdem muss der Gesetzgeber bei der Vergabe knapper Studienplätze im Fach Humanmedizin – das gilt aber eins zu eins auch für die Zahnmedizin – wesentliche Fragen selbst regeln. Zwar darf er den Hochschulen gewisse Spielräume bei der Konkretisierung einräumen, jedoch muss er die Auswahlkriterien so festlegen, dass am Ende eine einheitliche Regelung für die Bundesrepublik steht.
Stichwort Wartesemester: Die Einrichtung einer Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich „nicht geboten“. Auch diese Formulierung fand ich interessant. Das heißt, es kann eine Bewerbergruppe geben, die ihre Studienplätze nach Wartezeit erhält, sie darf jedoch den jetzigen Anteil von 20 Prozent nicht überschreiten und die Wartezeit muss in ihrer Dauer begrenzt sein. Dies induziert, dass es noch eine weitere Größe geben muss, die der Gesetzgeber zu definieren hat.
Wird die Studienplatzvergabe damit ‚gerechter‘?
Die Richter haben dieses Ziel folgendermaßen definiert und mit Blick auf den Status quo eine Adjustierung gefordert: Jeder muss die Chance auf eine Zulassung zum Medizinstudium haben, unabhängig, wo man wohnt, wo man Abitur gemacht hat und wo man studieren möchte.
Bisher wurden ja 60 Prozent der Studienplätze auf Hochschulebene vergeben, und die Universitäten waren in der Ausgestaltung sehr frei. Das heißt, selbst innerhalb eines Bundeslandes haben einzelne Hochschulen voneinander abweichende Regeln aufgestellt. Hier verlangen die Richter, dass stattdessen bei der Verteilung dieser Studienplätze künftig einheitliche Kriterien für die rein fachliche Auswahl greifen.
Bewerber und Plätze
Medizin studieren
2017/2018 wollten nach Angaben der Stiftung Hochschulzulassung 43.184 junge Menschen in Deutschland ein Medizinstudium beginnen, es standen aber nur 9.176 Plätze zur Verfügung. Aktuell gibt es 38 medizinische Fakultäten, davon zwei private Hochschulen.
Schlägt die Reform auch auf die Zahnmedizin durch und wenn ja wie?
Das Urteil gilt für Medizin und Zahnmedizin analog. Inwieweit für die Zahnmedizin in der Ausgestaltung eine andere Lösung als für die Medizin gefunden wird, ist natürlich sehr spannend. Denkbar sind natürlich Prüfungen wie der Medizinertest, der ja dann bundesweit und standardisierbar anwendbar ist. Aber ob solche Systeme wirklich zum Einsatz kommen, wage ich zu bezweifeln. Ein Kriterium, das man in der Zahnmedizin heranziehen könnte, wäre natürlich die manuelle Geschicklichkeit, aber wie will man dieses Können standardisiert bundesweit testen? Das halte ich für schwierig.
Was sind die Kernaussagen des Urteils?
1. Der NC ist legitim, uni-individuelle Regelungen gehen nicht, die Standardisierung ist entsprechend sehr, sehr wichtig – das sind die Kernpunkte des Urteils.
2. Das teils undurchsichtige Auswahlverfahren der Hochschulen wurde ganz klar als Schwierigkeit benannt: Es muss standortübergreifend standardisiert, es muss bundeseinheitlich, es muss vergleichbar sein. Die Ortspräferenz ist im Prinzip Ausdruck dieser Ungleichbehandlung.
3. Die vielen Wartesemester sind aus Sicht der Verfassungsrichter nicht zulässig, doch wie das Prozedere stattdessen erfolgen soll, sagt das Gericht nicht, nur: Es dürfen nicht zu viele sein!
Prof. Ralph Luthardt ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Zahnärztliche Prothetik des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des Universitätsklinikums Ulm und Präsident der Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK)
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