Ein Portal für alle
Der Auftrag kam vom Bundesgesundheitsministerium: Das IQWiG sollte abklären, in welcher Form ein sogenanntes nationales Gesundheitsportal funktionieren und betrieben werden könnte. Die Pläne des Ministeriums sind ehrgeizig: Das angepeilte Portal soll für die Bürger „zum zentralen deutschen Internetangebot für Informationen rund um Fragen zur Gesundheit“ werden und „einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung leisten“.
Das Problem unzureichender Gesundheitskompetenz war insbesondere nach der Veröffentlichung der Studie „Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland“ in den Fokus gesundheitspolitischer Diskussionen geraten. Das Team um die Bielefelder Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Doris Schaeffer hatte anhand breit erhobener Daten herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung über eine nur „eingeschränkte“, teils sogar „inadäquate“ Gesundheitskompetenz verfügt. Überraschend war vor allem das Ausmaß niedriger Gesundheitskompetenz, das sich keineswegs – wie bislang vermutet – nur als ein Nischenproblem darstellt, sondern die Mehrheit der Bevölkerung betrifft.
Geringes Gesundheitswissen – ein ökonomisches Problem
„Menschen mit niedriger Gesundheitskompetenz weisen ungesündere Verhaltensweisen auf: Sie sind deutlich weniger körperlich aktiv und ernähren sich weniger gesundheitsbewusst. Sie nutzen das Versorgungssystem intensiver, haben mehr Krankenhausaufenthalte, nutzen häufiger Notfalldienste und gehen öfter zum Arzt“, schrieben die Autoren in einem Beitrag in der Zeitschrift „Zahnmedizin und Gesellschaft“ im Dezember vergangenen Jahres. Ein geringes Wissen um die Gesundheit wirkt sich demnach nicht nur für den Einzelnen negativ aus, sondern verursacht auch Mehrkosten im System der Gesundheitsversorgung. Dieser Befund deckt sich mit Schätzungen der WHO, denen zufolge drei bis fünf Prozent der Gesundheitsausgaben durch unzureichende Gesundheitskompetenz verursacht werden. Für Deutschland wären dies umgerechnet etwa 9 bis 15 Milliarden Euro. Eine verbesserte Gesundheitsinformation der Bevölkerung, wie beispielsweise durch ein nationales Gesundheitsportal, könnte also auch Spareffekte bei den Gesundheitsausgaben bewirken.
Vor diesem Hintergrund hat das BMG im Juni 2017 mit Partnern des Gesundheitswesens die „Allianz für Gesundheitskompetenz“ ins Leben gerufen. Hier sind auch die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung mit jeweils eigenen Projekten beteiligt. Sie haben Unterstützung und Lieferung von Inhalten wie beispielsweise Adresslisten für einzelne Module angeboten. Die Konzeption eines „Nationalen Gesundheitsportals“ ist der Eigenbeitrag des Ministeriums zur Initiative. Dabei sollen sich die „an Evidenz orientierten Anbieter von Informationen zu Gesundheitsfragen – freiwillig und unter Beibehaltung ihrer Eigenständigkeit – auf gemeinsame Qualitätsstandards einigen und als ‚Content-Partner‘ ihre Inhalte auf einer kooperativen Plattform bereitstellen“.
Das IQWiG-Konzept
Als erste Ausbaustufe des Portals soll nach dem Konzept des IQWiG eine Suchmaschine eingerichtet werden, die zunächst auf die externen Webangebote der Partner führt. Schritt für Schritt sollen dann portaleigene Inhalte ergänzt werden. Gedacht wird dabei an folgende thematische Module:
evidenzbasierte Gesundheitsinformation
evidenzbasierte Prävention
Navigator zu persönlichen/telefonischen Beratungsangeboten
Navigator zu Kliniken, Ärzten, Pflegeeinrichtungen und anderen Angeboten der Gesundheitsversorgung
Navigator zu laufenden klinischen Studien
Navigator/Erläuterungen der Strukturen des deutschen Gesundheitswesens
Bewertung aktueller Medienberichte
Auch zur Frage, wer das Portal betreibt, hat das IQWiG Kriterien definiert. Der künftige Träger solle „weitgehend eigenständig“ die redaktionelle und technische Betreuung übernehmen. Um die Unabhängigkeit des Portals zu sichern, dürfe der Träger keine kommerziellen Interessen verfolgen, müsse gemeinnützig sowie „wissenschaftlichen Grundsätzen verpflichtet“, „in transparente Beratungs- und Beteiligungsstrukturen eingebunden [...], dennoch aber inhaltlich und politisch unabhängig“ sein. Um das abzusichern, schlägt das IQWiG für die Beteiligung der „Content-Partner“ ein Akkreditierungsverfahren vor, das diese Anforderungen als Bedingung für die Teilnahme enthält.
Welcher Evidenzbegriff soll gelten?
Spannend dürfte es werden, wenn die Teilnahmekriterien konkretisiert werden. Offen ist beispielsweise, wie man die Forderung nach „Neutralität“ unter den Partnern im Gesundheitswesen definiert. Aus der Optik der Politik erscheinen Zahnärzte und auch Ärzte als Interessengruppen – auch mit genuin wirtschaftlichen Interessen. Diese politische Perspektive greift jedoch zu kurz, wenn es um das individuelle (Zahn-)Arzt-Patienten-Gespräch geht, das mit den Gesundheitsinformationen in einem nationalen Gesundheitsportal letztlich adressiert werden soll. Der spezifische Wertekanon in den zahnärztlichen Berufsordnungen fordert ausdrücklich, bei allen medizinischen Interventionen das Patientenwohl als alleinige Richtschnur des Handelns zugrunde zu legen. Das Heraushalten wirtschaftlicher Interessen aus (zahn)ärztlichen Beratungen und Entscheidungen gehört zum Kern des (zahn)ärztlichen Selbstverständnisses und wird im Übrigen vom Berufsstand auch immer dann angemahnt, wenn im politischen Raum Einsparungen zulasten der Patienten diskutiert werden.
Konfliktlinien könnten auch bei der Frage auftreten, welche Kriterien eine Gesundheitsinformation evidenzbasiert, vertrauenswürdig und unabhängig machen. Die aufgeheizte Diskussion um die vorläufige Nutzenbewertung des IQWiG zu Elementen der Parodontitistherapie ist hier noch gut in Erinnerung. Welcher Evidenzbegriff soll als Maßstab angelegt werden? Was darf als „evidenzbasiert“ gelten und was nicht? Wer bewertet das? Wie soll im Rahmen eines nationalen Gesundheitsportals mit unterschiedlichen Ansichten der Content-Partner zu bestimmten Therapien umgegangen werden? Eine Fülle grundsätzlicher Fragen tut sich hier auf.
Im IQWiG ist man sich offenbar der vielen Herausforderungen und Risiken eines solch breit angelegten Gesundheitsportals bewusst. So braucht Gesundheitsinformation natürlich in erster Linie (zahn)medizinische Kompetenz. Es lässt sich schwerlich ein glaubwürdiges Gesundheitsportal denken, dass die Expertise der Ärzte, Zahnärzte und ihrer wissenschaftlichen Fachgesellschaften außen vor lässt. Im Konzeptentwurf finden sich denn auch Überlegungen dazu, wie man „genügend relevante Partner“ für das Projekt gewinnen kann. Eine Möglichkeit wäre die Ausstattung mit „ausreichenden Ressourcen“, was auf die finanzielle Förderung der Content-Partner hinauslaufen würde. „Zur Steigerung der Kooperationsbereitschaft könnte beitragen, dass ein zentrales, qualitätsgesichertes und vertrauenswürdiges Portal nicht nur für Bürger, sondern auch für die am Auf- und Ausbau des Portals Beteiligten einen Nutzen hat.“ Die Angebote der Content-Partner könnten „durch das Portal sichtbarer, besser auffindbar und in einen sinnvollen Gesamtrahmen eingebettet“ werden.
Doch nicht nur im Hinblick auf die Beteiligung der wichtigen Content-Partner, auch in puncto Reichweite des Portals zeichnen sich erhebliche Herausforderungen ab. Das ehrgeizige Ziel, die Plattform zum zentralen deutschen Internetangebot für Gesundheitsinformationen zu machen, erfordert einen deutlich wahrnehmbaren Nutzen für die ratsuchenden Patienten. Und nicht zu vergessen: eine gesicherte Finanzierung.