IQWiG: Vorteile sind mangels geeigneter Studien unklar
Eine Arbeitsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat im Auftrag des IQWiG untersucht, ob die Behandlungsergebnisse besser oder schlechter ausfallen, wenn vor der ersten Operation einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte die sogenannte Nasoalveolar-Molding-Methode (NAM) angewendet wird: Dabei soll eine individuell angefertigte Kieferplatte mit Nasenelement (Nasensteg) den Spalt mittels Druck- und Zugkräften verkleinern, um die Ausgangslage für die OP zu verbessern.
Zum Hintergrund: Ein allgemein anerkanntes Behandlungskonzept bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten gibt es aktuell nicht. Häufig verschließen MKG-Chirurgen die Lippe im Alter von etwa drei bis sechs Monaten operativ. Vor dem Eingriff versuchen manche gegebenenfalls mittels der NAM-Methode die Schwere der Deformation zu reduzieren. Um die Sprachentwicklung nicht zu behindern, wird der Gaumen in der Regel erst im Alter von 9 bis 18 Monaten verschlossen, mit 6 bis 11 Jahren folgt eine Korrekturoperation.
Die Nasoalveolar-Molding-Methode
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich insbesondere im amerikanischen und asiatischen Raum die Nasoalveolar-Molding-Methode (NAM) verbreitet, bei der durch eine spezielle orthodontische Vorbehandlung unter Einsatz von Druck- und Dehnkräften eine günstige Umformung der Kieferelemente und der Nase vor der Operation angestrebt wird.
Ziel der NAM-Methode ist eine bessere Ausgangslage für die Operation zu erreichen sowie die Notwendigkeit späterer Folgeoperationen (insbesondere Nasenkorrekturen) zu minimieren. Die NAM-Behandlungsapparatur besteht aus einer individuell angefertigten Kieferplatte mit einem Nasenelement (sogenannter Nasensteg). Zusätzlich wird üblicherweise durch hautfarbene Pflaster Zug auf die Oberlippensegmente ausgeübt sowie die Spalte und der Nasensteg optisch kaschiert.
Die Behandlungsapparatur wird über einige Monate hinweg in circa zweiwöchigen Abständen angepasst und soll die Spaltbreite sowie die Nasendeformität vor der ersten Operation verringern. Auch bei der NAM-Methode gibt es verschiedene Variationen zum Beispiel bezüglich der Behandlungsdauer und der Art der Nasenelemente.
Quelle:https://www.iqwig.de/sich-einbringen/themencheck-medizin/berichte/ht17-01.html
Wie die Wissenschaftler der MHH nun in ihrem vorläufigen Bericht feststellen, gibt es jedoch bisher keine klinischen Studien, die belastbare Aussagen zu Nutzen und Schaden der NAM zulassen. „In den wenigen verfügbaren Studien werden wichtige Einflüsse auf das Behandlungsergebnis, wie Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen nach Alter bei erster OP und nach Schwere der Deformation, nicht ausreichend berücksichtigt“, heißt es in einer Mitteilung.
Störgrößen nicht ausreichend berücksichtigt
Studien mit hoher Aussagesicherheit, also randomisierte kontrollierte Vergleiche zwischen einer Behandlung mit NAM und ohne NAM, gibt es bisher nicht. Was die Arbeitsgruppe der MHH fand, sind vier Studien mit jeweils einer Kontrollgruppe. In ihnen wurde aber nicht berücksichtigt, dass sich die Kinder mit NAM- und jene ohne NAM-Behandlung unterschieden - etwa in Hinblick auf das Alter bei der ersten Operation oder bezüglich der Ausprägung der Spaltbildung. „Das könnte die Behandlungsergebnisse beeinflusst haben“, vermuten die Wissenschaftler. Aussagen zum Nutzen oder Schaden der NAM lassen sich aus diesen Studien demnach nicht ableiten.
Aspekte wie Schmerzen, Sprechen oder Atmung fehlen ebenfalls
Ohnehin berücksichtigten diese Studien ausschließlich Parameter zur Gesichtsästhetik, darunter die Symmetrie des Gesichts. Wichtige andere Aspekte wurden nicht erhoben. Für Schmerz gilt das ebenso wie für Sprechen, Atmung, Gehör oder die soziale und emotionale Entwicklung. Untersuchungen, die die Patienten über einen längeren Zeitraum vergleichen, gibt es ebenfalls nicht. Die Arbeitsgruppe der MHH konstatiert in ihrem Berichtsentwurf erheblichen Forschungsbedarf und fordert Studien mit hoher Aussagesicherheit.
Noch keine regelhafte Kassenleistung
In Deutschland gibt es bisher nur wenige spezialisierte Kliniken, in denen MGK-Chirurgen die NAM regelmäßig anwenden. Die betroffenen Kinder und ihre Eltern müssen zur Kontrolle und Anpassung der NAM-Apparatur 12 bis 16 zusätzliche Termine wahrnehmen. Die Mehrkosten in Höhe von 900 Euro bis 1.400 Euro übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen dabei nicht regelhaft.
Das IQWiG bittet um Stellungnahmen
Die Fragestellung „Führt die Anwendung der Nasoalveolar-Molding-Methode vor einer Operation der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zu besseren Ergebnissen?“ geht auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurück. Das IQWiG sammelt diese und ermittelt in einem zweistufigen Auswahlverfahren pro Jahr bis zu fünf Themen, zu denen Nutzenbewertungen erstellt werden.
Interessierte Personen und Institutionen können nun bis zum 25. März 2019 schriftliche Stellungnahmen zum vorläufigen Basisbericht „NAM bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte“ beim IQWiG einreichen. Diese werden gesichtet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der Basisbericht finalisiert. Alle Dokumente werden auf der Website ThemenCheck-medizin veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übermittelt.