Schlaflos in Berlin
Gefühlt ist das erste große Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn namens Terminservice- und Versorgungsgesetz, kurz TSVG, bereits Geschichte. Nach all den intensiv, teils konfrontativ geführten Diskussionen durchaus verständlich. Aber realiter ist es noch nicht einmal in Kraft. Ab 1. Mai wird es also spannend, wenn das TSVG „scharf gestellt“ wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der „Spaß“ noch nicht zu Ende, da einzelne Regelungen von den Gerichten überprüft werden dürften.
Apropos Spaß (an der Arbeit?). Parallel zum TSVG brachte Spahn das zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes durch den Bundestag, womit die Strukturen für die Organspende verbessert werden sollen. Fehlen nur noch die Organe. Um der lahmenden Spendenbereitschaft abzuhelfen, diskutiert der Bundestag einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf von CDU und SPD, der statt der Entscheidungslösung die Widerspruchslösung vorsieht. Interessant ist, dass der Bundestag fraktionsoffen abstimmen will. Schade, dass im Parlament dieses demokratische Vorgehen so selten möglich ist.
Derweil bastelt das BMG bereits an den nächsten gesetzlichen „Verbesserungen“: Im ersten Halbjahr dieses Jahres sollen noch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) und das Implantateregister-Errichtungsgesetz (EDIR) – die Zahnmedizin ist nicht betroffen (jedenfalls erst einmal …) – verabschiedet werden. Auf der Agenda stehen weiterhin die Ausbildung in der Psychotherapie, mal eben noch die Neuregelung der Hebammenausbildung sowie die MDK-Prüfungen. Im zweiten Halbjahr soll dann ein richtig dickes Gesetzesbrett gebohrt werden, nämlich die Neugestaltung des Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA), bei dem die Kassen den Sparringspartner für den Gesundheitsminister geben dürfen. Und weil dem Minister hier und da noch fad zu sein scheint, treibt Spahn den Gemeinsamen Bundesausschuss, G-BA, vor sich her. Stichwort Liposuktion und die viel zu langen Bearbeitungszeiten.
Zuviel „Action“? Weit gefehlt, es gibt ja noch das zentrale Thema des Ministers: die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Daran haben sich zwar schon seine Vorgänger im Amt mehr oder minder intensiv versucht, aber Spahn macht nicht nur Druck, sondern auch Ernst und schafft die entsprechenden Strukturen. Der Abteilungsumbau im Ministerium schreitet voran, nun wurde eine neue Unterabteilung für die gematik eröffnet. Eine notwendige Maßnahme, schließlich kapert Spahn – wenn das TSVG zum 1. Mai in Kraft tritt – 51 Prozent der Anteile an der gematik, Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbh. Die Altgesellschafter – Kassen, KBV, KZBV, Apotheker und Krankenhausgesellschaft – dürfen ins zweite Glied rücken. Wenn es mal so einfach wäre, handelt es sich bei der gematik doch um eine GmbH, bei der eine Enteignung der Gesellschafter ohne Entschädigung rechtlich so nicht möglich sein wird. Ein einmaliger Vorgang, der die neue Gangart mehr als deutlich macht. Spahn als Terminator? Statt basta nun „hasta la vista“? Jedenfalls ist frei nach Arnold Schwarzenegger „ägschen“ garantiert, was von außen betrachtet zumindest hohen Unterhaltungswert garantiert.
An dieser Stelle allerdings ein großes Aber: Bei allem Respekt für den Spahnschen Veränderungswillen sollte der Minister es nicht versäumen, die Heilberufler mitzunehmen – und deren Sorge um die Sicherheit der hochsensiblen Gesundheitsdaten endlich ernstzunehmen. Denn in der Konsequenz all der Digitalisierungsmaßnahmen steht das von Vertrauen geprägte und bis dato besonders geschützte Arzt-Patienten-Verhältnis auf dem Spiel. Da hilft das Mantra „der Patient ist Herr seiner Daten“ auch nicht weiter. Doch der Veränderungsdruck wird kontinuierlich erhöht: So baut Spahn Mitte April in Berlin ein elfköpfiges Team von hochkarätigen Digitalexperten unter der Leitung von Jörg Debatin, dem ehemaligen ärztlichen Direktor und Vorstandsvorsitzenden der Uniklinik Hamburg-Eppendorf und Vorsitzenden der Initiative Gesundheitswirtschaft (IGW), auf. Der klangvolle Name: „Digital Innovation Hub“. Dieser lässt sich auf der Website des BMG wie folgt zitieren: „Die zukünftige Medizin wird sich viel mehr an den wahren Bedürfnissen der Patienten orientieren. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass er im Zusammenspiel mit seinem wissenden Arzt an Erhalt und Wiederherstellung seiner Gesundheit aktiv beteiligt wird“. Man muss kein Prophet sein: Mit „wahre Bedürfnisse“ und „wissender Arzt“ ist nicht der Erhalt des Status quo gemeint…
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur