Die zm-Kolumne rund um die relevanten Praxisfragen

Jetzt ist die Zeit, sich um neue Leistungen zu kümmern

Christian Henrici

Ich freue mich von Ihren Umsetzungen zur Liquiditätssicherung zu hören. Wie Sie richtig bemerkten, ist es enorm wichtig, den Blick auch nach vorne zu richten und zeitgerecht die „stufenweise Weiter-Öffnung“ (um das Wort „Wieder“ zu vermeiden) der Praxis zu planen.

Wie immer sind in solchen Situationen die Erfahrungen und Lehren aus der Vergangenheit, in diesem Fall aus der letzten Finanzkrise, wichtig. Welche Folgen hatte die damalige Finanzkrise auf Zahnarztpraxen und die Investitionsbereitschaft der Patienten? Daraus lassen sich Ansätze ableiten, um in der Zahnarztpraxis auf den Einstieg besser vorbereitet zu sein. Abschließend stelle ich Ihnen strategische Maßnahmen vor, um weitestgehend erfolgreich aus der jetzigen Krise herauszugehen.

Was sind die Lehren aus der Finanzkrise?

Entlassungen, Kurzarbeit und Insolvenzen – mit all diesen Problemen hatte die Wirtschaft auch während der weltweiten Finanzkrise zu kämpfen. Derartige Situationen verändern das Konsumverhalten der Menschen in Deutschland. Damals konnten sich die Zahnarztpraxen (relativ) schnell davon erholen. Doch woran lag das? Die Dentalbranche profitierte von der systeminhärenten relativen Unabhängigkeit gegenüber Konjunkturschwankungen. Denn die deutsche Zahnmedizin steht eben auf zwei Säulen: einerseits auf den GKV-basierten und andererseits auf den Privatleistungen.

Diese Zwei-Säulen-Strategie wirkt stabilisierend auf die Umsätze der Zahnarztpraxis. Kommt es zu einer wirtschaftlichen Krise, hat diese größtenteils Auswirkungen auf die Privatleistungen, also neben den PKV-Leistungen auch auf die privaten Zuzahlungen bei der GKV. Dieser Bereich macht bei deutschen Praxen gut 50 Prozent der Umsätze aus. Inwieweit eine Praxis betroffen ist und wie schnell sie sich erholen kann, hängt von der jeweiligen Gewichtung der beiden Säulen ab, also wie groß der Anteil des Privatumsatzes zum Gesamtumsatz ist.

In Zeiten des Aufschwungs und der Gewinnmaximierung ist genau dieser Quotient ein Indikator dafür, wie margenreich und renditestark eine Zahnarztpraxis ist. In Abschwung- und Krisenzeiten zeigt der Quotient genau das Gegenteil dessen an, sprich ein hoher Privatanteil spricht für eine langsamere Erholung.

In der Krise werden Implantate verschoben

Das Ausmaß der Krise ist daher ebenso von der Höhe des Zahnersatz-Umsatzes abhängig. In diesem Bereich steigt die Eigenleistung des Patienten mit der gewünschten Versorgungsqualität, den sogenannten Kann-Leistungen. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass in Krisenzeiten hochwertige Implantate zeitlich verschoben oder gleich die Regelversorgung bevorzugt wird. Im Gespräch sollten Sie jedoch den Patienten verständlich machen, dass sich Zahnersatz nur bedingt verschieben lässt und auf sinnvolle Finanzierungsangebote verweisen können.

Mit Blick auf die Regelungen in anderen Ländern ist Deutschland hier aber klar im Vorteil: Der „weltweite“ Patient entscheidet sich bei Konsumleistungen auf Verzicht oder Reduzierung, weil einfach die Mittel fehlen. In Deutschland werden aus meiner Sicht zahnmedizinische Behandlungen nur zu einem verschwindend geringen Teil von den Patienten als Konsumleistungen interpretiert. Das hat sich schon zur Finanzkrise 2008 gezeigt, als der von den Zahnärzten in den USA verstärkte Rückgang an Behandlungen wie an Patienten bei den deutschen Zahnärzten nahezu ausgeblieben war. Ich erinnere mich gut an die Zeit – ich war seinerzeit erst kurz aus den USA zurück – und vermutete, dass es auch die deutschen Zahnärzte entsprechend treffen würde. Dies passierte glücklicherweise jedoch nicht. Die amerikanischen Kollegen, von denen ich heute noch mit vielen im Kontakt stehe, hatten hingegen sehr große wirtschaftliche Probleme. An dieser Stelle zeigt sich in Krisenzeiten die besondere Stärke des deutschen Versicherungssystems.

Zahn-Leistungen sind „unelastisch“

Soweit zu den Vorteilen des deutschen Zwei-Säulen-Systems. Doch wie verhält es sich nun mit der Investitionsbereitschaft der Patienten? Es zeigt sich, dass in Krisenzeiten der Verbraucher bei besonders langlebigen Wirtschaftsgütern des „Konsumsbereichs“ zur Zurückhaltung neigt. Dieser Rückgang ist jedoch in der Zahnmedizin nur bedingt festzustellen, zahnmedizinische Leistungen nehmen beim Verbraucher eine Sonderstellung ein. Die Privatleistungen gelten als Investitionen in langlebige Anlagen der Gesundheit, die bei deutschen Verbrauchern einen hohen Stellenwert hat. Patienten investieren in das eigene „Selbstwertgefühl“, was nicht nur aber auch mit Ästhetik zu tun hat.

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind Leistungen der Zahnheilkunde als „unelastisch“ einzustufen, was bedeutet, dass Nachfrager kaum bis wenig auf Preisänderungen reagieren. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass diese auch im Krisenfall unelastisch bleiben. Festzuhalten ist, dass bei möglichen Preisänderungen ein entsprechender Umsatzrückgang kaum zu verzeichnen ist. Die dargestellte Aufteilung der Gesamteinnahmen je Praxisinhaber (Tabelle 2) unterstreicht die „Zwei-Säulen-Strategie“ und die unelastischen Leistungen in der Zahnmedizin.

Trotz all dieser Aspekte darf nicht der Einsatz von konsequentem Marketing in Praxen übersehen werden. Auch in schlechteren Zeiten liegt hier für viele Inhaber eine große Chance. Die Marketingaktivitäten (diese sind bitte nicht nur als „Verkauf“ zu sehen) erweisen sich vorteilhaft zur Kundenbindung und führen gegebenenfalls zum Empfehlungsmarketing.

Wie Sie wieder hochfahren sollten

Die Praxis muss ab einem gewissen Zeitpunkt wieder betriebswirtschaftlich „hochfahren“. Das heißt noch lange nicht, dass ab Mai 2020 prompt das Vor-Krisen-Niveau erreicht werden wird. Vielmehr sind abgestufte Maßnahmen zu treffen, um die Zahnarztpraxis zu stabilisieren, um dann wieder auf Wachstumskurs zu gehen. Verabschieden Sie sich also bitte von der Vorstellung, dass nach der Krise quasi nur ein Schlüssel umgedreht werden muss – und alles ist wie zuvor. Das entpuppt sich fast immer als Wunschdenken! Betrachten wir also den Verlauf, der sich in drei Phasen einteilt. Aktuell befinden Sie sich in der ersten.

1. Turbulenzen meistern

An erster Stelle steht die schnelle Reaktion auf die aktuellen Veränderungen. Die Kosten sind an die Gegebenheiten anzupassen, was in der Corona-Krise auch die Anpassung der Personalkapazitäten an die Nachfrage samt eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten und damit die Nutzung staatlicher Programme wie dem Kurzarbeitergeld bedeutet. Zudem sind effizienzsteigernde Maßnahmen notwendig. Die bereits beschriebene Liquiditätssicherung aus der vorigen Kolumne hilft Ihnen weiterhin handlungsfähig zu bleiben.

2. Stabilisieren

Damit weitere Schritte realisiert werden können, gilt es die Zahnarztpraxis zu stabilisieren. Fokussieren Sie sich deshalb – soweit möglich – auf margenstarke Segmente und behalten Sie die Kosten- und Effizienzprogramme bei. Widmen Sie sich deshalb zuvorderst diesen Segmenten und optimieren die entsprechenden Prozesse – genau dafür ist jetzt Zeit. Denken Sie immer daran, dass Sie mit 20 Prozent des Aufwands 80 Prozent der Erträge erbringen. Sortieren Sie streng nach Pareto. Ähnlich steht es um neue Wachstumsfelder, entwickeln Sie Ihr Portfolio weiter (Bleaching, Erwachsenen-KFO) und fördern Sie Innovationen mit neuen Wertangeboten, damit auf veränderte Kundenbedürfnisse eingegangen werden kann. Gleichzeitig nimmt die Nachfrage der Patienten zu und die Investitionsbereitschaft wird langsam wieder steigen. Phase 2 gibt Ihnen daher die Möglichkeit, sich auf neue Aufgabenkomplexe vorzubereiten, um dann im richtigen Moment durchstarten zu können.

3. Durchstarten

Wenn Sie sich während der Krise vorbereitet haben, verfügen Sie über einen erheblichen Vorteil gegenüber der schlafenden Konkurrenz. Verwenden Sie effektive Marketingmaßnahmen, um Umgestaltungen nach außen zu kommunizieren und präsent für Ihre Patienten zu sein. Ebenfalls ist der parallel laufende wirtschaftliche Aufschwung zu nutzen, so dass die Praxis wieder wachsen kann.

Ich empfehle, einen Plan zu erarbeiten, der so getaktet ist, dass Sie spätestens ab Ende Mai durchstarten können. Dann wird hoffentlich wieder mehr Normalität Einzug halten und ein Hochfahren auf 100 Prozent möglich sein. In dieser Phase des Hochfahrens werden erst Behandlungen entsprechend der Notwendigkeit aus Sicht des Patienten zunehmen. Sind die Schulen wieder geöffnet, werden auch die Behandlungen von Kindern wieder zunehmen und sobald die Regierung die Ausgangssperren lockert, wird allmählich wieder die Normalität Einzug halten.

Meine Abgleiche mit Zahnarztpraxen geben dieses Bild normalisiert her. Die Patientenzahl von KW 13 bis KW 16 haben sich nahezu schon verdreifacht (auf niedrigem Niveau).

Fazit

Inwieweit eine Zahnarztpraxis von der Krise betroffen ist, ist davon abhängig wie groß der Anteil an privat abrechenbaren Leistungen ist. Aufgrund der stabilisierenden Wirkung der Zwei-Säulen und die beschriebene Unelastizität zahnmedizinischer Leistungen, gehe ich davon aus, dass sich die Praxen schnell erholen können. Nach der Überwindung der Krise wird eine überproportionale Verbrauchernachfrage erwartet. Deshalb rate ich Ihnen: Nutzen Sie die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit, kümmern Sie sich um Innovationen und neue Leistungen in Ihrer Praxis. Beginnen Sie Urlaub jetzt abzubauen, um später auch die Behandlungskapazitäten vorhalten zu können. Achten Sie strategisch auf das Pareto-Prinzip und unterstellen Sie dem Ihre Aktivitäten.

In diesem Sinne ...                  

Ihr Christian Henrici

Henrici@opti-hc.de , www.opti-hc.de

Unser Tipp

Noch ein Tipp, auf den ich erst kürzlich aufmerksam geworden bin. Ich bin mir bewusst, dass es einfacher gesagt als getan ist, die schwierigen Rahmenbedingungen der Krisenzeit zu einer strategischen Neuausrichtung zu nutzen. Doch nur so kann man nachhaltigen Unternehmenswert schaffen. Dafür können Sie die BAFA-Förderung nutzen, die im Rahmen der Krise bis zu 4.000 Euro Beratungskosten übernimmt, ohne dass Sie einen Eigenanteil leisten müssen. Lediglich die Umsatzsteuer von etwa 760 Euro ist selbst zu tragen.

Hintergrund

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, kurz BAFA, unterstützt kleine und mittlere Unternehmen, die durch die Corona-Krise besonders betroffen sind. Seit dem 3. April gibt es für sie und für Freiberufler, die von der Corona-Krise betroffen sind, eine neue Förderung für professionelle Beratung zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen. Mit den Ergänzungen der Richtlinie werden professionelle Beratungsleistungen mit bis zu 4.000 Euro ohne Eigenanteil gefördert. Somit können auch Zahnärztinnen und Zahnärzte solche Anträge stellen, da sie zu den von der Corona-Krise betroffenen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) einschließlich Freiberufler zählen.Wichtig: Die Praxen haben ausschließlich die Umsatzsteuer zu bezahlen. Wir bei OPTI haben uns entschlossen, die Umsatzsteuer bei Anträgen bis zum Ende der ersten Maiwoche komplett zu übernehmen!

Christian Henrici

Dipl. Kfm. Christian Henrici ist seit 2006 Gründer und Geschäftsführer der OPTI health consulting GmbH, die nach eigenen Angaben seit 2006 rund 3.000 Zahnarztpraxen in Deutschland beraten hat. Henrici ist Lehrbeauftragter und Referent für Controlling, Personal und Businessplanung. Als Autor erschien von ihm im Quintessenz-Verlag das Buch „Wer braucht schon gutes Personal? – Erfolgreich führen in der Zahnarztpraxis“. Christian Henrici schreibt Fachbeiträge zu den Themen Betriebswirtschaft, Organisation und Führung & Personal in der Zahnarztpraxis und seine regelmäßige Kolumne in den zm.

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