MKG-Chirurgie

Schwierige Differenzialdiagnose einer paramandibulären Raumforderung

David Kreuziger
,
Christopher Mohr
,
Sven Holger Baum
Eine 52-jährige Patientin wurde auf Überweisung ihres Zahnarztes in der Ambulanz der Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen vorstellig. Sie gab an, vor drei Monaten eine knotige Raumforderung paramandibulär in regio 33/34 bemerkt zu haben. Trotz zweifacher Gewinnung von repräsentativen Gewebeproben konnte die Diagnose einer Sarkoidose aufgrund multipler Differenzialdiagnosen erst durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen festgestellt werden.

Der Hauszahnarzt hatte zunächst eine Biopsie bei klinischem Verdacht auf eine Aktinomykose entnommen. In der Histologie fand sich eine granulomatöse Veränderung mit vereinzelten Epitheloidzellen, wobei differenzialdiagnostisch aufgrund der geringen Gewebeanteile keine Spezifizierung erfolgen konnte. Lediglich eine Aktinomykose konnte ausgeschlossen werden. Daraufhin überwies er die Patientin zur weiteren Abklärung des Befunds ins Universitätsklinikum.

Laut der Patientin bestand keine Größenprogredienz des Tumors. Entzündungen, Verletzungen oder vorherige Eingriffe (bis auf die Biopsie) wurden verneint. Es bestanden keine Schmerzen. Die allgemeine Anamnese ergab keine akuten oder chronischen Erkrankungen, Medikamente wurden nicht eingenommen. Nikotin- und regelmäßiger Alkoholkonsum wurden ebenfalls verneint. Es bestand lediglich eine Latex-Allergie. Die Patientin ist Hausfrau.

Bei der extraoralen Untersuchung konnte eine derbe Schwellung paramandibulär links palpiert werden. Diese war gering verschieblich und nicht druckdolent. Der Unterkieferrand war vollständig durchtastbar. Daneben bestand seit der Biopsie eine Hypästhesie im Bereich der Unterlippe links mit erhaltener Spitz-Stumpf-Diskrimination. Intraoral fand sich eine allseits dichte Schleimhaut. Die Raumforderung in regio 33 und 34 war palpabel und leicht verschieblich. Eine Adhärenz am Unterkiefer bestand nicht. Der Speichel war klar und exprimierbar. Eine Fluktuation oder ein Hinweis auf einen Abszess fanden sich nicht. Daneben zeigte sich ein suffizient konservativ und prothetisch versorgtes Gebiss. Die Zähne 31–33 zeigten eine positive Sensibilitätsprobe sowie eine negative Perkussionsprobe, der Zahn 37 eine negative Sensibilitäts- und Perkussionsprobe bei Zustand nach Wurzelkanalfüllung. Die Taschentiefen waren nicht erhöht.

In der durchgeführten OPG-Aufnahme zeigte sich bei mäßiger Aufnahmequalität ein konservativ, prothetisch und chirurgisch versorgtes Restgebiss (Abbildung 1) ohne Aufhellungen oder Verschattungen. Nebenbefundlich fand sich ein impaktierter und dystoper Zahn 38. In der Sonografie zeigte sich eine 13 mm × 6 mm × 7 mm große, gut abgrenzbare Raumforderung ohne dorsale Schallverstärkung. Die Patientin wurde daraufhin zur weiteren Abklärung im Intervall stationär aufgenommen.

Die Labordiagnostik ergab unauffällige Befunde im Blutbild, der klinischen Chemie und Gerinnung. In der MRT-Bildgebung konnte eine 12 mm × 7 mm × 7 mm große, kontrastmittelaufnehmende Raumforderung paramandibulär links nachgewiesen werden (Abbildung 2). Insgesamt bestand somit die Indikation zur operativen Revision.

Diese wurde über einen intraoralen Zugang mit einer paramarginalen Schnittführung regio 32–35 durchgeführt. Nach Detektion und Sicherung des Nervus mentalis sowie Inzision des Periosts erfolgte die Darstellung und Präparation der knotigen Raumforderung (Abbildung 3).

Diese stellte sich gelb-gräulich dar und ließ sich vom Gewebe nur schwer abgrenzen. Daraufhin erfolgten die Resektion (Abbildung 4) unter Facialismonitoring sowie die primär plastische Rekonstruktion.

Die histologische Aufarbeitung zeigte Infiltrate konfluierender Mikrogranulome aus Epitheloidzellen und einzelnen Langerhans´schen Riesenzellen. Zudem fanden sich lymphatische Infiltrate mit prädominanten T-Zellen (CD3) und nur wenigen CD20-positiven Zellen. Verkäsende Nekrosen oder doppelbrechendes Fremdmaterial konnten nicht nachgewiesen werden. Ebenfalls kamen keine Pilze in der PAS-Reaktion zur Darstellung. Somit ergab sich kein Anhalt für Dysplasie oder Malignität. Insgesamt wurde nach Rücksprache mit dem Pathologen der Verdacht auf eine Sarkoidose geäußert, differenzialdiagnostisch kamen eine Tuberkulose, das Melkersson-Rosenthal-Syndrom sowie eine Fremdkörperreaktion in Betracht.

In der molekularpathologischen Begutachtung konnte eine Tuberkulose ausgeschlossen werden. Das ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) war in der anschließenden endokrinologischen Begutachtung erhöht. In der CT-Thorax bestätigte sich schließlich der Verdacht auf eine pulmonale Mitbeteiligung der Sarkoidose Stadium I mit hilärer Lymphknotenbeteiligung ohne intrapulmonale Komponente. Die Patientin wurde daraufhin in ein Lungenfachzentrum überwiesen.

Aufgrund der fehlenden Symptomatik entschied man sich dort zunächst für ein abwartendes, konservatives Prozedere. Im weiteren Verlauf erfolgte bei narbig verzogenem Vestibulum im Bereich der Unterlippe eine Lösung der funktionsbehindernden Narben mit Vestibulumplastik mittels Mundschleimhauttransplantat. Nach unproblematischer Einheilung zeigte sich die Patientin zwölf Monate postoperativ beschwerdefrei bei reizlosen intraoralen Verhältnissen und regelrechtem Neurostatus.

Diskussion

Die vorliegende Kasuistik zeigt exemplarisch die schwierige Diagnosestellung bei seltenen Erkrankungen mit einer Manifestation in der Mundhöhle. Trotz zweifacher Gewinnung von repräsentativen Gewebeproben war die Erkrankung der Patientin aufgrund der multiplen Differenzialdiagnosen erst interdisziplinär durch die Zusammenarbeit des Chirurgen, Pathologen, Labormediziners, Radiologen und Pneumologen festzustellen. Wegweisend war zunächst einmal die histopathologische Darstellung von epitheloidzellhaltigen Granulomen [Cain et al., 1981]. Diese Granulome vom sogenannten Sarkoidosetyp zeigen charakteristischerweise herdförmige Epitheloidzellen mit Riesenzellen vom Langerhans-Typ und einen peripheren Lymphozytenwall.

Da verschiedenste Erkrankungen diese Granulome aufweisen können, ist die Differenzialdiagnose erschwert [Riede et al., 1999]. Zu diesen gehören die Sarkoidose, die Tuberkulose, die atypische Mykobakteriose, die Pilzinfektion, das Lymphom, die Katzenkratzkrankheit, die Toxoplasmose, die Berylliose, Fremdkörperreaktionen sowie Sarkoidose-ähnliche Läsionen bei Krebserkrankungen, Immundefekten und Medikamenteneinnahme [Prasse, 2016].

Im vorliegenden Fall konnten Tuberkulose, Mykobakteriose, Lymphom und Pilzinfektionen histopathologisch ausgeschlossen werden. Ein Befall des lymphatischen Systems lag klinisch nicht vor, sodass Katzenkrankheit und Toxoplasmose ebenfalls unwahrscheinlich erschienen. Anamnestisch konnten zudem Berylliose, Krebserkrankung und Medikamenteneinnahme ausgeschlossen werden. Daneben zeigte sich klinisch kein Anhalt für eine Fremdkörperreaktion oder ein Melkersson-Rosenthal-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung aus der Gruppe der Granulomatose, die aus der Trias periphere Fazialislähmung, Cheilitis granulomatosa und Lingua plicata besteht [Jasinska et al., 2015].

Bei der Sarkoidose (Morbus Boeck) handelt es sich um eine „granulomatöse Entzündung, die nicht durch eine andere Ursache verursacht wird und stellt somit eine Ausschlussdiagnose dar“ [Prasse, 2016]. Die Prävalenz liegt in Deutschland bei etwa 46/100.000 [Scharkoff, 1993]. Sie kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei Frauen häufiger betroffen sind [Valeyre et al., 2014]. Die Ursache ist nach wie vor ungeklärt.

Die klinische Symptomatik ist abhängig vom befallenen Organ, wobei prinzipiell jedes Organ betroffen sein kann. In den meisten Fällen findet sich jedoch eine Lungenbeteiligung mit Befall der mediastinalen Lymphknoten [Loddenkemper et al., 1998]. Bei 10 bis 15 Prozent der Patienten mit systemischem Befall findet sich eine Mitbeteiligung der Sarkoidose im Kopf-Hals-Bereich [Dash et al., 1988]. Hierbei sind vor allem Auge, Orbita, Schädelbasis, Lymphknoten, Speicheldrüsen, Nasennebenhöhlen und Mundhöhle betroffen [Chapman et al., 2017]. Die Diagnostik ist abhängig vom Organbefall und umfasst neben der klinischen Untersuchung eine pneumologische Abklärung inklusive Röntgenaufnahme des Thorax, kardiologische Untersuchung, Sonografie des Abdomens und Laboruntersuchung. Je nach Befall kann optional eine weiterführende Bildgebung (MRT, PET) durchgeführt werden [Baughman et al., 2014]. Zur letztendlichen Diagnosesicherung sollte eine Biopsie erfolgen.

Die Prognose der Sarkoidose ist gut, Spontanheilungen in bis zu 85 Prozent der Fälle sind häufig [Baughman et al., 2001]. Therapeutisch werden vor allem orale Kortikosteroide eingesetzt. Bei fehlender Symptomatik wird in Anbetracht der möglichen Nebenwirkungen und der hohen Spontanheilungsrate in der Regel ein abwartendes Prozedere bevorzugt [Judson, 2012]. Indikationen für die Therapie sind daher Herzrhythmusstörungen, eine Herzmuskelbeteiligung, ZNS-Befall sowie symptomatische Organbeteiligungen mit möglichen Schädigungen des Organsystems [Prasse, 2016]. Alternativ kann eine immunsupprimierende Therapie mittels Methotrexat oder Azathioprin erfolgen [Vorselaars et al., 2013].

Dr. Dr. Sven Holger Baum

Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie EssenKliniken Essen-Mitte

Henricistr. 92, 45136 Essen

s.baum@kliniken-essen-mitte.de

Dr. David Kreuziger

Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie EssenKliniken Essen-Mitte

Henricistr. 92, 45136 Essen

Prof. Dr. Dr. Christopher Mohr

Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie EssenKliniken Essen-Mitte Henricistr. 92, 45136 Essen

Fazit für die Praxis

  • Eine ausführliche Anamnese und die klinische Untersuchung sind im Rahmen der Diagnostik nach wie vor unerlässlich.

  • Bei seltenen Erkrankungen können die Diagnosefindung und die Therapie häufig nur interdisziplinär erfolgen.

  • Die Sarkoidose ist eine seltene granulomatöse Entzündung, die sich auch in der Mundhöhle manifestieren kann. Eine bioptische Sicherung sollte angestrebt werden.

  • Nach Sicherung der Diagnose sollte eine Weiterbehandlung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Literaturliste

Baughman RP, Teirstein AS, Judson MA, Rossman MD, Yeager H Jr, Bresnitz EA, DePalo L, Hunninghake G, Iannuzzi MC, Johns CJ, McLennan G, Moller DR, Newman LS, Rabin DL, Rose C, Rybicki B, Weinberger SE, Terrin ML, Knatterud GL, Cherniak R.: Clinical characteristics of patients in a case control study of sarcoidosis. Am J Respir Crit Care Med. 2001

Baughman RP, Judson MA.: Relapses of sarcoidosis: what are they and can we predict who will get them?  Eur Respir J. 2014

Cain H, Dhom G.: Granulome und Granulomatosen. Fischer Verlag. Stuttgart. 1981

Chapman MN, Fujita A, Sung EK, Siegel C, Nadgir RN, Saito N, Sakai O.: Sarcoidosis in the Head and Neck: An Illustrative Review of Clinical Presentations and Imaging Findings. AJR Am J Roentgenol. 2017

Dash GI, Kimmelman CP.: Head and neck manifestations of sarcoidosis. Laryngoscope. 1988

Jasinska D, Boczon J.: Melkersson-Rosenthal syndrome as an early manifestation of mixed connective tissue disease. Eur J Med Res. 2015

Judson MA.: The treatment of pulmonary sarcoidosis. Respir Med. 2012

Loddenkemper R, Kloppenborg A, Schoenfeld N, Grosser H, Costabel U.: Clinical findings in 715 patients with newly detected pulmonary sarcoidosis—results of a cooperative study in former West Germany and Switzerland. WATL Study Group. Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für die Therapie von Lungenkrankheiten. Sarcoidosis Vasc Diffuse Lung Dis 1998

Prasse A.: Diagnose, Differenzialdiagnose und Therapie der Sarkoidose. Ärzteblatt. 2016

Riede UN, Schaefer HE.: Allgemeine und spezielle Pathologie. Thieme Verlag. Stuttgart. 1999

Scharkoff T.: Epidemiologie der Sarkoidose. Pneumologie 1993

Valeyre D, Prasse A, Nunes H, Uzunhan Y, Brillet PY, Muller-Quernheim J.: Sarcoidosis. Lancet 2014

Vorselaars AD, Wuyts WA, Vorselaars VM.: Methotrexate vs azathioprine in second-line therapy of sarcoidosis. Chest 2013

David Kreuziger

Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen
Kliniken Essen-Mitte
Henricistr. 92, 45136 Essen

Prof. Dr. Dr. Christopher Mohr

Universitätsklinik für MKG-Chirurgie
Kliniken Essen-Mitte/Evang. Huyssens-Stiftung
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45136 Essen
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Dr. Dr. Sven Holger Baum

Universitätsklinik für MKG-Chirurgie Essen, Kliniken Essen-Mitte
Henricistr. 92,
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