Hygienemanagement in Corona-Zeiten

„Es gibt keinen 100-prozentigen Schutz!“

Durch die Corona-Krise bekommt das Thema Hygiene eine ganz neue Wahrnehmung, denn viele PatientInnen und Praxismitarbeiter sind verunsichert. Noch liegen keine validen Daten vor, ob und welche Auswirkungen die Hygienemaßnahmen in der Praxis auf die Pandemie haben. Sollte man jeden Patienten vorsichtshalber so behandeln, als sei er ein COVID-19-Patient oder ist das übertrieben? Prof. Dr. Lutz Jatzwauk, Leiter für den Zentralbereich Krankenhaushygiene und Umweltschutz am Universitätsklinikum Dresden, mit seiner Einschätzung zum Hygienemanagement in Zahnarztpraxen.

Fakt ist, alle an der zahnärztlichen Behandlung Beteiligten sind den Bakterien, Viren und Pilzen aus der Mundhöhle sowie den Infektionen im Blut des Patienten ausgesetzt – auch schon vor der Virusepidemie. In aller Regel haben die bestehenden und routinemäßig betriebenen Hygienemaßnahmen aber ausgereicht, diese Infektionswege weitestgehend zu beherrschen, ist Jatzwauk überzeugt, doch „einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht“. Es sei daher verständlich, dass bei einer neuen Infektionskrankheit, bei der keinerlei Antikörperschutz besteht, bisher keine Schutzimpfung möglich ist und nur begrenzte Therapiemöglichkeiten bestehen, besondere Schutzmaßnahmen für Zahnärzte und Mitarbeiter gefordert werden. Wie können die PatientInnen also möglichst risikoarm durch die Praxis gelotst werden?

Einen wesentlichen Teil zur Infektionsvermeidung trage das Patientenmanagement bei. Dafür könne der Praxisbetrieb zurzeit ausgedünnt und die Patientenanzahl so begrenzt werden, dass ein Aufenthalt im Wartezimmer vermieden oder zumindest die Einhaltung des Abstands von eineinhalb bis zwei Metern gewährleistet wird. Die Terminvereinbarung wird telefonisch oder online durchgeführt, ebenso die Abfrage der Informationen zur anstehenden Behandlung.

Maskenpflicht auch in Zahnarztpraxis sinnvoll

Beim Betreten der Praxis werden die PatientInnen dazu angehalten, sich die Hände zu desinfizieren und einen Mund-Nasen-Schutz oder eine Maske zu tragen. Diese(r) wird bis unmittelbar vor der Behandlung getragen und dann unter Anweisung korrekt und separat abgelegt, rät der Hygieneexperte. „Wenn das Personal und die Patienten (soweit möglich und zumutbar) bei Unterschreitung der Abstandsregelung einen Mund-Nasen-Schutz tragen, ist eine optimale Prävention gewährleistet. Da das in Verkehrsmitteln und Einkaufszentren durch das RKI empfohlen wird, macht das in der Zahnarztpraxis auch Sinn.“

Eine erweiterte Desinfektion der Waschräume und vor allem deren regelmäßige Belüftung sind weitere Maßnahmen in der Zeit der Epidemie.

Auch die Raumluft und deren mögliche Desinfektion und Reinigung von erzeugten Aerosolen ist ein Thema auf der Agenda der Praxishygiene. Noch gibt es keine validierten Angaben zu der Handhabung hier. Nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Beschaffenheit der Behandlungsräume und deren zahlreichen Oberflächen gibt es bislang kein pauschal wirksames und geprüftes Anwendungskonzept. Die Oberflächen- und Raumdesinfektion durch UVC-Lampen, wie sie in der streng kontrollieren Lebensmittelindustrie angewandt wird, kann nur bedingt auf die Zahnarztpraxis übertragen werden. In jedem Fall ist das Lüften nach jeder Behandlung hilfreich, die belastete Luft gegen Frischluft auszutauschen.

Jatzwauk schätzt diesen Bereich bislang so ein: „Da das größte Risiko bei der direkten Patientenbehandlung in unmittelbarer Nähe der Atemwege entsteht (Tröpfchen und Aerosole) und diese in der höchsten Konzentration im Abstand von zwei Metern von der Mundhöhle auftreten, halte ich eine komplette Raumluftdesinfektion im Behandlungszimmer nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand für nicht sinnvoll. Entsprechende Verfahren die eine Filtration der Raumluft oder eine physikalische oder chemische Raumluftdesinfektion ermöglichen, werden seit Längerem in Krankenhäusern eingesetzt, sind aber für Zahnarztpraxen nicht praktikabel. Die dem Wasser der Dentaleinheit zugefügten Biozide haben vermutlich nur geringe Auswirkungen auf potenziell kontaminierte Aerosole, da die Einwirkzeit nur Sekunden beträgt.“

Vielmehr sollte größter Wert auf die wirksame und trainierte Spraynebelabsaugung beim Einsatz wassergekühlter Übertragungsinstrumente gelegt werden. Denn durch die Nutzung der Spraynebel-Absaugung ist eine Reduktion des Spraynebels von durchschnittlich 60 Prozent möglich. Jatzwauk bedauert, dass die praxiserprobten Absaugregeln heute nur noch ungenügend vermittelt werden.

Dazu zählen:

  • Die Assistenz führt mit einer Hand die Spraynebel-Absaugkanüle und mit der anderen den Patientenkopf. Der Zahnarzt führt das Präparationsinstrument und leistet bei Bedarf auch Haltearbeit.

  • Der Zahnarzt und die Assistenz müssen durch richtige Lagerung des Patienten einen guten Einblick in die Mundhöhle haben.

  • Das Abhalten von Lippe, Wange und Zunge verbessert die Sicht und die Platzverhältnisse in der Mundhöhle.

  • Das Präparationsinstrument darf in seiner freien Führung nicht von der Absaugkanüle behindert werden.

  • Die Kanülenöffnung muss möglichst nahe an das unmittelbare Arbeitsgebiet herangeführt werden, um den Spray nach der Kühlung des Präparationsgebiets möglichst vollständig zu erfassen.

  • Die Absaugkanüle wird von der Gegenseite zur Behandlungsseite geführt.

  • Die Hand, die die Spraynebel-Absaugkanüle führt, muss sicher abgestützt sein, um eine vorzeitige Ermüdung zu vermeiden.

  • Die Lippe darf nicht zwischen Spraynebel-Absaugkanüle und Zahnreihe eingeklemmt werden.

  • Während des Absaugens am liegenden Patienten sollte ein kleiner Flüssigkeitsrest in der Mundhöhle verbleiben. Dadurch wird eine gute Abdichtung zwischen Zungenrücken und Gaumensegel ausgelöst (freie Nasenatmung vorausgesetzt). Einer Aspiration beziehungsweise einem Verschlucken wird dadurch vorgebeugt.

  • Beim Absaugen im Unterkiefer von der lingualen Seite muss die Spraynebel-Absaugkanüle die Zunge vorsichtig abhalten. Sie darf bei einer solchen Stellung nicht zu weit nach dorsal geführt werden (Herabdrücken des Zungenrückens), da sonst der Würgereflex provoziert und der Rachenverschluss geöffnet wird.

  • Die behandschuhten Finger eignen sich zum Abhalten von Lippe beziehungsweise Wange zur Eröffnung des Vestibulums besser als ein Mundspiegel (außer im Molarengebiet).

  • Am Ende einer Behandlungsphase wird eine Schlussabsaugung durchgeführt. Dazu wird der Patientenkopf auf die Seite der Assistenz rotiert. Die Restflüssigkeit wird von der Wangeninnenseite abgesaugt.

Da eine Infektion möglicherweise unbemerkt bleibt, müssen alle etablierten Hygieneregeln stets bei allen PatientInnen eingehalten und die verwendeten Schutzmaterialien sachgerecht und sicher als Praxisabfall  entsorgt werden.

Notfallversorgung von infizierten und unter Quarantäne stehenden Patienten

1. Räumliche oder organisatorische Trennung der an COVID-19 erkrankten Patienten von den Patienten der Normalsprechstunde.

2. Vor Betreten der Praxis legt der Patient einen Mund-Nasen-Schutz (chirurgisch oder textil) an und er desinfiziert sich die Hände. Er wird sofort ins Behandlungszimmer geführt. Er legt den MNS erst unmittelbar vor der Behandlung ab.

3. Vor der Behandlung ist die Mundhöhle des Patienten mit einer antiviralen Lösung zu spülen. Gegenwärtig können dazu Lösungen auf der Basis von Octenidin, PVP-Iod oder H2O2 empfohlen werden, auch wenn es dafür bisher keine wissenschaftliche Evidenz gibt.

4. Die besondere (zusätzliche) Schutzkleidung des Teams besteht aus einem Schutzkittel. Chirurgischer Mund-Nasen-Schutz, Visier sowie Schutzhandschuhe gehören zur Standardhygiene.

5. Auf Aerosol-produzierende Behandlungsmaßnahmen sollte möglichst verzichtet werden. Dies erreicht man durch einen weitgehenden Verzicht auf Ultraschallhandstücke, Turbinen, Pulverstrahlgeräte und piezochirurgische Geräte.

6. Ist ein Einsatz wassergekühlter Übertragungsinstrumente notwendig, muss das Team anstelle des chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes eine FFP2/3-Maske tragen. Kofferdam ist empfehlenswert. Auf eine effiziente Sprühnebelabsaugung ist zu achten.

7. Nach der Behandlung und vor Ablegen der Schutzkleidung erfolgt eine Desinfektion der Schutzhandschuhe. Nach Ablegen der Schutzhandschuhe sind die Hände zu desinfizieren.

8. Bei der Hände-, Instrumenten- und Flächendesinfektion, der Wäscheaufbereitung sowie der Abfallentsorgung sind keine Abweichungen vom routinemäßigen Verfahren erforderlich.Deutscher Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin

Bislang liegt keine offizielle Meldung zu einer Infektion mit SARS-CoV-2 in einer deutschen Zahnarztpraxis vor. Wenn alle Beteiligten die ohnehin strengen Hygieneschutzmaßnahmen einhalten und nachweislich infizierte PatientInnen weiterhin in die Schwerpunktpraxen überwiesen werden, können zahnärztliche Behandlungen durchgeführt werden. Hygiene war, ist und bleibt das oberste Gebot und jegliche Routine muss immer wieder selbst überprüft werden.

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