So funktionieren die Tracing-Apps unserer EU-Nachbarn
Nach mehreren Terminverschiebungen und Diskussionen um Datenschutzbedenken ist aktuell wenig bekannt zur konkreten technischen Umsetzung der deutschen „Corona Warn App“. Ersten öffentlichen Dokumenten der beiden mit der Entwicklung betrauten Unternehmen SAP und Telekom auf der Entwicklerplattform zufolge arbeitet die App nach den Vorgaben der von Apple und Google zur Verfügung gestellten Schnittstelle.
Nutzer erhalten zufällige IDs, die sich regelmäßig ändern. Bei einem räumlich engen Kontakt über eine definierte Zeit tauschen die Geräte von App-Nutzern über Nahfeldkommunikation diese IDs aus. Alle Daten werden zunächst lokal auf dem Smartphone des Nutzers gespeichert. Erst wenn ein Anwender sich in der App als positiv getestet identifiziert, können diese Kontakt-IDs übermittelt werden, um andere App-Nutzer zu warnen.
Wie das Onlineportal heise online berichtet, benötigten Nutzer einen TAN-Code, um sich positiv zu melden. Dieser soll vom Gesundheitsamt zusammen mit dem Testergebnis mitgeteilt werden. Das soll verhindern, dass Anwender sich fälschlich als positiv melden und so das System sabotieren, heißt es.
Für Irritationen bei Fachleuten sorgte die Information, dass die App auch einen Hinweis darauf liefern können soll, dass beim behandelnden Arzt das eigene Testergebnis vorliegt. Wie es der App gelingen soll, einen Nutzer, der nur durch temporäre, pseudozufällige IDs bekannt ist, mit einem spezifischen Testergebnis in Verbindung zu bringen, ohne die Anonymität des Nutzers der App aufzuheben, bleibt offen, schreibt heise online.
Laut den vorliegenden Dokumenten soll das Robert Koch-Institut (RKI) außerdem in die Lage versetzt werden, die Parameter zur Risiko-Score-Bestimmung im laufenden Betrieb der App einzustellen. So lasse sich steuern, wann das System einen Kontakt als gefährlich ansieht beziehungsweise wie viele App-Nutzer gewarnt werden, wenn sich eine Kontaktperson als positiv getestet meldet.
Damit die App zum Erfolg wird – Studien zufolge braucht es eine Bevölkerungsbeteiligung von etwa 60 Prozent zur epidemiologischen Wirksamkeit – hat das Bundespresseamt die Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ mit dem Design und einer Kampagne beauftragt. Während die Programmierung noch nicht abgeschlossen ist, steht das blau-rote Design einem Bericht des SPIEGEL zufolge fest. An den Slogans werde noch gefeilt. Zwei Kandidaten lauten „Diese App kann nichts, außer Leben retten“ und „Kleine App, große Wirkung“.
Dänemark
Die dänische Regierung hat mit dem IT-Dienstleister Netcompany eine digitale Lösung entwickelt, mit der die nationalen Sperrbeschränkungen gelockert werden sollen. Diese Lösung besteht aus zwei Apps: 1. dem „COVIDmeter“, in das Benutzer Symptome eingeben können. Die Plattform ist mit dem Statens Serum Institut (SSI) verbunden, der für Infektionskrankheiten zuständigen Abteilung des dänischen Gesundheitsministeriums.
Teilnehmer beantworten freiwillig einen wöchentlichen Fragebogen über ihre Gesundheit, einschließlich der Frage, ob sie auf das Virus getestet wurden oder nach ihrem Wissen mit ihm in Kontakt gekommen sind. Die Anmeldung ist mit einem ähnlichen Schutz wie beim Online-Banking gesichert, und alle identifizierenden Informationen stehen der SSI nur in pseudo-anonymisierter Form zur Verfügung, um einen möglichen Missbrauch zu verhindern, heißt es in einem Medienbericht.
Außerdem gibt es für das Tracing der Bürger die „Mobile Proximity App“. Diese nutzt Bluetooth, um einen länger andauernden Kontakt mit anderen App-Benutzern innerhalb eines Radius von zwei Metern zu erkennen und Benutzer auf das Ausmaß ihres sozialen Kontakts aufmerksam zu machen. Die Gesundheitsbehörden hoffen, dass dies hilft, die Bewegung des Virus zu verfolgen, soziale Distanzierung zu überwachen und gutes Verhalten zu fördern. Die App wird aktuell landesweit eingeführt.
Niederlande
In den Niederlanden heißt die App „PrivateTracer“. Wie der Hersteller mitteilt, gehöre „die Gewährleistung von Privatsphäre, Sicherheit und Ethik“ zu den angewendeten Designprinzipien. Die App ist eine Initiative der gemeinnützigen, Open-Source-, Public-Private-Partnerschaft PrivateTracer.org. Der Quellcode und die Dokumentation sind öffentlich verfügbar.
Die Initiative gibt sich auf ihrer Website selbstkritisch: „Ist eine App ein wirksames Werkzeug im Kampf gegen COVID-19? Wir wissen es noch nicht. Das wollen wir mit dem PrivateTracer-Projekt herausfinden.“ Ziel sei, durch das Erstellen und Testen zu klären, „ob eine App ein effektives Werkzeug sein kann und wird, um das Virus zu reduzieren und unsere Gesellschaft weiter zu öffnen“. Die Wirkungsweise ist Bluetooth-basiert, die Daten werden dezentral abgelegt.
Belgien
Belgien setzt auf ein Tracing-Konzept ohne App. Stattdessen gibt es Medienberichten zufolge ein Callcenter mit rund 2.000 Mitarbeitern, die sich mit COVID-19-Positiven in Verbindung setzen und Kontaktpersonen erfragen und diese benachrichtigen. Die Kontaktdaten erhalten die Callcenter-Mitarbeiter vom jeweiligen Hausarzt. Der Name der infizierten Person wird gegenüber den Benachrichtigten geheimgehalten, heißt es. Die Teilnahme ist freiwillig.
Besonderheit: Es genügt auch schon der dringende Verdacht des behandelnden Arztes, dass sein Patient erkrankt ist, um die Kontakt-Verfolgung auszulösen. In diesem Fall wird das Testergebnis nicht abgewartet, heißt es.
Luxemburg
Auch Luxemburg setzt auf persönliches Tracing per Telefon, wie auch schon zu Beginn der Pandemie. Positiv getestete Menschen werden von der 100 Mitarbeiter umfassenden Tracing-Einheit der Gesundheitsinspektion persönlich kontaktiert. Dabei wird ermittelt, mit wem der Infizierte in den vergangenen zwei Wochen Kontakt hatte. Im zweiten Schritt werden die ermittelten Kontaktpersonen dann von den Mitarbeitern der Tracing-Einheit kontaktiert. Die Regierung zieht persönliches Tracing bewusst den umstrittenen Smartphone-Anwendungen vor.
Es sei falsch anzunehmen, dass Tracing-Apps sicher wären, sagte Premierminister Xavier Bettel in einem Interview. Aus Datenschutzgründen steht die Regierung der Einführung einer entsprechenden Anwendung immer noch skeptisch gegenüber.
Frankreich
Die französische App „StopCovid“ hat eine Debatte über die Ethik der digitalen Überwachung ausgelöst. Und das, obwohl die Technik anstelle von GPS ausschließlich Bluetooth-Daten erfasst und verarbeitet. Präsident Emmanuel Macron hatte darum betont, die App sei „auf freiwilliger und anonymer Basis“, die Daten würden nach der Krise vernichtet. Die Technik könne jedoch nur funktionieren, wenn die Franzosen ihr vertrauten.
Ob es dazu kommt, ist offen: Erst Ende April hatten einem Medienbericht zufolge eine Vielzahl französischer Kryptografie- und Sicherheitsforscher einen offenen Brief unterzeichnet, um auf die potenziellen Risiken einer Kontaktverfolgungs-App aufmerksam zu machen. Es sei wichtig, die gesundheitlichen Vorteile einer digitalen Lösung mit Spezialisten gründlich zu analysieren, heißt es demnach.
Die App ist nach Auskunft der französischen Regierung mittlerweile fertig programmiert, aktuell laufen Tests, heißt es. Wenn diese erfolgreich sind, soll in der letzten Maiwoche eine im April verschobene parlamentarische Debatte stattfinden und die App ab dem 2. Juni verfügbar sein.
Schweiz
Die Schweizer verfügen mit der „Proximity-Tracing-App“ bereits über die nötige Technik, die auf einer dezentralen Speicherung aufbaut und auch schon in der Schweizer Armee getestet wurde. Doch bei den National- und Ständeräten gibt es zahlreiche Skeptiker, laut einer Umfrage will nur eine knappe Mehrheit der Parlamentarier die Tracing-App bei sich selbst installieren.
Das Parlament hat daraufhin am 5. Mai beschlossen, dass erst eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden müsse. Die Regierung hatte die App eigentlich so schnell wie möglich geplant – nun soll erst ein öffentlicher Test der App stattfinden. Die Testphase soll bald beginnen und „einige Wochen“ dauern. Einem Medienbericht zufolge ist mit der breiten Einführung der App nun frühestens im Juli zu rechnen.
Österreich
Österreich gehörte mit der seit Mitte März verfügbaren und mittlerweile mehr als 400.000-mal installierten App zu den ersten Ländern in Europa, die eine Mobilanwendung zur Nachverfolgung von Corona-Infektionsketten einsetzen, berichtet heise online. Die „Stopp-Corona-App“ soll nach einiger Kritik von Datenschützern zum Vorzeigemodell für Europa werden. Dazu stellten die Macher ihren Quellcode den drei österreichischen Bürgerrechts- und Forschungsorganisationen Epicenter.works, Noyb und SBA Research zur Verfügung.
Diese haben der App nach einer technischen und rechtlichen Analyse demnach ein „gutes Ausgangsniveau“ bescheinigt. Die Prüfer hielten jedoch ein „Offline-Tracking von Geräten“ etwa via Bluetooth für möglich. Eine weitere Kritik der Datenschützer: Weil beim Datenaustausch Systeme von Google und Server von Amazon zum Einsatz kommen, könnten grundsätzlich auch US-Behörden Zugriff auf die Daten haben. Bis spätestens Ende Mai sollen diese Probleme aber behoben sein, stellte der App-Hersteller in Aussicht.
Tschechien
In Tschechien wird die von einer Gruppe tschechischer IT-Experten unter dem Namen COVID19CZ entwickelte App gerade im Süden des Landes getestet. Nach vielversprechenden Ergebnissen sind die Behörden nun daran interessiert, das System im Rest des Landes umzusetzen, heißt es in einem Medienbericht. Die App erstellt eine Karte der Bewegungen von Infizierten.
Durch die Verfolgung der Daten von Mobiltelefonen und Kartenzahlungen, die Coronavirus-Patienten in den letzten fünf Tagen getätigt haben, können die Gesundheitsbehörden Personen identifizieren, die möglicherweise mit ihnen in Kontakt gekommen sind.
Die Behörden setzen sich dann mit diesen Personen in Verbindung und unterstellen sie einer dreitägigen Quarantäne, bis sie auf COVID-19 getestet werden. Laut dem tschechischen stellvertretenden Gesundheitsminister Roman Prymula, dem Hauptkoordinator des Projekts, nahmen 150 Personen an der Testphase des Systems teil. Trotz der weitreichenden Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger hat es in Bezug auf das Thema Datenschutz nur eine sehr begrenzte öffentliche Debatte gegeben.
Polen
Für die Behörden in Polen entwickelte die in England eingetragene Protego App Ltd. eine Bluetooth-basierte mobile App namens ProteGO: Diese warnt Benutzer, wenn sie mit jemandem in Kontakt gekommen sind, der positiv auf das Virus getestet wurde. Wird eine Person krank, kann sie ihren Status in der App anonym ändern. Die App benachrichtigt dann alle Benutzer, die in den vergangenen Wochen Kontakt mit der Person hatten, zeigt mögliche Risiken auf und berät über geeignete Schritte, teilt der Hersteller mit.
Die Daten werden einem Medienbericht zufolge verschlüsselt zwei Wochen lang im Telefon gespeichert, aber nach Angaben des polnischen Digitalministeriums nirgendwohin gesendet und nicht zum Sammeln von Daten über den Standort der Benutzer verwendet.