Dr. Jürgen Fedderwitz wird 70 Jahre

„Wir galten als die Abtrünnigen der Standespolitik“

14 Jahre stand Dr. Jürgen Fedderwitz an der Spitze der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), erst als ehrenamtlicher, dann als hauptamtlicher Vorsitzender und schließlich als Stellvertreter. Die Mehrkostenregelung bei Füllungen und das Festzuschusssystem bei Zahnersatz gehören zu den Errungenschaften für die Zahnärzteschaft in seiner Amtszeit. Am 25. Juli feiert er seinen 70. Geburtstag.

Herr Dr. Fedderwitz, Sie wurden 2003 – damals noch – ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der KZBV, zuerst ernannt, 2005 dann gewählt. Vor welchen Herausforderungen standen Sie?

Dr. Jürgen Fedderwitz:

Das begann schon, als ich 1994 in den ehrenamtlichen KZBV-Vorstand unter Dr. Karl Horst Schirbort gewählt wurde, um im Ernstfall zwischen dem vermeintlichen Ideologen Schirbort und seinem angeblich technokratischen Vize Dr. Peter Kuttruff vermitteln zu können. Den einen galt ich als weicher Konsensling, den anderen als ideologisch gefestigter Kompromisssuchender – je nach Freund-Feind-Lage.

Geprägt waren diese Jahre für mich von unzähligen Arbeitssitzungen zum Konzept der Vertrags- und Wahlleistungen, für uns damals das einzig sinnvolle Instrument gegen die Folgen der unseligen Budgetierung, aber auch schon zukunftsweisend hinsichtlich der Therapiealternativen bei gleichem Befund in der Versorgung. Sie waren aber auch gezeichnet von einigen zahnärztlichen Stammtisch-Strategen, die manchen Kontakt zur Politik vereisen ließen. Die Parole war damals „Raus aus der GKV!“ – gesungen von manchen Generälen der Standespolitik, nur fehlten die Soldaten, die mitsangen.

Dann kam die Hauptamtlichkeit und Sie wurden der erste hauptamtliche KZBV-Vorsitzende: Wie war das für Sie als überzeugter Freiberufler?

Das waren schwierige Zeiten. Der Freie Verband war ja über Jahrzehnte die politische „pressure group“ der Zahnärzteschaft und stellte wesentlich die Funktionsträger in den Körperschaften. Nun hatte er sich mit seinen unseligen „Bremer Beschlüssen“ zur Hauptamtlichkeit für das kommende Jahrzehnt nicht nur politisch ausgeklinkt, sondern giftete auch mit persönlichen Angriffen gegen jene, die bereit waren, Funktionen in diesem neuen, ungeliebten und nicht willkommenen System zu übernehmen.

Wir, die dazu bereit waren, galten schnell als die Abtrünnigen der Standespolitik. Doch wir waren der Meinung, dass es politisch klüger sei, innerhalb dieser neuen Strukturen die Ziele des Verbands weiter zu verfolgen als es anderen, womöglich nur Nicht-Zahnärzten, zu überlassen. Die Implementierung des Festzuschusssystems in die GKV gab uns letztlich recht, der Freie Verband hat längst seinen Kurs geändert.

Womit wir schon mitten im Thema sind – Ihren Hauptanliegen als Vorsitzender.

Ich hatte ja nun das Glück, dass zu Beginn meiner Amtszeit die Mehrkostenregelung in der Füllungstherapie und die bundesweite KFO-Positivliste eingeführt wurden – seinerzeit von Hessen wesentlich entwickelt, als ich dort Vorsitzender war. Eine erste Bewährungsprobe bestand der neue Vorstand mit der BEMA-Umrelationierung, deren Ergebnisse ja auch in Teilen der Kollegenschaft kritisch gesehen wurden. Der Gesetzgeber hatte uns und die Krankenkassen dazu gezwungen, gemeinsam die BEMA-Leistungen entsprechend einer „ursachengerechten, zahnsubstanzschonenden und präventionsorientierten Versorgung“ kostenneutral neu zu bewerten. Das führte bekanntlich zu einer Aufwertung zahnerhaltender Maßnahmen und einer Abwertung bei ZE, KFO und PAR.

Die Kassen und die KZBV brachten jeweils eigene Zeitmessstudien zu den einzelnen BEMA-Leistungen ein, die natürlich unterschiedlich waren, aber nicht so weit auseinander, dass man nicht doch zu einer Übereinkunft kommen konnte. Trotz der zum Teil massiven Kritik aus den eigenen Reihen, besonders der Kieferorthopäden, aber auch der Parodontologen, bekamen wir die Umrelationierung hin.

Was natürlich auch ein Beweis dafür war, dass die Politik mitgespielt hat ...

 ... ja, ich glaube, die Konsequenz, die der Vorstand hier an den Tag gelegt hat, hat unsere Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit bei der Politik nur gestärkt und die Vertrauensbasis gefestigt. Das waren kurze Zeit später, als es um das ZE-Festzuschusssystem ging, nach meinem Eindruck wesentliche Grundlagen des Erfolgs.

Sie sprechen das ZE-Festzuschusssystem an, was ja den gelungenen Endpunkt einer jahrelangen Diskussion um Vertrags- und Wahlleistungen in der Zahnmedizin darstellte. Das war kein Alleingang der KZBV, oder?

Die konzeptionelle Entwicklung des FZ-Systems war keine einsame Sache des KZBV-Vorstands, sondern ein Projekt, das zusammen mit einigen KZV-Vertretern strukturiert wurde. Natürlich hatte der KZBV-Vorstand hier die Führung. Aber die gestalterische Umsetzung lag allein in den Händen von uns Zahnärzten. Und ich erinnere mich noch gern an unseren segensreichen Entschluss, nicht allein durch uns Vorständler die Politik von den Vorteilen des neuen Systems überzeugen zu wollen. Wir holten uns die Unterstützung des damaligen Präsidenten der DGZMK, Prof. Wilfried Wagner aus Mainz, der es in den folgenden Monaten glänzend verstand, mit der – auch professoralen – Aura des Wissenschaftlers die Vorzüge der neuen Regelung für die Patienten, nämlich die Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt, zu vermitteln.

Kurzbiografie Dr. Jürgen Fedderwitz

  • Geboren am 25. Juli 1950 in Bremen

  • 1969 bis 1974 Studium der Zahnmedizin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz

  • Nach Assistenzzeit und Promotion 1980 Gründung einer eigenen Praxis in Wiesbaden

  • 1992 bis 2004 Vorsitzender der KZV Hessen

  • 1994 Berufung in den ehrenamtlichen Vorstand der KZBV unter Dr. Karl Horst Schirbort

  • 2002 bis 2003 stellvertretender Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstands der KZBV unter Dr. Jürgen Löffler

  • 2003 bis 2005 ehrenamtlicher Vorsitzender der KZBV

  • 2005 bis 2013 hauptamtlicher Vorsitzender der KZBV

  • 2013 bis 2017 Stellvertretender Vorsitzender der KZBV

  • 2005 bis 2017 Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)

  • Seit 2013 Mitglied im Kuratorium des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

  • 2015 Vorsitzender des Stiftungsrats des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)

  • Sonstige Mitgliedschaften: Akademie Praxis und Wissenschaft (APW), Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro), Neue Arbeitsgruppe Parodontologie (NAgP), Freier Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ), Pierre Fauchard Academy

Dennoch – es brauchte doch auch ein passendes politisches Klima, in dem das Konzept umgesetzt werden konnte ...

Auf jeden Fall. Die Einführung des neuen Systems war nach meiner Auffassung nur unter dieser rot-grünen Regierung möglich. Mit der SPD – damals ja noch große Volkspartei – in der Opposition wäre das nicht möglich gewesen, denn sie hätte sich sicher mit den Gewerkschaften solidarisiert, die zu Beginn massiv gegen die Festzuschüsse agitierten.

Und ab dann ging alles wie von selbst?

Mitnichten! Die ersten 12 bis 15 Monate nach Einführung des FZ-Systems waren harte Zeiten. Zahntechniker und STERN mobilisierten die öffentliche Meinung und schürten die Kontra-Stimmung. So lud mich das ZDF zum kritischen Interview ins Morgenmagazin ein. Wir vom Vorstand mussten fürchten, dass die Politik wieder – wie weiland Horst Seehofer – die Reißleine zieht. Doch hier zolle ich Ulla Schmidt großen Respekt und Dank. Zusammen mit ihr hatte ich eine große Leser-Telefonaktion bei BILD, wo sie das neue System vehement verteidigte. Das hat mich schon beeindruckt.

Also ein großes Plus bei den Festzuschüssen. Verlief es in Ihrer Amtszeit im Bereich Parodontologie auch so reibungslos?

Leider habe ich in meiner ersten Amtszeit nicht alles geschafft, was ich mir vorgenommen habe. In meiner Amtszeit sind wir in der Paro nicht weiter gekommen. Wir haben zwar zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie und der BZÄK 2010 ein Konzeptpapier entwickelt, dem aber die KZBV-Vertreterversammlung aus mehreren Gründen die Gefolgschaft verweigerte.

Beim zweiten Anlauf mit denselben Partnern und eigentlich den überwiegend identischen, nur am aktuellen wissenschaftlichen Stand aufgefrischten Inhalten ist es jetzt ja endlich als Position der Zahnärzteschaft in einer Entscheidungsphase beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angekommen.

Und die überfällige Abschaffung der strengen Budgetierung ist mir in meiner Zeit als KZBV-Vorsitzender auch nicht gelungen, das schaffte erst mein Nachfolger, der jetzige Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer.

Apropos Nachfolge: Nach neun Jahren Amtszeit als KZBV-Vorsitzender erfolgte Ihre Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden. Was waren die Hintergründe?

Das war eine Absprache unter uns Vorständen zu Beginn der zweiten Amtsperiode. Es gab seinerzeit auch Spannungen im Vorstand, gleichwohl sollten wir – das war der überwiegende Wunsch aus der Vertreterversammlung – als Team weitermachen. So einigten wir uns, dass ich nach der Hälfte der zweiten Amtszeit meinen Vorsitz abgab an Dr. Wolfgang Eßer, wir sozusagen die Ämter tauschten. Und Dr. Günther Buchholz blieb weiterer Stellvertreter. Damit wollten wir die Kontinuität in der Vorstandsarbeit sichern, was ja wohl auch gelungen ist.

Sie sind und waren der Experte auch für sperrige Themen: Stichwort G-BA und Qualitätssicherung.

Der Gesetzgeber hat dem G-BA als höchstem Beschlussgremium der Selbstverwaltung Aufgaben übertragen mit dem hehren Ziel, die Entscheidungen in einem steten Interessenausgleich der Krankenkassen auf der einen Seite und den sogenannten Leistungserbringern auf der anderen Seite zu fällen. Da war es wichtig, den zahnärztlichen Bereich als eigenen Sektor neben der Ärzteschaft und der Krankenhausgesellschaft zu etablieren. Das ist ja auch gelungen.

Aber zunehmend wird mittlerweile die G-BA-Arbeit von Beschlüssen geprägt, die alles in einen Topf werfen und die individuellen Belange und Bedürfnisse der verschiedenen Sektoren negieren. Das merkt man besonders bei Beschlüssen zur Qualitätssicherung, wo man nur zu gern die stationäre und ambulante Versorgung gleichschaltet. Und da sind wir Zahnärzte leider zu oft doppelt gekniffen: einmal durch den gedanklichen Irrweg von Politik und den quasi G-BA-Unparteiischen, die ja auch Stimmrecht haben, und sagen: Was für die Ärzte taugt, taugt auch für die Zahnärzte.

Und dann haben wir bei diesem Thema das Handicap, dass die Ärzteschaft schon seit mehr als 30 Jahren in Sachen Qualität aktiv ist, während die zahnärztliche Standespolitik in ihrer überwiegenden Mehrheit in jener Zeit das Thema verweigerte. Jetzt haben wir zwar in der KZBV eine sehr kompetent arbeitende Abteilung Qualitätsförderung, aber manche Messe ist schon lange gelesen.

Heute sind Sie im Weltzahnärzteverband FDI tätig – warum ist Ihnen die internationale Arbeit wichtig?

Früher habe ich den Wert und erst recht die Notwendigkeit der internationalen Arbeit unterschätzt. Heute weiß ich um die Möglichkeiten, die der Council of European Dentists (CED), die Europäische Regionalorganisation des Weltzahnärzteverbandes (ERO) und besonders die FDI haben. Vor bald sieben Jahren bin ich ins Education Committee der FDI gewählt worden, seit drei Jahren bin ich der Vorsitzende des Komitees. Wir beschäftigen uns mit der kontinuierlichen Fortbildung vornehmlich in Entwicklungs- und Schwellenländern durch eigene Fortbildungsprogramme und planen den alljährlichen wissenschaftlichen Weltkongress, der parallel zur jährlichen, mehr politischen Generalversammlung der FDI stattfindet. Wir sind ein internationales Team – neben mir Kolleginnen und Kollegen aus Polen, Italien, der Türkei, Hongkong, Japan, Indien, dem Libanon, der Elfenbeinküste und Costa Rica – und durchaus stolz auf unsere Arbeit.

Mich freut dabei immer, wenn es mir gelingt, zu diesen Weltkongressen auch Referenten von deutschen Hochschulen einladen zu können. Für den Kongress 2021 in Sydney zum Beispiel habe ich sechs Referenten aus diesem Kreis durchbringen können. Aber meine Amtszeit läuft nächstes Jahr satzungsgemäß aus und eine Wiederwahl ist nicht möglich. Das war‘s dann wohl endgültig mit der Standespolitik.

Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

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