Zahnmedizin im Knast
In der Justizvollzugsanstalt Werl in NRW sitzen bis zu 1.100 verurteilte Straftäter aus 57 Nationen ein. Abgeschottet von sechs Meter hohen Mauern und Elektrozäunen verfügt das Gefängnis über eine der größten Sicherheits verwahrungen des Landes. Doch wie sieht der Behandlungsalltag mit Patienten aus, die für Steuersünden, Drogendeals oder schwere Gewaltverbrechen bis hin zu Mord zu Haftstrafen verurteilt sind?
Es fängt an mit dem Gesetz der Überzahl, erzählt Bausch: Zum Schutz von Ärzten und Assistenten müssen immer mehr Polizisten oder Sicherheitsmitarbeiter im Raum sein als Patienten. „Selbstverletzungen und Suizidversuche sind keine Seltenheit“, betont Bausch. 87 Selbstmorde wurden in seiner Zeit als Anstaltsarzt verübt.
Denn die meisten Insassen sind psychisch und physisch in schlechter Verfassung. Wenn dann noch ein Drogenentzug hinzu kommt, kann es unangenehm für alle Beteiligten werden. „Das Leben hat sie aus der Bahn geworfen und der Knast mit seiner Enge macht sie erst richtig krank“, berichtet Bausch. Die sieben Quadratmeter kleine Zelle wirke erdrückend, der Entzug der Privatsphäre und die überwiegende Isolation seien für die Häftlinge die härteste Strafe.
Auch im Knast gilt für Ärzte die Schweigepflicht. Wenn Häftlinge während der Behandlung von ihren Taten und Geheimnissen erzählen, darf Bausch davon nichts weitergeben. Es sei denn, er bekommt Hinweise auf – geplante – Verbrechen innerhalb des Strafvollzugs.
Massiver Zahnverfall, Misstrauen, Aggressionen
Die meisten Patienten hätten eine schlechte Mundhygiene und schon in jungen Jahren schadhafte Zähne, schildert Bausch den „Behandlungsalltag“. Drogenkonsum und die dadurch oft geäußerte körperliche Unruhe und Aggression zermürbten das Gebiss durch Knirschen. Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis C seien keine Seltenheit. Geben die Inhaftierten ihren Krankheitsstatus nicht an, könne – anders als „draußen“ – die Abfrage des Immunstatus zwangsweise erfolgen. Zwar hätten die Gefängnis-Patienten hohe Erwartungen an die Ärzte, dennoch gehörten Misstrauen, Beschimpfungen und Aggressionen zum Praxisalltag. So gebe es auch viele Beschwerden über die Behandler, die meisten davon würden aber wieder zurückgezogen.
Die Häftlinge haben Anspruch auf medizinische Grundversorgung. Die Heilbehandlung wird im Regelfall übernommen. Die Kosten dafür trägt der Staat. Viele der Patienten kommen nach Jahren das erste Mal wieder in ein Behandlungszimmer und sprechen mit einem Arzt. Schwere Parodontitis, Gingivitis und massiven Zahnverfall gebe es häufiger „als in der Zahnarztpraxis draußen“, sagt Bausch. Wie bei gesetzlich versicherten Patienten bestehe das Äquivalenz-Prinzip. Die Versorgungspflicht kontrollierealler dings nicht die Krankenversicherung, sondern der Staatsanwalt. Alles was über die Grundversorgung hinausgeht, wird dem Häftling in Rechnung gestellt.
„Mit einem millionenschweren Verbrecher verhandelt man besser im Vorfeld über die Rechnung für seine neuen Implantate“, macht Bausch klar. „Sonst schickt der noch seinen Anwalt mit Anfechtungen und Mängel-Vorwürfen vorbei. Und das kann teuer werden.“
Bausch schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass die medizinische Versorgung und – vor allem – die Gespräche mit den Patienten ein wichtiger Beitrag für die Sozialgesellschaft seien, denn nur gesunde Patienten könnten wieder zurückfinden.
Zahnärztetag Sachsen-Anhalt
Neues aus der Kinderzahnheilkunde, Kariesdiagnostik und Zahnmedizin im Knast – am 25. Januar wurde der Zahnärztetag Sachsen-Anhalt in Magdeburg eröffnet.
Kammerpräsident Dr. Carsten Hünecke nutzte die Eröffnung für einen Blick auf die neue AOZ, die alte GOZ, die Probleme mit Fremdinvestoren-MVZ und die zahlreichen herausfordernden Gesetzesinitiativen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Schließlich warnte er davor, dass es auf Landesebene bei der Umsetzung der neuen zahnärztlichen Approbationsordnung zu Einsparungen an der Uni Halle kommt – das konterkariere die Bemühungen der Zahnärzte.
Die Kieferorthopädin Dr. Anja Quast vom Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Georg-August Universität Göttingen erhielt den Förderpreis 2019 der Zahnärztekammer. In ihrer Arbeit zur „Evaluation prä- und intraoperativer Kondylenposition bei Dysgnathie-Patienten – eine prospektive klinische 3-D-Studie“ untersuchte sie die zentrische Kondylenposition von Patienten im wachen und im narkotisierten Zustand.
Mit Prof. Dr. Christian Splieth aus Greifswald blickten die Teilnehmer in die Zukunft der Kinderzahnheilkunde. Denn trotz erfolgreicher Prävention fänden Zahnärzte immer noch Karies vor, besonders im Milchgebiss.
Prof. Dr. Rainer Haak, Präsident-elect der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), präsentierte „Neues in der Kariesdiagnostik – was ist klinisch sinnvoll?“. Der kariöse Prozess starte lange vor der klinisch sichtbaren Kavitation. Haak stellte die Möglichkeiten der Karies- und Restaurationseinschätzung vor und diskutierte die Frage, welche diagnostischen Informationen im klinischen Alltag wirklich benötigt werden.