Telematikinfrastruktur (TI)

Ein technisches Problem und eine gestörte Kommunikation

sr/mg/silv
Eigentlich sollte es nur der erste turnusmäßige Wechsel eines digitalen Sicherheitsschlüssels sein. Aufgrund eines nicht näher beschriebenen „Fehlers beim automatischen Aktualisierungsmechanismus“ wurde daraus aber eine kapitale Störung der Telematikinfrastruktur. Auch bei der Kommunikation der gematik hakt es: Die Fragen, wie genau es zu dem Fehler kam und wer für die Schäden aufkommt, bleiben offen.

Am 27.5.2020 gegen 10:30 Uhr wurde eine Störung in der zentralen Telematikinfrastruktur gemeldet. In der Folge war der Versichertenstammdatendienst, der beim Besuch in einer Arztpraxis durch das Auslesen der Gesundheitskarte des Versicherten automatisch vorgenommen wird, nicht möglich. Betroffen waren alle Konnektoren von T-Systems, Secunet, RISE sowie ein kleiner Anteil der CGM-Konnektoren.

Für die MitarbeiterInnen in den Zahnarztpraxen bedeutete der Zustand eine harte Geduldsprobe. Alle hoffen, dass die Zusage der gematik von Anfang Juni gilt. Damals gab sie bekannt, dass den betroffenen Praxen „keine Kosten durch die Situation entstehen sollen und sie keine Sanktionen befürchten müssen. Zum Vorgehen ist die gematik aktuell mit den verschiedenen VPN-Anbietern und deren Resellern in konstruktiven Gesprächen.“

Der stellvertretende Vorsitzende der KZBV, Dr. Karl-Georg Pochhammer, erklärte: „Für die KZBV steht fest, dass die aktuelle Störung auf keinen Fall zulasten der Zahnärztinnen und Zahnärzte gehen darf.“ Zur Anfrage der zm, wie viele Zahnarztpraxen bundesweit von der TI-Störung betroffen waren und sind, gibt die gematik keine Auskunft.

Die TI-Störung betrifft nicht alle Zahnarztpraxen

Nicht alle Praxen sind von der IT-Störung betroffen. Glück hat offenbar, wer mit der KoCoBox MED+ arbeitet. Die CompuGroup Medical antwortet auf eine Anfrage der zm: „Die KoCoBox MED+ ist nicht von dem aktuellen Ausfall von Teilen der Telematikinfrastruktur (TI) betroffen. Die überwiegende Mehrheit (mehr als 99 Prozent) der Arzt- und Zahnarztpraxen sowie alle weiteren Einrichtungen, die über den Konnektor der CompuGroup Medical Deutschland AG (CGM) an die TI angebunden sind, können den Abgleich der Versichertenstammdaten nach wie vor problemlos durchführen. Wir können unsere Kunden beruhigen.“ Dr. Eckart Pech, Vorstand Consumer & Health Management Information Systems bei CGM, erklärt: „Die Zuverlässigkeit unserer Box liegt in ihrer robusten Implementierung begründet. Dies ist das Ergebnis unserer umfassenden Erfahrung, die wir in den vergangenen Feldtests und auch in der Erprobungsphase im Vorfeld des TI-Rollouts sammeln konnten.“

BZÄK fordert ausreichende Tests für Telematikinfrastruktur

Die Sicherheit der Konnektoren ist auch BZÄK-Vorstandsmitglied Jürgen Herbert, Vorstandsreferent für Telematik der BZÄK, ein wichtiges Anliegen: „Deshalb ist es notwendig, dass weitere Komponenten der Telematikinfrastruktur im Vorfeld ausreichend getestet werden.“

Für die KZBV steht fest, dass die aktuelle Störung auf keinen Fall zulasten der Zahnärztinnen und Zahnärzte gehen darf.

Dr. Karl-Georg Pochhammer, Stellvertretender Vorsitzender der KZBV

Auch Kunden der Deutschen Telekom AG sind von der gematik-Störung betroffen. Das sind laut Unternehmenssprecher Rainer Knirsch „alle Konnektoren unserer Kunden in Praxen, Zahnarztpraxen und Krankenhäusern im fünfstelligen Bereich. Die Probleme sind in der Behebung“, erklärte er gegenüber den zm.

Eine Sprecherin von RISE erklärte auf Anfrage der zm: „Wir von RISE scheinen von der gematik-Störung weniger betroffen zu sein als andere. Aktuelle Zahlen darüber, wie viele Zahnärzte betroffen sind, haben wir derzeit leider nicht. In Deutschland haben wir rund 20.000 Ärzte als Kunden.“ Zahlen darüber, wie viele davon Zahnärzte sind, gibt es nicht.

Das österreichische Unternehmen reagierte umgehend: „Wir haben über RISE Konnektor-Utility innerhalb einer Woche einen Remote-Fix eingerichtet. Damit haben wir es binnen kurzer Zeit geschafft, dass die Störung automatisiert behoben wird. Wenn der Zahnarzt eine Aufforderung bekommt ‚Bitte akzeptieren Sie das Update‘, muss er nur auf ‚OK‘ drücken. Man muss nicht einmal bei uns anrufen. Ungefähr 80 Prozent unserer Kunden wurden auf diese Weise bisher mit Updates versorgt“, so die Unternehmenssprecherin.

In einer Pressemitteilung vom 12. Juni 2020 versicherte die gematik unter dem Titel „Kostenregelung für Störungsbehebung sichergestellt“: „Zur Behebung der aktuellen Störung können die betroffenen Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten auf die bestehenden Vertragsbeziehungen zu den IT-Servicepartnern zurückgreifen. Sie wurden mit der Installation und dem Betrieb der für den Anschluss an die Telematikinfrastruktur erforderlichen Komponenten und Dienste beauftragt.“ Die IT-Servicepartner erhielten hierfür von den Leistungserbringern eine monatliche Vergütung. „Diese [...] Betriebskostenpauschale beinhaltet auch den ‚Betrieb des Konnektors, inklusive Wartung, Support, Updates und Konfiguration‘ und somit die Verpflichtung des IT-Servicepartners gegenüber den Leistungserbringern zur Behebung der Störung.“

Um das zu sicherzustellen, wollte die gematik in Gesprächen mit den IT-Servicepartnern der medizinischen Einrichtungen darauf hinwirken, „dass die Behebung der Störung im Rahmen der Betriebskostenpauschale erbracht wird“. Über eine Lösung für etwaige Sonderfälle darüber hinaus finden intensive Gespräche statt, hieß es weiter. „Eine gute und nachvollziehbare Dokumentation durch die Betroffenen ist in diesem Zusammenhang notwendig.“

Das rät die gematik ihren Kunden

Die gematik empfahl betroffenen Praxen – sofern sie das Update nicht selbst vornehmen –, umgehend einen Termin mit ihrem IT-Servicepartner zu vereinbaren. Björn Kalweit, Leiter Operations bei der gematik, sagt: „Die aktuelle Situation erfordert das Engagement aller – das ist uns bewusst. Wir bitten auch insbesondere die betroffenen Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten, sich bei der Lösung aktiv einzubringen. Danke an all jene, die das bereits gemacht haben.“

Der Aufwand für Zahnärzte zur Behebung eines Fehlers, für den sie nichts können, muss so gering wie möglich gehalten werden.

Dipl.-Stom. Jürgen HerbertPräsident der LZK Brandenburg und Vorstandsreferent für Telematik der BZÄK

Am 18. Juni erinnerte das Unternehmen noch einmal daran, „nicht nur, aber auch zum Quartalswechsel Updates für Funktionstüchtigkeit“ durchzuführen. Kalweit erläuterte: „Alle Komponenten zur Telematikinfrastruktur-Anbindung einer Praxis müssen auf dem aktuellsten Stand sein, damit die Funktionstüchtigkeit gewährleistet werden kann. Wir erinnern daher die Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten daran, dass sie regelmäßig Updates für die Konnektoren aufspielen sollten. Wir empfehlen, den Konnektor online zu belassen und erinnern an die Pflicht der Ärzte, den Versichertenstammdaten-Abgleich durchgängig zu gewährleisten. Dazu muss der Konnektor aktiv sein.“

Auslöser der Störung war ein Wechsel des sogenannten DNSSEC-Vertrauensankers. Der Vertrauensanker ist für die Namensauflösung in der Telematikinfrastruktur notwendig. Alle dabei verwendeten Schlüssel werden über eine Vertrauenskette auf diesen Vertrauensanker zurückgeführt. Die Standards sehen einen zyklischen Wechsel des Vertrauensankers vor. Bei dem jetzt erstmaligen Wechsel gab es jedoch Fehler beim automatischen Aktualisierungsmechanismus sowie beim Fallback-Mechanismus mittels Vertrauensliste (TSL).

Eine zentrale Fehlerbehebung wurde verworfen

In der Folge vertrauten die davon betroffenen Konnektoren folgerichtig dem neuen Schlüssel nicht und bauten keine Verbindungen zu Servern in der Telematikinfrastruktur auf – der Versichertenstammdatendienst war nicht mehr möglich.

Dieser Zustand kann behoben werden, indem die aktuelle Vertrauensliste der Telematikinfrastruktur in den Konnektor geladen wird. Bei von dem Fehler betroffenen Konnektoren muss dieses durch einen Administrator durchgeführt werden. Bei einem Teil der Konnektoren kann dieses auch per Remote-Zugriff durch den Dienstleister oder mit geeigneten Tools vom Zahnarzt selbst durchgeführt werden. Eine zentrale Lösung wurde von der gematik und ihren Partnern geprüft und verworfen.

Rückfragen zu Details der Störungsursache beantwortete die gematik bis Redaktionsschluss nicht. Stattdessen hieß es, aktuell liege der Fokus darauf, „die Behebung der Störung zügig umzusetzen“. 

„Kostenregelung für Störungsbehebung sichergestellt“

Auf der Sonderwebsite der gematik zur aktuellen TI-Störung heißt es aktuell (Stand 22.6.2020, 10:30 Uhr): „Aktueller Status: Kostenregelung für Störungsbehebung sichergestellt.“ Mehr war vorerst nicht zu erfahren. Auch für den Fall, dass zusätzliche Aufwände bei der Behebung des Schadens anfallen, erhalte der Arzt keine Rechnung. Eine Mitteilung der KBV zur offensichtlich verabschiedeten Kostenübernahme ist ausführlicher: „Es sei Sache des Dienstleisters mit seinem Vertragspartner oder der gematik zu klären, wer für die Kosten aufkommt.“ Sollten Praxen dennoch eine Rechnung erhalten, lautet die Empfehlung der gematik laut KBV: „Bezahlen Sie die Rechnung nicht. Ärzte sollten sie unter Hinweis auf den Wartungsvertrag und die Absprache mit der gematik und den IT-Dienstleistern zurückweisen.“

sr/mg/silv

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.