Was verbirgt sich hinter den BEMA-Gebührenziffern für Pflegebedürftige?
Vielen Dank für diesen sehr klugen und menschlichen Aufschlag. Gerade jetzt brauchen die pflegebedürftigen Patienten Ihre Hilfe. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland belief sich Ende 2017 auf rund 3,4 Millionen Menschen – ein Anstieg um knapp 70 Prozent gegenüber der Jahrtausendwende. Die Zunahme von Pflegebedürftigkeit spiegelt sich dabei vor allem in einer kontinuierlich steigenden gesamtgesellschaftlichen Pflegequote wider: Lag sie 2001 noch bei 2,5 Prozent, beläuft sie sich derzeit auf 4,1 Prozent [Quelle: Statista]. Damit sind die Pflegebedürftigenn eine der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppen unter den zahnärztlichen Patienten. Zeit, sich mit der Zahnheilkunde und den Gebührenziffern für diese Patienten auseinanderzusetzen.
Prävention statt Intervention
Seit dem 1. Juli 2018 gilt die „Richtlinie über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen“, festgelegt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und durch den Bewertungsausschuss mit BEMA-Gebührenziffern unterfüttert. Unter § 2 der Richtlinie werden die Ziele definiert: „Erhalt und Verbesserung der Mundgesundheit einschließlich des Mund- und Prothesenhygienestandards und damit Ver-besserung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität [...] Abstimmen aller (nötigen) Maßnahmen nach dieser Richtlinie auf die Lebensumstände und die kognitiven und motorischen Fähigkeiten des oder der Versicherten sowie deren Fähigkeit zur Mitwirkung. (unter anderem Schmerzfreiheit, Essen, Sprechen, soziale Teilhabe)“ [Quelle: www.g-ba.de/richtlinien/96/].
Zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Versicherten, die einem Pflegegrad nach § 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII erhalten, wurden die neuen Gebührennummern 174a und 174b dem BEMA-Katalog hinzugefügt:
174a: Mundgesundheitsstatus und individueller Mundgesundheitsplan
Die Erhebung des Mundgesundheitsstatus umfasst die Beurteilung des Pflegezustands der Zähne, des Zahnfleischs, der Mundschleimhaut sowie des Zahnersatzes, einschließlich Dokumentation anhand des Vordrucks (Grafik 1) gemäß § 8 der Richtlinie des G-BA nach § 22a SGB V. Der individuelle Mundgesundheitsplan umfasst insbesondere folgende Angaben:
die dem Versicherten und den Pflege- oder Unterstützungspersonen zur Anwendung empfohlenen Maßnahmen und Mittel zur Förderung der Mundgesundheit einschließlich der täglichen Mund- und Prothesenhygiene, Fluoridanwendung, zahngesunde Ernährung (insbesondere des verringerten Konsums zuckerhaltiger Speisen und Getränke) sowie die Verhinderung und Linderung von Mundtrockenheit/Xerostomie; die empfohlene Durchführungs- und Anwendungsfrequenz dieser Maßnahmen und Mittel;
ob die Maßnahmen vom Versicherten selbst, mit Unterstützung durch die Pflege oder vollständig durch die der Unterstützungsperson durchzuführen sind;
die Notwendigkeit von Rücksprachen mit weiteren an der Behandlung Beteiligten sowie zum vorgesehenen Ort der Behandlung. Bei der Erstellung des Plans werden Angaben des Versicherten und der Pflege- oder Unterstützungspersonen berücksichtigt. Der individuelle Mundgesundheitsplan wird in den Vordruck gemäß § 8 der Richtlinie des G-BA nach § 22a SGB V eingetragen.
Die Leistung 174a ist mit 20 Punkten bemessen und wird über die Quartalsabrechnung abgerechnet, der Vordruck gemäß § 8 muss für jeden Patienten erfasst und der Quartalsabrechnung beigefügt werden. Die Leistung 174a ist nicht delegierbar. Das Erfassen des Bogens kann über eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter erfolgen.
174b: Mundgesundheitsaufklärung
Die Mundgesundheitsaufklärung umfasst die folgenden Leistungen:
Aufklärung über die Inhalte des Mundgesundheitsplans nach 174a;
Demonstration und gegebenenfalls praktische Anleitung zur Reinigung der Zähne und des festsitzenden Zahnersatzes, des Zahnfleischs sowie der Mundschleimhaut;
Demonstration und gegebenenfalls praktische Unterweisung zur Prothesenreinigung und zur Handhabung des herausnehmbaren ZE;
Erläuterung des Nutzens der vorstehenden Maßnahmen, Anregen und Ermutigen des Versicherten sowie dessen Pflege- oder Unterstützungspersonen, die empfohlenen Maßnahmen durchzuführen und in den Alltag zu integrieren. Bei der Mundgesundheitsaufklärung sind die Lebensumstände des Versicherten zu erfragen sowie dessen individuelle Fähigkeiten und Einschränkungen angemessen zu berücksichtigen. Sofern der Versicherte der Unterstützung durch eine Pflege- oder Unterstützungsperson bedarf, ist diese im jeweils erforderlichen Umfang in die Mundgesundheitsaufklärung einzubeziehen. Die Mundgesundheitsaufklärung erfolgt in einer verständlichen und nachvollziehbaren Art und Weise.
Die Leistung 174b ist delegierbar und ist mit 26 Punkten bemessen.
Der Nachweis des Pflegegrads gehört in die Akte
Die oben genannten Leistungen sind unbudgetiert. Neben den Gebühren 174 a/b können natürlich auch reguläre KONS-Postionen wie Zahnstein (107 a, 16 Punkte, delegierbar), RÖ und die Hausbesuch-Gebühren abgerechnet werden. Die Prothesenreinigung (BEB) und die Zahnreinigung sind auch bei dieser Patientengruppe eine Privatleistung. Für pflegebedürftige PKV-Patienten gibt es derzeit keine gesonderten Leistungen, hier wird über den GOZ-Katalog gegebenenfalls mit Analog-Positionen abgerechnet. Wichtig ist, dass der Pflegegrad nachgewiesen ist und das entsprechende Nachweisdokument als Kopie in der Akte der Praxis ist. Gleiches gilt für den Nachweis über eine Eingliederung nach § 22 SGB.
Die Mehrheit der Patienten mit Pflegegrad, fast 2,4 Millionen Menschen, werden zu Hause betreut (Grafik 2). Bereits im Jahr 2013/2014 gab es im Rahmen von Kooperationsverträgen erstmalig gesonderte Leistungen für die Versorgung von pflegebedürftigen Patienten, allerdings nur für Patienten in einer Pflegeeinrichtung. Mit den 174-Gebühren wird die Verbesserung nun auch auf Patienten ausgeweitet, die nicht in einer Pflegeeinrichtung und mit einem Kooperationsvertrag versorgt werden.
In der oben genannten Richtlinie wird eine regelmäßige Fortbildung des Zahnarztes für die Pflegepatienten empfohlen, da diese auch spezielle Konsiliartermine mit den Hausärzten und spezielle Behandlungen erfordern können. Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen sind älter als 65 Jahre, Pflegebedürftigkeit tritt zunehmend im Alter auf. Regelmäßige Fortbildungen bietet unter anderem die Deutsche Gesellschaft für AlterszahnMedizin (www.dgaz.org) an. Auch einige Zahnärztekammern haben eigene Curricula im Bereich Alterszahnheilkunde.
Fazit
Der Gesetzgeber hat mit den neuen Gebührenpositionen einen ersten zweckmäßigen Schritt in Richtung einer verbesserten Mundgesundheit und mehr Lebensqualität bei pflegebedürftigen Patienten getan. Es liegt nun an der Zahnärzteschaft, zusammen mit ihren engagierten Prophylaxe-Mitarbeitern, ein Konzept für Pflegepatienten in der Praxis umzusetzen und der stark wachsenden Nachfrage Rechnung zu tragen. Die Zahnheilkunde im Bereich Alter und Pflege kann nun aus der Praxis heraus weiterentwickelt und vorangetrieben werden. Eine einweisende Schulung ist Voraussetzung für den Start in der Praxis.
In diesem Sinne ...
Ihr Christian Henrici
Henrici@opti-hc.de, www.opti-hc.de