„We are relieved“
Wir atmen auf!“ – mit diesen Worten fasst der Londoner Zahnarzt Dr. Mike Wilson die derzeitige Stimmung in den britischen Zahnarztpraxen zusammen. Grund für das tiefe Durchatmen: Zahnärzte, Praxisassistentinnen und -assistenten und andere Praxisangestellte sind nach Angaben des Londoner Gesundheitsministeriums inzwischen zum großen Teil gegen COVID-19 geimpft.
Die Wirtschaftlichen folgen sind immens
Der staatliche britische Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) hatte deutlich früher als Deutschland und andere EU-Länder mit Massenimpfungen gegen COVID-19 begonnen. Bereits Anfang Dezember 2020 ging es los und bis Ende März waren mehr als 30 Millionen Menschen auf der Insel geimpft. Zahnärzte und Praxispersonal gehörten und gehören weiter zur zweiten Impfgruppe. Die vom Gesundheitsministerium nach Rücksprache mit Virologen und Epidemiologen bereits im vergangenen Herbst festgelegte Impfreihenfolge sorgte dafür, dass in Zahnarztpraxen zwischen London und Liverpool bereits früh vakziniert wurde.
Bis Ende Februar wurde allen Zahnärzten und jedem, der in britischen Zahnarztpraxen arbeitet und der dort direkt oder indirekt mit Patienten Kontakt hat, ein Impfangebot unterbreitet. Zwar besteht keine gesetzliche Impflicht. Dennoch sei die Akzeptanz der Impfungen – gerade im zahnärztlichen Sektor – „sehr hoch“.
So ergab eine Blitzumfrage der zm in Londoner Praxen, dass in vielen Praxen 90 Prozent oder mehr des Personals geimpft sind. Obwohl diese Zahlen nicht repräsentativ sind, zeichnen sie doch ein Bild des zahnärztlichen Sektors, der schnell und verantwortungsvoll auf die Herausforderungen der Pandemie reagierte, urteilen gesundheitspolitische Beobachter.
Wie in Deutschland hat die Pandemie in Großbritannien in den Zahnarztpraxen großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Das gilt laut British Dental Association (BDA) sowohl für private als auch für staatliche Praxen. Gespräche mit gänzlich oder überwiegend privat praktizierenden britischen Zahnärzten ergaben, dass Privatpraxen oftmals besonders hart von der Pandemie und deren Folgen getroffen sind. Einige Praxen hat das inzwischen an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben. „Dies sind und bleiben sehr schwere Zeiten für Zahnärzte“, teilte der BDA mit. Die Organisation unterstützt ihre Mitglieder seit Monaten nach Kräften mit aktuellen Informationen zum Pandemiegeschehen und dessen Folgen für den Berufsstand.
Die britische Regierung, die anders als die deutsche sehr früh mit konkreten finanziellen Hilfsangeboten an Zahnärzte und andere Berufsgruppen auf die Pandemie reagierte, verlängerte die Kurzarbeithilfen („Furlough Scheme“) bis September 2021. Konkret bedeutet das, dass Praxisangestellte 80 Prozent ihres aktuellen Gehalts erhalten, auch wenn sie nicht arbeiten. Es gibt eine Obergrenze von 2.500 Pfund (rund 2.800 Euro). Hinzu kommen diverse finanzielle Hilfspakete für die einzelnen Praxen, die in der Regel recht unbürokratisch und schnell ausgezahlt werden. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Sehr kleine Praxen erhielten Extrahilfen von 10.000 Pfund (16.000 Euro) zusätzlich.
Die Zahnmedizin ist nicht mehr zweitrangig
Gerade zu Beginn des COVID-Impfprogramms des NHS hagelte es Kritik aus der Zahnärzteschaft am Umgang der Politik mit dem Berufsstand. So mussten zum Beispiel im ersten Lockdown Zahnarztpraxen schließen, da die Regierung von Boris Johnson sie als „nicht dringend notwendig“ ansah. Zahnärzte fühlten sich ungerecht behandelt, denn andere Arztpraxen durften weiter Patienten betreuen. Seit Ende des ersten Lockdowns im Juni 2020 dürfen Zahnärzte in Großbritannien wieder Patienten behandeln, obwohl es zwischendurch immer wieder landesweite Lockdowns gab.
„In Großbritannien wird die Zahnmedizin immer noch von vielen als zweitrangig angesehen“, sagt Wilson. „Der Zahnarztbesuch ist fast wie ein Besuch beim Schönheitsspezialisten!“ Inzwischen freilich hat die Londoner Regierung ihre Prioritäten geändert und behandelt Zahnärzte besser als zu Beginn der Pandemie. Die priorisierten Impfungen für Zahnärzte und Praxispersonal zeugen davon.
Immer wieder berichteten britische Medien in den vergangenen Wochen und Monaten der Pandemie, dass die Zahngesundheit der Bevölkerung deutlich unter COVID-19-Folgen leidet. Ob ausgefallene Check-ups, verpasste Termine beim Zahnhygieniker oder durch Pandemie-Stress bedingte Zahndefekte – die Liste ist lang. Zuletzt hatte der NHS England Anfang Februar 2021 aktualisierte COVID-19-Behandlungsleitlinien für Zahnärzte und das Praxispersonal herausgegeben.
Arndt Striegler
Freier Journalist, London
kurtstriegler@gmail.com
Impfung hat bereits 6.000 Leben gerettet
Das COVID-19-Impfprogramm hat bis Ende Februar 2021 in Großbritannien mehr als 6.000 Todesfälle bei Menschen ab 70 Jahren verhindert. Das ergab eine Analyse der britischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE). Vom 8. Dezember 2020 bis Ende Januar 2021 wurden über vier Millionen Impfdosen an Menschen über 70 Jahre verimpft. Verglichen wurde die beobachtete tatsächliche Anzahl der Todesfälle mit der Anzahl der Todesfälle, die zu erwarten gewesen wären, falls das Vakzin nicht in dieser Zeit verabreicht worden wäre. Angenommen wurde dabei, dass es 31 Tage dauert, bis die Auswirkung auf den Tod beobachtet würde. Auf Basis dieser Daten schätzt die PHE, dass bis Ende Februar rund 6.100 Todesfälle verhindert wurden: 5.900 bei den über 80-Jährigen und rund 200 bei den 70- bis 79-Jährigen. Die Daten der PHE decken sich mit Schätzungen der Universität Warwick.
Die Impfkampagne in Großbritannien startete am 8. Dezember mit dem mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer, ab 4. Januar kam der Vektor-Impfstoff von AstraZeneca hinzu.
Die Bestimmung der Zielgruppen für die Impfkampagne folgten der Priorisierung, die vom britischen Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI) vorgenommen wurde. Demnach kamen Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, deren Personal sowie Menschen über 80 zuerst an die Reihe. Das Programm wurde dann im Januar ausgeweitet auf über 70-Jährige und extrem vulnerable Gruppen. Danach kamen die über 60-Jährigen im Februar und die über 50-Jährigen im März an die Reihe.