S3-Leitlinie der EFP

Die Behandlung der Parodontitis im Stadium IV

Søren Jepsen
Im Journal of Clinical Periodontology hat die European Federation of Periodontology (EFP) eine umfangreiche S3-Leitlinie zur Therapie des Stadiums IV der Volkskrankheit Parodontitis veröffentlicht. Die Leitlinie ergänzt die bereits 2020 erschienene EFP-Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis der Stadien I bis III.

Im Journal of Clinical Periodontology hat die European Federation of Periodontology (EFP), der alle europäischen parodontologischen wissenschaftlichen Fachgesellschaften angehören, unter maßgeblicher Mitgestaltung durch deutsche Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Zahnmedizin eine umfangreiche S3-Leitlinie zur Therapie des Stadiums IV der Volkskrankheit Parodontitis veröffentlicht. Die Leitlinie ergänzt die bereits 2020 erschienene EFP-Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis der Stadien I bis III.

Die Parodontitis im Stadium IV ähnelt in Schwere und Komplexität derjenigen im Stadium III, allerdings leiden die Patienten als Folge der Erkrankung zusätzlich entweder unter multiplen Zahnverlusten (≥ 5 Zähne) oder anderen weiteren Komplexitätsfaktoren wie dem Verlust der vertikalen Dimension durch eine fehlende posteriore Abstützung, pathologische Zahnwanderungen mit Auffächerung der Frontzähne, Elongationen von Zähnen, eine stark erhöhte Mobilität und eine eingeschränkte mastikatorische Funktion.

In diesen klinischen Szenarien kann es ohne eine adäquate Behandlung zum Verlust weiterer oder sogar aller Zähne kommen. Deshalb ist nicht nur eine fundierte parodontale Therapie erforderlich, sondern eine umfassende interdisziplinäre Behandlungsplanung, die auch kieferorthopädische, prothetische oder implantologische Maßnahmen beinhalten kann, um die Funktion, die Ästhetik und die Lebensqualität der betroffenen Patienten zu stabilisieren beziehungsweise wiederherzustellen. Insofern bedarf die Therapie der Parodontitis im Stadium IV in der Regel einer komplexen interdisziplinären und individuellen Behandlungsplanung, die die Beteiligung von Spezialisten unterschiedlicher zahnmedizinischer Fachdisziplinen erforderlich macht.

Genese der Leitlinie

Das Workshop-Organisationskomitee der EFP (Profs Herrera, Sanz, Berglundh, Chapple, Jepsen, Kebschull, Sculean, Tonetti) hatte diesem Umstand Rechnung getragen und neben führenden Parodontologen auch Experten aus anderen zahnmedizinischen Disziplinen zur Mitarbeit an der S3-Leitlinie eingeladen. Die nun vorliegende Leitlinie wurde mit methodischer Begleitung der AWMF (Prof. Ina Kopp) und entsprechend dem Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation (GRADE)-Prozess entwickelt. Das strikt regulierte und transparente Vorgehen umfasste die Synthese relevanter Forschung in 13 speziell in Auftrag gegebenen systematischen Reviews, die Bewertung der Qualität und Stärke der verfügbaren Evidenz, die Formulierung spezifischer Empfehlungen und einen strukturierten Konsensprozess mit führenden Experten und einer breiten Basis von Stakeholdern.

Bereits 2020 begann der aufwendige Vorbereitungsprozess der Leitlinienerstellung zunächst mit der Erstellung systematischer Reviews, die den wissenschaftlichen Hintergrund lieferten. Die Expertise deutscher Autorinnen und Autoren (Becker, Düsseldorf; Dommisch, Berlin; Jepsen, Bonn; Lukman, Frankfurt; Ramanauskaite, Frankfurt; Schaller, München; Schwarz, Frankfurt; Walter, Greifswald; Wolfart, Aachen) floss dabei in drei der 13 systematischen Übersichten ein. Pandemiebedingt konnte die eigentliche Konsensuskonferenz in Spanien dann erst im November 2021 in Präsenz stattfinden. 80 Experten aus 20 Ländern (Abbildung 1) – darunter Vertreter europäischer Fachgesellschaften aus anderen Bereichen der Zahnmedizin (Kieferorthopädie, Zahnerhaltung, Prothetik, Implantologie) haben in vier Arbeitsgruppen unterschiedliche Aspekte der Therapie einer Stadium IV Parodontitis analysiert:

  • Arbeitsgruppe 1 (Jepsen, Sanz): Die Behandlung der Stadium-IV-Parodontitis mit pathologischen Zahnwanderungen durch kombiniert parodontologische und kieferorthopädische Therapie.

  • Arbeitsgruppe 2 (Kebschull, Sculean): Die Behandlung der Stadium-IV-Parodontitis mit Zahnverlust / eingeschränkter Kaufunktion / Bisshöhenverlust durch partielle Rehabilitation mit zahn- oder implantatgetragenem Zahnersatz.

  • Arbeitsgruppe 3 (Berglundh, Papapanou, Tonetti): Die Behandlung der Stadium-IV-Parodontitis mit Zahnverlust / eingeschränkter Kaufunktion / Bisshöhenverlust durch komplette/totale Rehabilitation mit zahn- oder implantatgetragenem Zahnersatz.

  • Arbeitsgruppe 4 (Chapple, Herrera): Die Langzeitergebnisse parodontaler Therapie im Stadium IV mit Wiederherstellung der Kaufunktion und deren Auswirkung auf Lebensqualität und Allgemeingesundheit.

Ergebnisse

Im Ergebnis der Gruppenarbeit und des formalen Konsensusprozesses wurden schließlich die folgenden vier typischen Szenarien einer Stadium-IV-Parodontitis unterschieden und die jeweils erforderliche spezifische interdisziplinäre Behandlung mit entsprechenden Empfehlungen in den therapeutischen Stufenplan der Parodontitistherapie eingebettet (Abbildung 3):

Falltyp 1: Patienten mit erhöhter Zahnbeweglichkeit und sekundärem okklusalem Trauma, bei denen Korrekturen durch Schienungsmaßnahmen möglich sind. Hierzu wurden zwei Empfehlungen verabschiedet.

Falltyp 2: Patienten mit pathologischen Zahnwanderungen, gekennzeichnet durch Elongationen und Auffächerungen der Zähne, die durch eine kieferorthopädische Therapie korrigiert werden können. Hierzu wurden acht Empfehlungen und ein Behandlungsalgorithmus verabschiedet, der insbesondere die wichtige zeitliche Abstimmung zwischen PAR- und KFO-Therapie illustriert.

Falltyp 3: Teilbezahnte Patienten, die mit partiellem Zahnersatz prothetisch restauriert werden können. Hierzu wurden sieben Empfehlungen verabschiedet. Weitere sechs Empfehlungen beziehen sich gleichermaßen auf den Falltyp 4.

Falltyp 4: Teilbezahnte Patienten, die nur durch eine komplette Rehabilitation des gesamten Zahnbogens, entweder zahn- oder implantatgestützt, wiederhergestellt werden können. Hierzu wurden vier Empfehlungen verabschiedet.

Darüber hinaus wurden vier allgemeine Empfehlungen der spezifischen Betrachtung der vier Falltypen vorangestellt und weitere sechzehn Empfehlungen befassen sich mit den Langzeitergebnissen der UPT und den Auswirkungen der PAR-Therapie auf die Allgemeingesundheit und die Lebensqualität.

Bedeutung für die Praxis

Eine europäische Leitlinie kann ihre Wirkung nur entfalten, wenn sie auch auf nationaler Ebene verfügbar ist. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) wird genauso wie auch schon bei der europäischen S3-Leitlinie zur Behandlung der Parodontitis der Stadien I bis III den Prozess der Implementierung in Deutschland organisieren. Nach der Übersetzung der S3-Leitlinie ins Deutsche und der Einbeziehung einer großen Zahl von Vertretern anderer wissenschaftlicher Fachgesellschaften, der Standesorganisationen und von Patientengruppen werden alle Empfehlungen diskutiert, abgestimmt, adoptiert (übernommen) oder adaptiert (geringfügig abgewandelt und an die deutschen Verhältnisse angepasst) werden.

Aufgrund der hohen Prävalenz schwerer Parodontitis in Deutschland ist zu erwarten, dass diese Therapieempfehlungen Zahnmedizinern eine wertvolle Hilfe bei der Therapieentscheidung zur bestmöglichen evidenzbasierten Versorgung auch parodontal schwer erkrankter Patienten in den Praxen sein werden. 

Europäische S3-Leitlinie: Herrera, D., Sanz, M., Kebschull, M., Jepsen, S., Sculean, A., Berglundh, T., Papapanou, P. N., Chapple, I., Tonetti, M. S., & EFP Workshop Participants and Methodological Consultant (2022).Treatment of stage IV periodontitis: The EFP S3 level clinical practice guideline. Journal of Clinical Periodontology, 49(Suppl. 24), 4–71. https:// doi.org/10.1111/jcpe.13639

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