Die kleinen Wunderkammern der Zahnmedizin
Zu sehen ist die Arbeit im Borsighaus der BZÄK in Berlin-Mitte. Das Kunstwerk verteilt sich über die historischen Korridore – daher der Titel – und besteht aus 17 Vitrinen. Mit der Präsentation der historischen Zahnwerkzeuge will die BZÄK das Bewusstsein um die Geschichte des Berufsstands und seine Entwicklung wachhalten, ohne dabei museal zu wirken.
Nach dem Umzug der BZÄK 2001 von Köln nach Berlin wollte der damalige Vorstand den Blick nach vorn richten – und wie kann man diese Haltung besser ausdrücken als mit zeitgenössischer Kunst? Es sollte also ein Neuanfang werden, allerdings einer, der auf der langen Tradition aufbaut. Deshalb haben einige Stücke aus der historischen zahnmedizinischen Sammlung aus Kölner Zeiten – leicht verfremdet – Einzug ins Werk Durhams gefunden.
Jede Vitrine ist selbst eine Skulptur
Als Künstler schien Durham die perfekte Wahl für das Vorhaben. Schließlich beruht seine Kunst auf den Prinzipien des Sammelns, Bewahrens und Verfremdens von gefundenen, banalen und fragmentarischen Objekten. Seine Absicht war, „alles so einer Metamorphose zu unterziehen, dass im Rahmen eines Kunstwerks daraus eine neue Existenz entsteht“, wie der Kunsthistoriker und Kurator für zeitgenössische Kunst, Dr. Friedrich Meschede, damals festhielt.
In den 17 Vitrinen habe Durham „kleine Wunderkammern“ geschaffen. Die Vitrine als Rahmen sei ideal, um in ihrem abgeschlossenen Bereich eigene kleine Geschichten zu erzählen. Werkzeuge, die einmal wegen ihrer Funktion entwickelt wurden, präsentiert Durham somit in einem ganz neuen Kontext. Und jede Vitrine ist zugleich selbst eine Skulptur.
„Die 17 Vitrinen, die Durham für die Geschäftsstelle der Bundeszahnärztekammer entwickelt hat, wirken einzeln, als Gruppe sowie im Zusammenspiel mit der Architektur der Räumlichkeiten als Gesamtkunstwerk“, betont der Ehren-Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, der zu dieser Zeit der BZÄK vorstand. „Durch diese Wirkungsfacetten, in denen berufsspezifische Objekte in Beziehung zu einer größeren Umgebung stehen, stellt der Betrachter eine Verbindung zur Zahnmedizin her, erhält aber durch das Zusammenspiel in der Vitrine wie auch im Raum die Möglichkeit, die verwendeten Objekte über ihre eigentliche Bedeutung hinaus zu abstrahieren.“
Jimmie Durham
... wurde am 10. Juli 1940 in Houston, Texas, geboren. Ab Mitte der 1960er-Jahre versuchte er sich als Dichter, Schauspieler und Soldat. Später studierte er Kunst in Genf.
In den 1970ern war Durham Mitbegründer und Vorsitzender des International Indian Treaty Council bei der UNO, deren Arbeit zur Deklaration der Rechte Indigener Völker führte. Die Cherokee, denen er sich qua Geburt zugehörig fühlte, verweigerten ihm jedoch das Recht, für sie zu sprechen, weil seine Familie in keinem Cherokee-Geburtsregister geführt wird.
International bekannt wurde Durham in den 1980er-Jahren mit Objekten und Skulpturen aus Materialien wie Stein, Tierschädeln und -knochen sowie Holzschnitzereien – eine ironische Anspielung auf eurozentrische Vorstellungen von „indianischer Kunst“.
Durham hat weltweit ausgestellt, so auf der Biennale 2019, im MAXXI in Rom 2016, in der Serpentine Gallery in London 2015, im Neuen Berliner Kunstverein 2015 sowie 1992 und 2012 auf der documenta in Kassel. 2017/18 wurde eine Retrospektive des Künstlers im Hammer Museum, Los Angeles, im Walker Art Center, Minneapolis, im Whitney Museum of American Art, New York, und im Remai Modern, Saskatoon, gezeigt. Durham wurde auf der 58. Biennale di Venezia 2019 mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet, erhielt 2017 den Robert-Rauschenberg-Award und 2016 den Goslarer Kaiserring. Der Künstler starb während der Vorbereitung auf die documenta fifteen am 17. November 2021 in Berlin.