Editorial

Eine neue Eiszeit?

Anfang November war es in Berlin noch möglich, im Hemd draußen Kaffee zu trinken. Der Oktober war wohl der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im deutlichen Gegensatz zu diesen milden Temperaturen steht derzeit das Klima auf gesundheitspolitischer Ebene zwischen der Zahnärzteschaft und der Ärzteschaft auf der einen und dem Bundesgesundheitsministerium auf der anderen Seite. Man kann eigentlich zuschauen, wie in diesen Tagen die Temperaturen in den Keller gehen. Nun gab es in diesem Verhältnis im Lauf der Jahre immer wieder Eiszeiten. Die vergangenen Jahre waren hingegen fast mild, um in der Wetter-Analogie zu bleiben. Natürlich war die Zusammenarbeit mit den Unions-Gesundheitsministern Gröhe und Spahn auch kein Liebesverhältnis. Aber es fand zumindest ein kritischer Dialog unter einem Mindestmaß an gegenseitigem Respekt statt. Im Sinne der Patientinnen und Patienten waren dadurch erkennbare Fortschritte möglich.

Ganz anders unter der aktuellen Bundesregierung und ihrem Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Darüber, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz trotz unwidersprochener sachlicher Gegenargumente durchgeboxt wurde, haben wir schon hinlänglich berichtet. Aber wie groß die Distanz zwischen Regierung und den Leistungsträgern im Gesundheitswesen inzwischen ist, lässt sich aus dem einfachen Umstand ablesen, dass es das BMG nicht geschafft hat, zur diesjährigen Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer in München ein Grußwort per Video zu schicken – von persönlichem Erscheinen ganz zu schweigen. Kein Minister, keine Staatssekretäre. Angefragt worden war im April. Und dass Lauterbach unter Kamerascheu leidet, lässt sich wohl kaum behaupten. Besser lässt sich mangelnder Respekt vor und fehlendes Interesse an den Menschen, die vor allem in der Niederlassung die Gesundheitsversorgung in diesem Land aufrechterhalten, nicht zeigen. Stattdessen richtete sich der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek mit einem Video-Grußwort an die Bundesversammlung.

Die Delegierten der Bundesversammlung rangen offensichtlich damit, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Ähnlich wird es bei der Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) sein, die Ende November ebenfalls in München stattfindet. Die Zahnärzteschaft ist in den vergangenen Jahren gut damit gefahren, einen sachorientierten und faktenbezogenen Kurs einzuschlagen, statt Maximalforderungen aufzustellen und in Frontalopposition zu gehen. So konnte es immer mehr gelingen, als Stimme der gesundheitspolitischen Vernunft wahrgenommen zu werden.

Aber was tun, wenn die sachlichen und fundierten Argumente zwar vielleicht noch gehört werden, aber nicht mehr darauf reagiert wird – wenn also der kritisch-konstruktive Dialog nicht mehr stattfindet, sondern von oben herab durchregiert wird? Welche Zeichen kann die Zahnärzteschaft setzen, dass sie nicht alles mit sich machen lässt, ohne aber den Weg der Sachlichkeit im Sinne einer guten und bedarfsgerechten Versorgung zu verlassen? Vor der Lösung dieser schwierigen Aufgabe stehen die Standesvertretungen in der nächsten Zeit. Denn dass die Regierung den Kurs der Missachtung verlassen wird, ist nicht abzusehen. Fakt ist, dass die Zahnärzteschaft eine im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen relativ kleine Gruppe ist. Umso wichtiger wird es sein, dass sie geschlossen und mit einer Stimme auftritt. Fatal sind daher Gedankenspiele einer Landeszahnärztekammer, die Bundeszahnärztekammer zu verlassen. Eine möglichst starke Vertretung auf Bundesebene muss vielmehr das Ziel bleiben. Andernfalls hat die Politik leichtes Spiel.

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Sascha Rudat

Chefredakteur

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