Interview zum Weltdiabetestag

„Zahnärzte und Diabetologen müssen besser kooperieren dürfen!“

Die wechselseitigen Einflüsse zwischen einem Diabetes mellitus und einer Parodontitis gelten inzwischen wissenschaftlich als sehr gut belegt. Der Bundesverband der Niedergelassenen Diabetologen (BVND) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) haben im September dieses Jahres eine Aufklärungskampagne gestartet, um gemeinsam die Öffentlichkeit über die Zusammenhänge beider Erkrankungen aufzuklären. Zum Weltdiabetestag am 14. November haben die zm Vertreter beider Institutionen gefragt, was über die Aufklärung hinaus getan werden sollte.

Frau Dr. Ermler, Herr Dr. Scheper, die Zusammenhänge zwischen Diabetes und Parodontitis sind in der wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit gut bekannt. Inwieweit ist dieses Wissen bereits in den Praxen angekommen?

Dr. Nikolaus Scheper:

Das Bewusstsein für dieses Problem der wechselseitigen Beeinflussung von Diabetes und Zahngesundheit ist bei den ärztlichen Kollegen bislang noch nicht so verbreitet. Wenn sich ein Diabetes verschlechtert, liegt es häufig an nicht ausreichend adhärentem Patientenverhalten oder bekannten medizinischen Ursachen. Ein gewisser Teil der Erkrankungsprogression wird natürlich traditionell als nicht änderbar akzeptiert. Hier liegt für mich der Anknüpfungspunkt, das Bewusstsein für kritische Nachfragen zu schärfen und die Kenntnis von der Parodontitis als Risikofaktor zu etablieren.

Dr. Romy Ermler:

Ich denke, in der Zahnärzteschaft wird das Thema inzwischen als Problem wahrgenommen. Das liegt an den vielen Publikationen und Fortbildungsangeboten sowie an der allgemeinen Fokussierung auf das Thema in der letzten Dekade. Parodontitis gilt seit über zehn Jahren als eine weitere DiabetesFolgeerkrankung. Deshalb erwarten wir auch mit großer Spannung die wichtige sektorübergreifende Leitlinie „Parodontitis und Diabetes“ als weiteren Baustein im Paro-Leitlinienkanon der letzten Jahre ...

Wann können wir denn mit dem Erscheinen der Leitlinie rechnen?

Ermler:

Durch die Corona-Pandemie ist es leider zu Verzögerungen gekommen. Doch die Arbeit ist inzwischen in einem sehr fortgeschrittenen Stadium. Die Empfehlungen sind weitgehend fertiggestellt. Gegenwärtig werden noch Hintergrundtexte mit der aktuellen Literatur abgeglichen. Bis Ende dieses Jahres soll der zwischen DGZMK, DDG und DG PARO konsentierte Text dem erweiterten Kreis der beteiligten Fachgesellschaften – hier ist auch die BZÄK eingebunden – zur finalen Stellungnahme zugesandt werden. So wie ich es höre, dürfen wir also im nächsten Jahr mit dem Erscheinen der Leitlinie rechnen.

Welche klinischen Konsequenzen ergeben sich aus den Erkenntnissen der Wissenschaft?

Ermler:

Diabetespatienten müssen zahnmedizinisch enger betreut werden. Dabei spielt zunächst einmal die Parodontitisprävention eine wichtige Rolle: Diabetespatienten haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung parodontaler Erkrankungen. Für die Prävention wichtig sind die Qualität der häuslichen Mundhygiene, die ständige Remotivation seitens des Zahnarztes und die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen in der Zahnarztpraxis. Auch die Bedeutung der Professionellen Zahnreinigung für die Parodontitisprävention ist nicht zu unterschätzen.

Hat der Patient bereits eine Parodontitis entwickelt, sollten engmaschige Recallintervalle im Rahmen der UPT unbedingt eingehalten werden. Damit kann die von der Mundhöhle ausgehende, systemisch wirkende „Entzündungslast“ begrenzt werden. Die Wissenschaft wird nicht müde, auf die große Bedeutung der UPT in der PAR-Nachsorge hinzuweisen. Das müssen wir auch unseren Patienten stärker kommunizieren.

Sollten Diabetespatienten generell öfter zum Zahnarzt gehen?

Scheper:

Ja, wir sollten das unterstützen. Vorstellbar wäre in meinen Augen, ein niederschwelliges Kontroll-Tool im Rahmen der regelmäßig stattfindenden DMP-Untersuchungen im Rahmen der Chronikerprogramme zu platzieren. Hier könnten Patienten beispielsweise mit entsprechenden Nachfragen – „Wann war Ihr letzter Termin in der Zahnarztpraxis?“ – auf die Möglichkeiten der Zahnmedizin aufmerksam gemacht werden. Dazu muss aber das Bewusstsein auch in der Politik und bei den Entscheidungsträgern im G-BA geweckt werden. Um dort die Sache voranzubringen, wäre eine Kampagne im Rahmen eines Pilotprojekts mit einem oder mehreren Kostenträgern denkbar.

Ermler:

Aus zahnmedizinischer Sicht muss die Festlegung der Kontrollintervalle für Diabetespatienten nach der individuellen Risikoeinschätzung erfolgen. Das gilt ja grundsätzlich für all unsere Patienten. Die Wissenschaft hat eine sehr klare und einfache Empfehlung formuliert: Jeder Diabetespatient sollte zum Zahnarzt überwiesen werden, wie auch umgekehrt die zahnärztliche Praxis ein Screening-Ort für Diabetiker sein sollte.

Im Rahmen der zahnärztlichen Anamneseerhebung sollten Patienten mit Diabetes zum Diabetestyp, zur Dauer der Erkrankung, zu möglichen Diabetes-assoziierten Komplikationen, zur augenblicklichen Therapie sowie zur Blutzuckereinstellung befragt werden. Mithilfe des Parodontalen Screening Index (PSI) kann der Zahnarzt den Zustand des Zahnhalteapparats überprüfen.

Eine Überweisung zum Zahnarzt oder Diabetologen ist aber derzeit nicht möglich. Wäre das eine Forderung an die Politik?

Scheper:

Ja, sicher ist das eine wichtige Forderung: Wir brauchen eine Art „sektorenübergreifender Überweisung“. Das wäre ein wichtiges Element für eine strukturierte Form der Kooperation zwischen Diabetologen und Zahnmedizinern, die ebenfalls geschaffen werden sollte. Es nützt ja in der Fläche nichts, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen im Einzelfall informell und gut engagieren – eine für alle Patienten gute Versorgung muss letztlich auch die Finanzierung der Kooperation regeln.

Das hätte auch Einfluss auf die Früherkennung. Es gibt zahlreiche klinische Beispiele dafür, dass ein Diabetesverdacht in der Zahnarztpraxis in der Folge zu einer Diagnose beim Hausarzt geführt hat. Was halten Sie von einer Diabetesfrüherkennung in der Zahnarztpraxis, beispielsweise mit dem FINDRISK-Fragebogen?

Scheper:

Werkzeuge wie der FIND-RISK-Bogen oder andere wären sicher gut geeignet, das Thema Begleiterkrankungen aus dem Bereich der Zahnheilkunde einzuarbeiten. Ich kann mir zum Beispiel gut vorstellen, den jetzigen FINDRISK-Bogen in der zahnmedizinischen Praxis auszulegen und/oder Patientinnen und Patienten mit gegebenenfalls verdächtigen Problemen auf diesen Bogen zu verweisen. Ob es dann zu einer gezielten Überweisung kommen kann, ist eine Frage, die im Bereich der Entscheidungsträger im Gesundheitswesen entschieden werden muss. Aber solange es diese gezielte Überweisungsmöglichkeit nicht gibt, spricht ja nichts dagegen, den Patienten mit einer entsprechenden Fragestellung zum Hausarzt oder zum Diabetologen zu schicken. Die zur Diagnose erforderlichen Blutuntersuchungen sollten aber grundsätzlich dem Hausarzt vorbehalten bleiben.

Ermler:

Ja, ich denke, auch vor dem Hintergrund der Früherkennung ist die Einrichtung einer strukturierten Zusammenarbeit über die Fachdisziplinen hinweg dringend geboten, denn das Problem wird ja tendenziell größer und nicht kleiner. Perspektivisch werden in einer alternden Gesellschaft die Interaktionen zwischen Parodontitis und Erkrankungen des Gesamtorganismus zwangsläufig eine größere Rolle spielen und insgesamt mehr interdisziplinäre Versorgung nötig machen.

Das Gespräch führte Benn Roolf.

Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) haben im aktuellen „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2023“ einen Beitrag publiziert, der diese Aspekte weiter vertieft:https://www.ddg.info/politik/veroeffentlichungen/gesundheitsbericht

BZÄK kooperiert mit Diabetologen

Die BZÄK hat ihre Kampagne bereits im März gestartet. Die Info-Materialien stehen hier zum Download bereit:https://paro-check.de/download/ - external-link-new-window.

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