Zeitenwende
Wir stehen kurz vor der ersten Vertreterversammlung der KZBV nach der Verabschiedung der GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) durch den Bundestag. Unsere Enttäuschung und unser Entsetzen über dieses Gesetz ist groß. Neben der Wiedereinführung einer schon in 2011 gesetzlich abgeschafften strikten Budgetierung mit starren Obergrenzen und zudem einer Begrenzung der Anpassungsmöglichkeiten für die Punktwerte, infolge derer uns die Folgen der massiven Inflation und Energiekrise noch schwerer treffen werden, werden mit der Budgetierung für 2023 und 2024 der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen. Die Erbringung der Parodontitisleistungen für die rund 30 Millionen Patientinnen und Patienten, die an der Volkskrankheit Parodontitis leiden, wird damit erheblich erschwert, und die Versicherten werden faktisch ihres Leistungsanspruches beraubt, der erst im Vorjahr in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen und von allen Beteiligten als ein Meilenstein für die Mund- und Allgemeingesundheit begrüßt wurde. Die auch nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vom Bundesgesundheitsminister erneut wiederholte Behauptung, es komme nicht zu Leistungskürzungen, kann nur als zynisch bezeichnet werden, wenn gleichzeitig die Mittel für diese Leistungen nicht (mehr) bereitgestellt werden. Bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens haben wir in zahlreichen Gesprächen mit guten Argumenten und belastbaren Fakten auf allen Ebenen darauf hingearbeitet, dass die Parodontitisbehandlung, so, wie es auch der Bundesrat einstimmig gefordert hatte, von der Budgetierung freigestellt wird. Diese Forderung ist vom Bundesgesundheitsminister und den Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ignoriert worden, lediglich die Finanzmittel für die Parodontitisbehandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung wurden budgetfrei gestellt. Diese für die vulnerablen Gruppen wichtige Änderung war freilich nur marginal und entspricht eher einem politischen Feigenblatt. Zwingend notwendig wäre eine Änderung gewesen, die den Zugang zu dieser präventionsorientierten Versorgung für alle GKV-Versicherten weiterhin offenhält. Im Zielkonflikt von Sparmaßnahmen und präventionsorientierter Parodontitisversorgung unserer Patientinnen und Patienten hat am Ende eine kurzsichtige, längst überholt geglaubte Kostendämpfungspolitik die Oberhand bekommen.
Die KZBV-Vertreterversammlung, die am 23. und 24. November in München stattfindet, wird sich zum einen intensiv mit der Frage beschäftigen, wie die Vertragszahnärzteschaft mit der Wiedereinführung der strikten Budgetierung umgehen wird, die allen konstruktiven Bemühungen der Zahnärzteschaft in den letzten Jahren zuwider geradezu einer offenen Kampfansage des Gesundheitsministers und der Bundesregierung gleichkommt. Zum anderen werden Antworten auf die Fragen erarbeitet werden müssen, wie den mit diesem fatalen Gesetz verursachten Kollateralschäden vor allem im Bereich der Parodontitisbehandlung begegnet werden kann?
Die Vertreterversammlung ist die letzte in der Amtsperiode des amtierenden Vorstandes der KZBV. Zwar waren diese sechs Jahre geprägt von Pandemie, Ukrainekrieg und Flüchtlingskrise. Doch konnten die meistenteils sehr schwierigen und oftmals auch kontroversen Verhandlungen mit den Krankenkassen und der Politik bei allen Differenzen überwiegend konstruktiv geführt und in den meisten Fällen für die Patientinnen und Patienten auf der einen und für die vertragszahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Selbst in der für uns sehr schwierigen Corona-Pandemie ist es gelungen, letztendlich doch noch mit dem GKV-Spitzenverband eine bundesmantelvertragliche Vereinbarung im Sinne eines „Pandemiezuschlags“ über 275 Millionen Euro abzuschließen, nachdem die Politik der Zahnärzteschaft einen Schutzschirm verweigert hatte. Unser Blick war stets nach vorn auf die Erreichung unserer mittel- und langfristigen Ziele gerichtet, die wir in der Agenda Mundgesundheit 2021–2025 klar und deutlich formuliert haben. Eine stetige Verbesserung der Mund- und Allgemeingesundheit nicht zuletzt durch einen nachhaltigen Ausbau der Prävention steht dabei ganz oben. Der im Jahr 2021 im umfassenden Konsens mit den Kostenträgern, dem G-BA und dem BMG umgesetzten Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) kommt hier eine ganz besonders wichtige Bedeutung als Leuchtturmprojekt für eine präventionsorientierte Gesundheitsversorgung zu.
Dass der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit dem GKV-FinStG in vollem Wissen über die damit verbundenen Folgen, uns Zahnärztinnen und Zahnärzten die wirtschaftlichen Mittel zur Bekämpfung dieser großen Volkskrankheit wieder entzieht, ist eine kurzsichtige gesundheitspolitische Freveltat, die durch Nichts schön zu reden oder zu entschuldigen ist. Da nicht abzusehen ist, dass die GKV von den versicherungsfremden Leistungen entlastet wird, die das aktuelle Defizit maßgeblich verursachen, steht zu erwarten, dass das GKV-FinStG erst der Anfang von weiteren plumpen Kostendämpfungsmaßnahmen ist, die in den nächsten Jahren folgen werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten und einstellen. KZBV und KZVen, ebenso wie alle Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte müssen sich überlegen, wie sie dem begegnen wollen. Klar ist für mich, dass es nach all den fatalen Benachteiligungen der Vertragszahnärzteschaft der letzten Jahre nun eine eindeutige und einhellige Antwort gegenüber der Politik geben muss, ein „Weiter so“ wird es auf dieser Basis nicht geben können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen. Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren. Lassen Sie uns gemeinsam und mit einer Stimme gegen fehlende Wertschätzung und Anerkennung, gegen Benachteiligung und Ungerechtigkeit zur Wehr setzen. Dazu braucht es eine engagierte Kollegenschaft, die hinter ihrer Standesführung steht! Die Zeiten werden rauer, vielleicht sogar stürmisch werden. Am Ende werden wir uns Gehör verschaffen, denn eine Gesundheitspolitik, die sich dauerhaft und vorsätzlich gegen die Interessen der Versicherten und gegen die berechtigten Belange derjenigen stellt, die das Gesundheitswesen tragen, darf und wird keinen Bestand haben.