Zwischen unwissentlicher Vorteilsnahme und geplanter Korruption
Seit 2016 hat sich die Rechtslage in Bezug auf Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen erheblich verändert. Korruption bildet dabei den Dachbegriff, unter den verschiedene Verhaltensweisen der Bestechung und Bestechlichkeit fallen. Mit der damaligen Gesetzesänderung wurde eine Lücke geschlossen, die es niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzten zuvor erlaubt hatte, ungestraft korrupte Handlungen zu begehen. Doch hat diese Neuerung tatsächlich zur Erhöhung der Integrität im (zahn)medizinischen Bereich beigetragen oder blieb deren praktische Umsetzung in den vergangenen Jahren seit Inkrafttreten eher begrenzt? Welche Verhaltensweisen stehen unter Strafe?
Die Begriffe Korruption und Bestechung meinen im Wesentlichen, sich vorteilhafte Entscheidungen gegen Geld oder andere Vorteile zu verschaffen. Die Auswirkungen erstrecken sich dabei in der Regel nicht nur auf Einzelpersonen, sondern beeinträchtigen die gesamte Gesellschaft, indem sie medizinische Leistungen verteuern und das Vertrauen in die Integrität des Gesundheitssystems schmälern. Diese Dimension macht es schwierig, das Ausmaß und die moralische Verwerflichkeit in vielen Fällen zu erfassen. Personen, die sich spontan einen persönlichen Vorteil verschaffen oder auch nur ihren Patienten etwas Gutes tun wollen, geraten dabei – oft unwissentlich – in die Falle der Strafbarkeit. Strukturelle und systematische Korruption hingegen erfordert eine sorgfältige Planung und ein ausgeprägtes Bewusstsein für das Unrecht.
Diese Voraussetzungen müssen erfüllt sein
§ 299a StGB betrifft Angehörige von Heilberufen und bestraft sie, wenn sie Vorteile annehmen, um bei der Verordnung von Medizinprodukten oder anderen Gesundheitsleistungen bevorzugt zu werden.
§ 299b StGB betrifft diejenigen, die diesen Vorteil anbieten, versprechen oder gewähren. Das bedeutet, dass sowohl der Geber als auch der Empfänger eines Vorteils strafrechtlich belangt werden können.
Wichtig: Die Strafbarkeit nach diesen Paragrafen setzt voraus, dass es eine Art von Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung gibt, die darauf abzielt, die medizinische Entscheidungsfindung oder den Wettbewerb im Gesundheitswesen in unlauterer Weise zu beeinflussen – auch Unrechtsvereinbarung genannt.
Fallbeispiele
1. Zahnärzte im Verhältnis zu Dentallaboren
Zu den „unrechtmäßigen Kooperationen" gehört, dass eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt einen Vertrag mit einem zahnmedizinischen Labor schließt, das ihr oder ihm finanzielle Anreize bietet, um exklusiv dessen Dienste in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich nicht den §§ 299a, 299b StGB unterliegen hingegen Fälle, in denen Zahnärzte eigene Labore (Praxislabor, Praxislaborgemeinschaft) betreiben und in berufs- und sozialrechtlich zulässiger Weise zahntechnische Laborleistungen selbst erbringen beziehungsweise über angestellte Zahntechniker erbringen lassen.
2. Zuweisung von Patienten
Ein klassischer Fall ist, wenn ein Zahnarzt für die Überweisung eines Patienten beispielsweise an eine Oralchirurgin eine Prämie erhält. Dasselbe gilt auch für die Zuweisung unter den Zahnärzten und Zahnärztinnen einer Berufsausübungsgemeinschaft, da diese wirtschaftlich voneinander getrennt sind. Hier besteht eine hohe Gefahr in eine Strafbarkeitsfalle zu tappen, denn es ist nicht übersichtlich, ab wann ein Vorteil für die Zuweisung eines Patienten an die Kollegin in der Praxis als gewährt gilt. Bietet die Kollegin dafür ein Abendessen oder Tickets für ein Konzert an, befinden sich beide bereits in der Grauzone der Korruption.
Die Anwendung des § 299a StGB auf den Verkauf eines gesamten Patientenstamms an einen nachfolgenden Zahnarzt wurde jüngst in der Rechtsprechung diskutiert, die Anwendbarkeit jedoch abgelehnt, da es an einer Unrechtsvereinbarung fehle.
3. Zuwendungen im Verhältnis Patient zu Zahnarzt
Bei der Frage nach der Korruption im Zahnarztberuf spielt die Art und Weise, wie materielle Zuwendungen zwischen Patienten und Zahnärzten bewertet werden, eine wichtige Rolle. Ein anschauliches Beispiel ist die Situation, in der ein Zahnarzt nach Abschluss einer Behandlung einen Präsentkorb als Dankeschön von einem Patienten erhält. Dieser Präsentkorb stellt zweifellos eine materielle Zuwendung und somit einen Vorteil dar. Es ist allerdings wichtig, den Kontext zu berücksichtigen. In diesem Fall fehlt eine Unrechtsvereinbarung, da der Patient nach Abschluss der Behandlung keine Möglichkeit mehr hat, durch Geschenke auf den Zahnarzt einzuwirken, um sich selbst zu bevorzugen. In einer solchen Konstellation ist die Annahme des Präsents strafrechtlich unproblematisch.
Die Situation könnte jedoch anders bewertet werden, wenn der Patient das Geschenk als Mittel zur Beeinflussung seiner künftigen Behandlung einsetzen möchte. Hier wird die Grenze zwischen einem Dankeschön und einer potenziellen Form der Bestechung unscharf.
Zuletzt musste das Landgericht Nürnberg-Fürth klären, ob die Tatbestände bei einer durch finanzielle Zuwendungen motivierten Verabreichung von Impfstoff entgegen der Corona-Impfverordnung anwendbar sind (Beschl. v. 24.1.2022 – 18 Qs 24/21, 18 Qs 25/21). Ergebnis war, dass die Korruptionsparagrafen nicht für den Wettbewerb unter Patienten gelten sollen, sondern nur für den Wettbewerb unter Heilberufen. Ein überraschendes Ergebnis, denn geschützt werden sollten ursprünglich auch das Patientenwohl und das Vertrauen ins Gesundheitssystem.
4. Das abgeschaffte Partner-Factoring
Das Partner-Factoring, bei dem Zahnärzte die Factoring-Gebühren für das Abrechnen von Forderungen an Patienten reduzieren konnten, geriet im Kontext des Antikorruptionsgesetzes im Gesundheitswesen weiter in die rechtliche Grauzone. Dieses Abrechnungsmodell wurde angeboten, wenn die Zahnarztabrechnung auch die Kosten eines Fremdlabors enthielt.
Dieses Modell wurde zwischenzeitlich abgeschafft durch die Anbieterinnen des Factorings selbst. Diese Entscheidung beruht auf einem langwierigen Rechtsstreit zur Zulässigkeit des sogenannten Partnerfactorings im Zahnarztberuf, in dem das Landgericht Hamburg ein wegweisendes und zwischenzeitlich rechtskräftiges Urteil gefällt hat (LG Hamburg, Urteil vom 30.05.2017 – 406 HKO 214/16).
5. Zuwendungen im Verhältnis zu Herstellern
Wer als Zahnarzt medizinische Produkte kostenlos abgibt, könnte der Herstellerin damit einen Vorteil verschaffen, weil Patienten so an das Produkt und die Herstellerinnen herangeführt werden. Obwohl im Bereich der Zahnmedizin von geringer Relevanz, ist es zukünftig gemäß §§ 299a und 299b StGB strafbar, wenn beispielsweise ein Pharmaunternehmen einem Zahnarzt eine Prämie für die Verschreibung eines bestimmten Arzneimittels gewährt. Das gilt in ähnlicher Weise für die Verordnung von Heil- oder Hilfsmitteln durch Zahnärzte.
Ein Fall könnte die Manipulation von Verordnungen sein. Eine Zahnärztin erhält von einem Medizinproduktehersteller eine finanzielle Vergünstigung, um vermehrt dessen Produkte zu verschreiben, auch wenn diese für die Patienten nicht immer notwendig sind. Hierfür reicht bereits aus, wenn eine medizinische Hilfsmittelherstellerin eine Zahnärztin zu luxuriösen Konferenzen einlädt und ihr teure Reisen bezahlt, um im Gegenzug sicherzustellen, dass sie vermehrt ihre Produkte verwendet.
6. Bestechung von Praxispersonal
Ein Vertreter eines Gesundheitsunternehmens überreicht einem Zahnarzthelfer regelmäßig Geld, um sicherzustellen, dass die Praxis vermehrt Verfahren oder Produkte dieses Unternehmens durchführt oder nutzt. Gibt es eine Grenze für die Höhe von Zuwendungen, die nicht strafbar ist?
Die Frage der Sozialadäquanz im Kontext von Korruption bezieht sich darauf, wann eine Zuwendung als akzeptabel und damit nicht als strafbar angesehen werden kann. Laut den Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) liegt bei Beträgen bis zu 50 Euro ein angemessener Vorteil vor. Diese Grenze gilt auch für die §§ 299a und 299b oder, nach Ansicht einiger Experten, nur für nicht regelmäßige Anlässe, wobei in solchen Fällen die Grenze bei 10 Euro liegt.
Es ist auch wichtig zu betonen, dass es keine feste Untergrenze für Geldzuwendungen gibt, die ihren sozialen Kontext verloren haben. Ein Beispiel hierfür ist der Fall eines Laborarztes, der einer Urologin wiederholt Untersuchungsmaterial im Wert von jeweils 0,50 EUR zukommen ließ. Obwohl diese Beträge geringfügig erscheinen, können sie sich summieren und schnell die Grenze der Sozialadäquanz überschreiten. Für geldwerte Sachzuwendungen im Rahmen von Geschäftsessen oder Geschenken können großzügigere Beträge im Vergleich zu anderen Regelungen zulässig sein. Dennoch kann auch hier eine übermäßige Häufigkeit von Einladungen und deren zeitliche Nähe zu beruflichen Entscheidungen im Gesundheitswesen im Einzelfall die Annahme von Sozialadäquanz infrage stellen.
Fazit
Die Anwendung der §§ 299a und 299b StGB hat in der Praxis bisher zu wenigen Verurteilungen geführt und bis zum Stand von 2018 gab es keine Verurteilungen nach dem neuen Korruptionsrecht. Im Jahr 2017 wurde vom Statistischen Bundesamt eine Aburteilung erfasst, im Jahr 2018 keine Aburteilung oder Verurteilung, in den Jahren 2019 und 2020 keine und im Jahr 2021 eine Verurteilung aufgrund von § 299a StGB. Wer in juristischen Datenbanken nach den Vorschriften sucht, findet einzig Ausführungen zu Fragen der §§ 299a, 299b StGB in zivilrechtlichen Urteilen.
Nichtsdestotrotz werden durch die oben genannten Verhaltensweisen auch berufs-, wettbewerbs- und sozialrechtliche Normen berührt, die zu empfindlichen Konsequenzen führen können. Das Strafrecht ist nur das letzte Mittel, die Rechtsordnung herzustellen.
Man sollte sich jedenfalls Gedanken zur Festlegung einer akzeptablen Grenze für Geld- und Sachzuwendungen im (zahn)medizinischen Kontext der eigenen Praxis gemacht haben. Die BÄK hat Richtlinien veröffentlicht, die diese Frage zu klären versuchen. Dennoch gibt es keine feste Untergrenze, und die Umstände des Einzelfalls spielen eine entscheidende Rolle.