Interview mit BFB-Hauptgeschäftsführer Peter Klotzki

„Die freiberufliche Struktur steht unter Druck wie nie zuvor“

Susanne Theisen
„Nie war ihre Wirkung so gefragt wie heute, nie war aber auch der Druck auf sie so groß wie heute.“ BFB-Hauptgeschäftsführer RA Peter Klotzki zur Lage der Freiberufler in Deutschland früher und heute.

Auf welche Meilensteine blickt der BFB in seiner 75-jährigen Geschichte zurück?

RA Peter Klotzki: Der BFB hat die Erfolgsgeschichte der Freien Berufe begleitet. Was in der frühen Nachkriegszeit mit einem Anteil am Bruttosozialprodukt (BIP) von einem Prozent und 210.000 Selbstständigen begann, ist heute einer der größten Wirtschaftsbereiche mit gut zehn Prozent BIP-Anteil und knapp 1,5 Millionen Selbstständigen. Die Freien Berufe machen rund 38 Prozent aller Selbstständigen in Deutschland aus und sind Herzstück des Mittelstands. Der BFB hat sich mit um die regulatorischen Voraussetzungen, die Identitätsbildung und das gemeinsame Verständnis der Berufsgruppen als Freier Beruf „gekümmert“.

Ein besonderer Meilenstein war der Aufbau der freiberuflichen Strukturen und der Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern, zu dem der BFB maßgeblich beitragen konnte. Zu nennen sind etwa Verdienste um die Integration, mit der ein vom BFB vorgeschlagenes Projekt 2019 den Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin gewonnen hat, oder die Folgenbekämpfung der Coronapandemie. Hier haben sich vor allem die Heil-, aber auch die beratenden und die planenden Berufe verdient gemacht. Der BFB hat erreicht, dass die Hilfen so ausgestaltet wurden, dass Freiberuflerinnen und Freiberufler in ihrer Existenz gesichert wurden.

Die Freien Berufe waren auch ganz vorn bei der Bewältigung von Krisen dabei. Sei es bei der Flutkatastrophe im Sommer 2021, sei es im Zuge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, als sie ihre Hilfsnetzwerke aufgespannt haben, um die Betroffenen zu unterstützen. Der BFB verband hier die Aktivitäten seiner Mitgliedsorganisationen und entwickelte eigene Plattformen wie das BFB-Jobportal für Ukrainerinnen und Ukrainer.

Wie haben sich die Freien Berufe in dieser Zeit gewandelt?

Zum einen sind sie viel mehr geworden. Sie haben die Entwicklung zu einer Dienstleistungsgesellschaft ermöglicht und getragen – mit einem ungemeinen Zuwachs in den „klassischen Berufen“ wie Ärzten, Anwältinnen oder Architekten. Dazu kommen ganz neue Berufsgruppen wie etwa Datenschützerinnen oder Systemadministratoren. So sind die Freien Berufe quantitativ ein Herzstück des Mittelstands geworden. Und qualitativ stehen sie in ihrer gesellschaftlichen Wirkung als Garanten für Gesundheit, Infrastruktur, Recht, Wohnen oder Kultur. In den vergangenen Jahren kamen zusätzliche Aufgaben auf sie zu. Sie stehen vorn bei der Klimawende, bei der stärkeren Entwicklung der Nachhaltigkeit und nun auch beim Erhalt der Demokratie, denn sie besitzen Vertrauen, sind täglich im Kontakt mit rund acht Millionen Menschen in ihren Praxen, Kanzleien, Büros und Apotheken.

Welche Themen sind aktuell für die Freien Berufe wichtig – insbesondere für die Heilberufe?

Die mittelständische freiberufliche Struktur steht unter Druck wie nie zuvor. Der Fachkräftemangel resultiert aus demografischen Folgen, die durch falsche arbeitsmarktpolitische Entscheidungen wie die „Rente mit 63“ oder das Bürgergeld verschärft werden. Und mehr noch: Jahresring für Jahresring sind Pflichten an Bürokratie und Dokumentation entstanden, die nur hartgesottenen Menschen die Freude an der Berufsausübung nicht verderben. 27 Prozent der Arbeitszeit wird über alle Freien Berufe hinweg mit der Bedienung solcher Vorgaben verbracht. Vieles davon ist unproduktiv und reduziert die Tätigkeiten für die Menschen: Die Umsatzausfälle in den Freien Berufen belaufen sich auf 19 Milliarden Euro. Aus diesen Vorgaben, aus dem immensen Zuwachs im öffentlichen Dienst an den „falschen Stellen“ spricht nicht nur Misstrauen statt Vertrauen, sondern letztlich auch eine andere gesellschaftspolitische Vorstellung. Ungeschminkt und unfreundlich kommt diese in der Gesundheitspolitik daher mit der Vorstellung, einen Teil der medizinischen Versorgung auch auf (1.000) Gesundheitskioske zu übertragen. Ein komplett staatliches Gesundheitssystem ist genauso ineffizient wie ein radikal privates zerstörerisch ist.

Welche Handlungsfelder stehen für den BFB in den nächsten Jahren im Fokus, auch speziell für die Heilberufe?

Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demokratieerhalt fordern Politik und Gesellschaft und damit die Freien Berufe als deren essenzieller Bestandteil besonders. Nie war die Wirkung der Freien Berufe so gefragt wie heute, nie war aber auch der Druck auf diese so groß wie heute. Nach einer aktuellen Umfrage ist für die Hälfte der Befragten der Fachkräftemangel das größte Problem von sechs. Als zweitgrößtes Risiko werden die bürokratischen Belastungen gewertet. Auf Position drei rangiert der Vertrauensverlust durch geringer gewordene Verlässlichkeit politischer Entscheidungen. Auf den weiteren Plätzen folgten steuerliche Belastungen, zu hohe Energiekosten und eine unzureichende Infrastruktur.

Sie haben aufgerufen, zur Europawahl zu gehen: Welche Rolle spielt die EU für die Freien Berufe?

Der Zusammenhalt innerhalb der EU ist angesichts aggressiver Ansprüche autoritärer Staaten die einzige Chance für Freiheit und Demokratie, sich in Europa zu behaupten. Es kommt mehr als jemals zuvor auf die Geschlossenheit der 27 Mitgliedstaaten an. Nur gemeinsam können wir die großen Herausforderungen unserer Zeit meistern. Dafür brauchen wir eine starke EU. Auf der anderen Seite ist es aber in bestimmten Politikbereichen realitätsnäher und zielführender, dem Subsidiaritätsgebot mehr Geltung zu verschaffen und mehr „Vielfalt in Einheit“ zuzulassen – nicht zuletzt bei den Freien Berufen. Wir mussten und wir müssen immer wieder deutlich machen, welche besondere Rolle die Freien Berufe in Deutschland und auch in Europa spielen. Wir sind ein unverzichtbarer Teil unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Wir stehen für Fachkompetenz, Professionalität und Vertrauen – Werte, von denen unsere Gesellschaft profitiert. Wir treten ein für ein starkes, demokratisches und werteorientiertes Europa, das die Bedürfnisse seiner Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt und Rahmenbedingungen schafft, die es den Freien Berufen ermöglichen, ihr volles Potenzial zum Wohle aller auszuschöpfen.

Was möchte der BFB in den nächsten 25 Jahren für die Freien Berufe erreichen?

Die Freien Berufe haben über sieben Jahrzehnte dazu beigetragen, dass durch Leistungsorientierung, Freude an der Arbeit und Dienst am Menschen, durch Agilität, Subsidiarität und Vertrauen Deutschland ein Land mit höchster Lebensqualität, mit einer Ausstrahlung von Freiheit und Möglichkeiten geworden ist. Dies steht aus verschiedenen Gründen unter Druck. „Gefragt wie nie, unter Druck wie nie“ beschreibt eine Wirklichkeit. Sie wird von vielen Freiberuflerinnen und Freiberuflern vor allem im medizinischen Bereich wahrgenommen, weil die guten Strukturen, mehr oder weniger bewusst, zumindest sehenden Auges verschlissen werden. Es geht um die Behauptung der Freien Berufe gegen eine Vergewerblichung. Es geht um die eigenverantwortliche, agile, persönliche Art und Weise, die für die Gesellschaft so wichtigen Leistungen zu erbringen – unter Druck zwischen einem immer größer werdenden öffentlichen Sektor auf der einen Seite und einem rabiaten investorengetriebenen „Wettbewerb“, der nach ganz anderen Regeln „spielt“, auf der anderen Seite.

Dafür braucht es mehr denn je einen politisch-gesellschaftlichen Resonanzboden, politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger, die ein Grundverständnis von Freiberuflichkeit als menschliche und effiziente Form der Aufgabenwahrnehmung haben, eigenverantwortlich organisiert und getragen von Menschen im Ehrenamt.

Das Gespräch führte Susanne Theisen.

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