Einfach zu viel Bürokratie!
Die Approbation ist beantragt, doch die Warteschleife ist lang: Laut einer Umfrage der Welt am Sonntag aus August haben seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 mindestens 1.674 geflüchtete ukrainische Ärzte einen Antrag auf Approbation gestellt, um in Deutschland praktizieren zu dürfen. 187 Anträge sind bisher bewilligt worden, 1.402 befinden sich noch in Bearbeitung.
Das Blatt hatte bei den Ämtern aller Bundesländer nachgefragt. Die Zahlen basieren demnach auf Rückmeldungen aus 14 Bundesländern, Bremen und Hessen konnten nur unvollständige Daten liefern. Doch nicht nur für ukrainische Ärztinnen und Ärzte, auch für Antragstellende aus anderen Ländern außerhalb der EU sind die Wartezeiten dem Bericht zufolge lang: Von der Antragstellung bis zur Bewilligung vergingen typischerweise 15 Monate bis zu drei Jahre.
Die Gleichwertigkeitsprüfung ist halt sehr zeitaufwendig
Für Ärztinnen und Ärzte, die nicht aus der EU kommen, gibt es zwei Verfahren, um in Deutschland eine Zulassung zu erhalten. Entweder werden Urkunden und Zeugnisse nach Aktenlage mittels einer Gleichwertigkeitsprüfung geprüft – was in der Regel etwa vier Monate dauert. Wenn die vorgelegten Dokumente nicht ausreichen, ist eine Kenntnisprüfung notwendig. Dann müssen die Bewerber ihr medizinisches Wissen mündlich unter Beweis stellen. Dieses Verfahren dauert etwa sechs Monate. Hinzu kommt bei beiden Wegen ein Fachsprachentest. Viele Anwärter berichten jedoch von viel längeren Wartezeiten zwischen Antragstellung und Bewilligung als die, die offiziell angegeben werden.
Wie die Bundesärztekammer auf unsere Anfrage erklärt, stelle sich das Problem, dass die Gleichwertigkeit der ukrainischen Ausbildungsnachweise im Einzelfall festgestellt werden muss. Die Gutachtenstelle, die diese Arbeit unterstützen soll, sei wegen der Anzahl der zu bearbeitenden Fälle unterbesetzt. Der Deutsche Ärztetag habe bereits 2018 gefordert, dass Antragsteller aus Drittstaaten eine Kenntnisprüfung leisten sollen.
„Die lange Wartezeit auf die Kenntnisprüfung war nervenzehrend“
Die Kardiologin Olha Zotova ist kurz nach Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet. Sie arbeitet jetzt am Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin. Studiert hat sie an der Medizinischen Universität in Odessa, danach war sie dort als Internistin und Kardiologin im Regionalkrankenhaus in der Abteilung für Herzchirurgie tätig. Ihre begonnene Weiterbildung zur Fachärztin konnte sie in Deutschland nicht fortführen.
Der Weg bis zur Anerkennung ihrer Approbation hierzulande habe ungefähr eineinhalb Jahre gedauert, berichtet sie im Gespräch mit den zm. Die Bürokratie sei „sehr kompliziert“ gewesen. Viele der benötigten Unterlagen habe sie bereits mitgeführt, dennoch hätten etliche Dokumente zusätzlich aus der Ukraine beschafft werden müssen – wobei zum Glück ihr Vater vor Ort helfen konnte. Anschließend hätten die Papiere natürlich erst übersetzt werden müssen.
Den Antrag auf Approbation stellte Zotova beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSO). Die Fachsprachprüfung legte sie im Juni 2023 ab, sie spricht mittlerweile fließend Deutsch, die Kenntnisprüfung hat sie im April 2024 bestanden. In der Zwischenzeit habe es zwei Möglichkeiten gegeben – entweder im Krankenhaus mit einer Berufserlaubnis zu arbeiten und nach einem Jahr die Gleichwertigkeit nach Aktenlage anerkannt zu bekommen. Oder aber direkt die Kenntnisprüfung zu absolvieren. „Eine temporäre Stelle nur mit Berufserlaubnis zu finden, hat sich aber kompliziert gestaltet“, erzählt sie uns. Auch in Brandenburg habe sich dies als schwierig herausgestellt, dort hätte sie die Bewerbung noch einmal von vorne starten müssen. Zotova entschied sich für die Kenntnisprüfung. Auf den Termin habe sie von September 2023 bis zum April 2024 warten müssen.
„Die Hauptschwierigkeit für mich war die Bürokratie“, resümiert Zotova. „Ich kann verstehen, dass viele Unterlagen notwendig sind. Es war allerdings sehr schwer, diese zu bekommen, oft waren es nur Kleinigkeiten. Ohne Hilfe vor Ort wäre das nicht möglich gewesen.“ Und: „Vor allem die lange Wartezeit auf die Kenntnisprüfung war nervenzehrend.“
Die MB-Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, bezeichne den Zustand als ein „Trauerspiel“. Verfahrenszeiten von ein bis zu drei Jahren seien „keine Seltenheit“. In der Folge entschieden sich Ärztinnen und Ärzte aus Drittstaaten immer häufiger für andere europäische Länder.
Und Dr. Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft bemängelte ein zu hohes Ausmaß an Bürokratie. „Fachkräfte im Bürgergeld-Bezug zu belassen, statt sie dort einzusetzen, wo sie dringend gebraucht werden und auch arbeiten wollen, können wir uns schlicht nicht mehr leisten“, zitiert ihn die Ärzte Zeitung Anfang August. Und Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) sagte in der Tagesschau: „Wir appellieren an den Bundesgesundheitsminister, die Bundesärzteordnung und die Approbationsordnung so zu ändern, dass Anerkennungsverfahren digital, standardisiert und somit deutlich schneller erfolgen.“ Denn: „Wir können es uns einfach nicht leisten, Ärztinnen und Ärzten aus dem Ausland bürokratische Steine in den Weg zu legen.“
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat nun Erleichterungen signalisiert. Der Bund prüfe aktuell eine Rechtsänderung, die die Fortsetzung nicht abgeschlossener ukrainischer ärztlicher Ausbildungen in Deutschland ermöglichen soll, teilte das BMG auf Nachfrage der zm mit. Eine entsprechende Änderung der Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) werde derzeit im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zur Änderung der Bundesärzteordnung (BÄO) vorbereitet. Zu Zeitrahmen und Regelungen gebe es allerdings noch keine Details.
Es soll schneller gehen
Die Bundesärztekammer verweist dazu auf einen Referentenentwurf aus dem BMG. Demzufolge sei geplant, es Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus dem Ausland zu ermöglichen, in Deutschland ihr Praktisches Jahr zu machen und ihre ärztliche Ausbildung abzuschließen, wenn sie diese aus Gründen, die nicht in ihrer Person liegen (zum Beispiel Krieg), in ihrem Herkunftsstaat nicht beenden können. Regierungsintern gebe es dazu aber noch keine Einigung; auch die Finanzierung sei weiterhin offen. Die BÄK habe bereits im August 2023 zu dem Referentenentwurf Stellung genommen und die Möglichkeit, die Ausbildung in Deutschland abzuschließen, im Grundsatz befürwortet.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) äußerte sich auf X ebenfalls zu dem Vorhaben: „An einer schnelleren Anerkennung ausländischer Ärzte und auch von Pflegekräften arbeiten wir gerade." Leider sei es so, dass viele Länder sowohl zu wenige Deutsche ausbilden als auch zu wenig Ausländer zulassen. Auch das sei Thema der Gesundheitsreformen im Herbst. Für eine Änderung von Berufszulassungen bereits ausgebildeter ukrainischer Ärzte sei das BMG jedoch nicht zuständig, das sei Ländersache.
Im Juli hatte auf Initiative Bayerns der Bundesrat eine Entschließung zur Beschleunigung der Anerkennungsverfahren von Ärztinnen und Ärzten mit ausländischer Ausbildung gefasst. Mit dem zunehmenden Fachkräftemangel drohe eine Versorgungslücke, gerade in ländlichen Regionen. Dort bedürfe es vor allem effektiver und effizienter Anerkennungsverfahren, damit Interessierte schnell in den Beruf gebracht werden können.
Was sie meinen, wenn sie „Beschäftigungsquote“ sagen
Ende 2022 waren in Großbritannien, den Niederlanden und Litauen über 50 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine beschäftigt, in Norwegen, Rumänien, der Schweiz oder Spanien dagegen weniger als 15 Prozent. Deutschland liegt im Mittelfeld: Nach 20 Prozent Ende 2022 waren fast 27 Prozent von ihnen Anfang 2024 in Arbeit. Hohe Beschäftigungsquoten sieht man gerade in den Ländern, die auf den vorübergehenden Aufenthalt setzen. So haben die Niederlande einen großen Anteil an Jobbern auf Abruf und in Dänemark sind die meisten ukrainischen Geflüchteten als Reinigungskräfte tätig. Deutschland setzt dagegen auf eine nachhaltige Integration mit Sprach- und Qualifizierungsprogrammen und zielgerichteter Arbeitsvermittlung.
Kosyakova, Yuliya; Gatskova, Kseniia; Koch, Theresa; Adunts, Davit; Braunfels, Joseph; Goßner, Laura; Konle-Seidl, Regina; Schwanhäuser, Silvia; Vandenhirtz, Marie (2024): Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Eine internationale Perspektive. IAB-Forschungsbericht Nr. 16.
Nötig seien Anpassungen in der BÄO und in der ÄApprO, die die Anerkennungsverfahren en, dabei aber zugleich gewährleisten, dass nur hinreichend qualifizierte Personen die Anerkennung erhalten. Die Länder fordern die Kenntnisprüfung als Regelfall. Dafür sollten bundeseinheitliche Vorgaben mit stärkerer Betonung des prüfungsrechtlichen Charakters der Kenntnisprüfung erlassen werden – das Prüfungsniveau müsse dabei zur Wahrung der Patientensicherheit unbedingt hoch bleiben.