Aus der Wissenschaft

Welche Prothetik erhöht die Lebensqualität nach mikrochirurgischer Kieferrekonstruktion?

Peer W. Kämmerer
Größere Kieferdefekte können nicht nur funktionelle, sondern auch ästhetische und psychologische Einschränkungen nach sich ziehen. Eine vollständige Rehabilitation, die Funktion und Ästhetik vereint, ist ohne präzise abgestimmte prothetische Lösungen kaum denkbar. Eine Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums Salzburg hat untersucht, wie sich mikrochirurgische Eingriffe und deren prothetische Versorgung tatsächlich auf die Lebensqualität auswirken.

Ausgeprägte Ober- und Unterkieferdefekte –verursacht durch Trauma, Infektionen, Osteonekrosen, angeborene Fehlbildungen oder die chirurgische Resektion von gut- oder bösartigen Tumoren – sind ein verbreitetes Problem in der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Diese Defizite können funktionelle und ästhetische Beeinträchtigungen hervorrufen, die die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Für eine vollständige funktionelle und ästhetische Rehabilitation wird derzeit in vielen Fällen des konventionell nicht ersatzfähigen Lagers eine mikrochirurgische Rekonstruktion durch vaskularisierte Knochentransplantate empfohlen, gefolgt von einer prothetischen Versorgung.

Diese Behandlungen sind jedoch komplex und müssen auf die individuelle Diagnose und die Anatomie des Patienten abgestimmt werden. Die vorliegende Studie untersuchte die Lebensqualität der Patienten nach mikrochirurgischer Kieferrekonstruktion und prothetischer Versorgung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Erkrankung und des prothetischen Rehabilitationserfolgs.

Material und Methoden

Patientenkohorte

Für diese retrospektive Analyse wurden die medizinischen Aufzeichnungen von Patienten aus dem Universitätsklinikum Salzburg analysiert, die zwischen Januar 2011 und Dezember 2018 eine mikrochirurgische Kieferrekonstruktion erhielten. In die Studie wurden 58 Patienten über 18 Jahre eingeschlossen, die zwischen Juni 2020 und Juli 2021 an einer Befragung zur Lebensqualität teilnahmen. Erfasst wurden neben demografischen Daten und der zugrunde liegenden Erkrankung auch der Typ der prothetischen Versorgung (zum Beispiel implantatgetragen oder herausnehmbar).

Erhebungsinstrumente

Die orale gesundheitsbezogene Lebensqualität (OHrQoL) wurde mit dem „Oral Health Impact Profile-49“ (OHIP-49) gemessen, das den Einfluss von Mundgesundheitszuständen auf die Lebensqualität in sieben Kategorien bewertet: funktionelle Einschränkungen, körperliche Schmerzen, psychologisches Unwohlsein, körperliche und psychologische Beeinträchtigungen, soziale Beeinträchtigung und Handicap. Die allgemeine, krankheitsunspezifische Lebensqualität wurde mit dem „36-Item Short Form Health Survey“ (SF-36) erfasst, einem umfassenden Instrument zur Bewertung des allgemeinen Gesundheitszustands, unterteilt in physische, psychische und soziale Dimensionen.

Für die Analyse wurden Korrelationen visualisiert und durch Medianwerte und Interquartilsabstände ergänzt. Aufgrund der kleinen und unbalancierten Gruppen wurde eine nichtparametrische ANOVA-basierte Testung mit einem Signifikanzniveau von p < 0,05 verwendet.

Ergebnisse

Die 58 Patienten hatten ein Durchschnittsalter von 59,6 Jahren (22 bis 88 Jahre). Die häufigsten Indikationen für die Kieferrekonstruktion waren maligne Tumoren (41,4 Prozent), benigne Erkrankungen (34,5 Prozent), Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (15,5 Prozent) und Osteoradionekrosen (8,6 Prozent). Die Mehrheit der Rekonstruktionen betraf den Oberkiefer (53,4 Prozent), in knapp einem Drittel der Fälle (27,6 Prozent) wurde ein ossäres Transplantat mit Weichgewebsanteil verwendet.

Der durchschnittliche OHIP-49-Gesamtwert für die Kohorte lag bei 13,5 (Wertebereich 0 bis 115), wobei signifikante Unterschiede zwischen den Diagnosegruppen beobachtet wurden (p = 0,008). Die beiden Gruppen mit malignen Erkrankungen und mit Osteoradionekrose wiesen die schlechtesten OHrQoL-Werte auf, während Patienten mit benignen Erkrankungen und Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten die höchsten Werte erzielten. Eine ähnliche Tendenz zeigte sich bei der prothetischen Versorgung: Die besten OHrQoL-Werte wiesen Patienten mit implantatgetragenen, festsitzenden Prothesen auf, während Patienten mit herausnehmbaren Teilprothesen und jene ohne Prothese die niedrigsten Werte zeigten (p=0,042).

Diagnosegruppen

Die medianen OHIP-49-Gesamtwerte betrugen 25,5 für Malignome, 3,5 für benigne Erkrankungen, 7 für Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und 41 für Osteoradionekrosen, was signifikante Unterschiede zwischen den Diagnosegruppen aufzeigt (p = 0,008). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Schweregrad der Grunderkrankung einen deutlichen Einfluss auf die Lebensqualität hat, insbesondere in Kategorien wie körperlicher Schmerz und funktionelle Einschränkungen.

Prothetische Versorgungsgruppen

Im Vergleich der prothetischen Versorgungsgruppen hatten Patienten mit implantatgetragenen Prothesen die besten OHrQoL-Werte, gefolgt von Patienten mit herausnehmbaren Vollprothesen und jenen ohne Prothesenversorgung. Patienten mit Teilprothesen schnitten am schlechtesten ab. Die Unterschiede zwischen diesen Gruppen waren signifikant (p = 0,048).

Allgemeine Lebensqualität (SF-36)

Die Medianwerte der SF-36-Subskalen lagen im gesamten Patientenkollektiv zwischen 72,5 und 100 von möglichen 100 Punkten. Es gab jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Diagnose- und Prothesengruppen. Bemerkenswert war, dass Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten in allen Subskalen höhere Werte aufwiesen, während Patienten mit Osteoradionekrose die schlechtesten Werte verzeichneten, insbesondere im Bereich der allgemeinen Gesundheit.

Eine signifikante Korrelation bestand zwischen dem OHIP-49-Gesamtwert und allen SF-36-Subskalen, wobei die stärkste Korrelation in den Bereichen allgemeine Gesundheit (ρ = -0,650), Vitalität (ρ = -0,610) und psychische Gesundheit (ρ = -0,540) zu beobachten war. Dies deutet darauf hin, dass die Mundgesundheit einen großen Einfluss auf die allgemeine physische und psychische Lebensqualität hat.

Diskussion und Schlussfolgerung

Die Studie zeigt, dass die Lebensqualität von Patienten nach mikrochirurgischer Kieferrekonstruktion stark von der zugrunde liegenden Erkrankung und der Art der prothetischen Versorgung abhängt. Patienten mit benignen Erkrankungen und jenen, die mit implantatgetragenen, festsitzenden Prothesen versorgt wurden, berichteten von der höchsten Lebensqualität. Demgegenüber litten Patienten mit Osteoradionekrose oder herausnehmbaren Teilprothesen sowie Patienten ohne Prothesenversorgung unter den schlechtesten OHrQoL-Werten.

Ein limitierender Faktor der Studie ist natürlich die geringe Stichprobengröße, insbesondere bei Patienten mit herausnehmbaren Teilprothesen. Dennoch zeigt die Analyse, dass die mikrochirurgische Kieferrekonstruktion eine effektive Möglichkeit zur Verbesserung der Lebensqualität sein kann, wenn eine entsprechende prothetische Rehabilitation durchgeführt wird.

Die Studie:
Zeman-Kuhnert, K., Gaggl, A.J., Bottini, G.B., Wittig, J., Steiner, C., Lauth, W., & Brandtner, C. (2024): Quality of Life After Microvascular Alveolar Ridge Reconstruction with Subsequent Dental Rehabilitation. Journal of Clinical Medicine, 13(6229). doi.org/10.3390/jcm13206229.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

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