Plädoyer für eine bessere Patientensteuerung
Freiberuflichkeit ist Patientenschutz, betonte Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes auf der Bundeshauptversammlung seines Verbands am 8. und 9. November in Berlin. Gesundheit sei keine Ware, ärztliche Leistung sei kein Kostentreiber und eine schlechte Gesundheitsversorgung sei Demokratie-gefährdend. Er forderte deshalb eine bessere Steuerung der Patienten im Gesundheitswesen.
Schluss mit der Vollkasko-Mentalität!
Es gelte, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zu stärken und die Vollkasko-Mentalität in der Bevölkerung zu bekämpfen. Weg von der freien Arztwahl müsse es zu einer effektiven Lenkung der Patientenströme kommen, dazu zähle etwa ein Wahltarif „freie Haus- und Facharztwahl“ bei den Krankenkassen. Auch mehr Transparenz und eine Kostenbeteiligung bei den Leistungen gehörten dazu, sagte Heinrich. Dazu müsse der Grundsatz gelten: ambulant vor stationär. Entscheidend seien die Entbudgetierung von ärztlichen Leistungen sowie die Niederlassungsfreiheit. Zum Platzen der Ampelkoalition sagte Heinrich, er erhoffe sich von der nächsten Regierung ein klares Bekenntnis zur Freiberuflichkeit. Die jetzige Regierung habe die Ärzteschaft drangsaliert und mit Bürokratie überlastet.
„Versorgung 2040“
Auf der Bundesversammlung hat der Virchowbund das Grundsatzprogramm „Versorgung 2040“ beschlossen. Zentral darin ist der Ruf nach effektiver Patientensteuerung. So schlägt der Virchowbund eine neue Rollen- und Aufgabenverteilung zwischen Haus- und Fachärzten vor, in deren Zentrum ein „Facharzt für Betreuung, Koordination, Information und Kommunikation“ steht. Dies soll in der Regel der Hausarzt sein, in einigen definierten Situationen auch ein „grundversorgender Facharzt“. Patienten sollen die Möglichkeit haben, sich gegen diese Art der Steuerung und für eine freie Arztwahl ohne Koordinierung der Inanspruchnahme zu entscheiden, wenn sie bereit sind, dafür höhere Eigenbeteiligungen zu akzeptieren. Wichtig sei zudem, den Patienten transparenten Einblick in die Kosten der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu geben, um die Eigenverantwortung zu stärken, heißt es in dem Papier.
Mit einer flammenden Rede unterstützte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Prof. Josef Hecken, die Forderung nach einer Patientensteuerung. „Behandeln wir immer die Richtigen? Nein!“, sagte er vor der Versammlung. Rund 20 bis 30 Prozent der Leistungen, die im Krankenhaus erbracht werden, seien nicht indiziert. Und viele aufsuchende Arzt-Patienten-Kontakte seien nicht notwendig und blockierten Termine für andere Patienten, die wirklich Hilfe benötigen.
„Wir müssen wegkommen vom Anspruchsdenken“, erklärte er. Es sei an der Zeit, über eine Praxisgebühr in veränderter Form nachzudenken – und zwar in sozialverträglicher Form, die aber nicht direkt auf Null gesetzt werden dürfe. „Solidargemeinschaft verlangt Eigenverantwortung“, so der G-BA-Vorsitzende. Die Höhe der Eigenbeteiligung müsse mindestens den „Gegenwert einer Schachtel Marlboro“ ausmachen.
Hecken hatte vor Kurzem zusammen mit Jochen Pimpertz, Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) ein Impulspapier für die Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlicht und Reformvorschläge für das Gesundheitswesen formuliert.
Die flächendeckende Versorgung durch niedergelassene freiberufliche Ärztinnen und Ärzte ist für Hecken das Rückgrat des Gesundheitswesens. Er habe jedoch feststellen müssen, dass in den vergangenen drei Jahren unter der Ampelkoalition eine flächendeckende Diskriminierung der Ärzte stattgefunden habe. „Wir brauchen eine Grundbesinnung auf das, was der Bereich der Niederlassung leistet“, sagte er.
Beschlüsse
Die Delegierten fassten auf der Versammlung zahlreiche Beschlüsse: So wehrten sie sich gegen das „Gesundes-Herz-Gesetz“ als einen weiteren Eingriff in die ärztliche Autonomie und Therapiefreiheit. Sie sprachen sich für eine deutliche Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft aus. Sie forderten, bei der geplanten Strafrechtsreform eine Verschärfung der Regelungen bei Angriffen auf Rettungskräfte und Krankenhauspersonal – und diese auf Angriffe gegen das Personal in Arztpraxen auszuweiten. Der Vorstand wurde aufgefordert, den Praxen Hinweise an die Hand zu geben, um sich gegen Gewalt zu schützen. Zur elektronischen Patientenakte (ePA) forderten sie, dass Inhalte, die von Dritten in die ePA hochgeladen werden, höchsten Sicherheitskriterien genügen. Zudem seien die Betreiber der ePA (Krankenkassen) für Schäden, die durch Inhalte der ePA verursacht werden, haftbar zu machen. Bei der Einführung sei auf verbindliche Standards zur Datenstruktur zu achten. Die Aufklärung zur ePA müsse durch die Krankenkassen gewährleistet sein.
Die Beschlüsse sind hier einsehbar.
Kritisch bilanzierte er die letzten Gesetzgebungsinitiativen im Gesundheitswesen, von denen viele an der Realität der Versorgungspraxis vorbeigingen. Und er kritisierte den darin für ihn erkennbaren schleichenden Weg in Richtung „Staatsmedizin“. Die Selbstverwaltung sei von der Politik als „Lobbyisten“ wahrgenommen worden, denen Entscheidungen allenfalls „am Katzentisch“ verkündet worden seien, zeigte er sich verärgert.
Die Selbstverwaltung saß zu oft nur am Katzentisch
Der G-BA-Vorsitzende wurde auf der Versammlung mit der Kaspar-Roos-Medaille des Virchowbundes geehrt, um seinen Einsatz für die ärztliche Freiberuflichkeit gegen Angriffe aus Politik und Selbstverwaltung zu würdigen.
Die Legislatur sei für den gesundheitspolitischen Bereich vorbei, betonte Tino Sorge, MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag in der anschließenden Podiumsdiskussion. Und: Man werde keinem der laufenden Gesundheits-Gesetze, die jetzt noch in der Pipeline seien, „über die Rampe helfen“, kündigte er an. Sollte die CDU in die Verantwortung kommen, werde man die Kommunikation mit den Ärzten verbessern. Christian Bartelt, MdB FDP und Mitglied des Gesundheitsausschusses, zeigte sich offen, dass die FDP noch für das geplante Bürokratieentlastungsgesetz stimmen könnte. Mehr Zeit für die Sprechende Medizin und die Stärkung der Freiberuflichkeit stünden bei seiner Partei auf der Agenda. Nezahat Baradari, MdB SPD und Mitglied des Gesundheitsausschusses, betonte, man sei „angewiesen auf demokratische Strukturen“. Und: „Wir müssen die Probleme gemeinsam angehen.“