Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung

Freie Arztwahl nur noch gegen Aufpreis?

Der durch­schnittliche Zusatzbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen soll um 0,8 Prozent steigen. Um dieser Kostenexplosion gegenzusteuern, will eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung die freie Arztwahl nur noch gegen Aufpreis ermöglichen.

Um eine gute Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, müsse man permanent die Strukturen anpassen, schreiben die Autoren Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), und Jochen Pimpertz, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), in ihrem Impulspapier für die Konrad-Adenauer-Stiftung. Unter dem Titel „Mut zu neuen Ideen – Für eine dauerhafte Verlässlichkeit unseres Gesundheitswesens“ skizzieren sie die aus ihrer Sicht wesentlichen Probleme der GKV und stellen ihre Reformvorschläge vor.

Deutschland verfüge grundsätzlich über ein leistungsfähiges Gesundheitswesen, betonen die Autoren: „Es genießt auch international hohes Ansehen, weil der medizinische Fortschritt bei uns weitgehend unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen bei Bedarf zur Verfügung steht. Jedoch führen neue Therapiemöglichkeiten sowie der demografische Wandel zu einem starken Wachstum der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die langfristige Deckung dieser Ausgaben über Beitragseinnahmen erscheint fraglich.“

Solidarität kostet ...

Wenn man den solidarischen Charakter des Gesundheitswesens erhalten will, müsse man beherzt nach Möglichkeiten suchen, um die Wirksamkeit des Einsatzes von Personal und finanziellen Mitteln zu verbessern. Die Krankenversicherung leide an einem „überproportional starken Wachstum der Ausgaben“, macht Pimpertz klar. Pro Kopf stiegen die Ausgaben „seit über zwei Dekaden jedes Jahr um einen Prozentpunkt stärker als die beitragspflichtigen Einkommen“.

Die Suche nach neuen Finanzierungsquellen sei aber keine nachhaltige Lösung, solange Fehlanreize im System bestehen bleiben. Ein Baustein seien dagegen marktwirtschaftliche Steuerungselemente. In der ambulanten Versorgung bräuchte es dazu Vertragsfreiheiten für Krankenkassen und Anbieter von ambulanten Versorgungsleistungen, vor allem aber ein Preissignal, das kostenbewusste Entscheidungen der Versicherten belohnt.

Diese Probleme und Lösungen identifizieren Pimpertz und Hecken:

1. Demografischer Wandel:
Die alternde Bevölkerung führe zu einem steigenden Bedarf an medizinischen und pflegerischen Leistungen, während die Zahl der Beitragszahler abnimmt. Dies sei eine finanzielle Herausforderung.

2. Effizienzsteigerung:
Um die Solidität des Gesundheitssystems zu bewahren, sei es notwendig, den Einsatz von Personal und finanziellen Mitteln zu verbessern. Deutschland habe im internationalen Vergleich hohe Ausgaben, erziele aber nur durchschnittliche Ergebnisse.

3. Integration der Versorgung:
Eine bessere Verzahnung der verschiedenen Sektoren könne die Qualität medizinischer und pflegerischer Leistungen zu erhöhen.

4. Kostenbewusstsein:
„Preissignale“ würden das Kostenbewusstsein aller Beteiligten zu stärken, ohne den solidarischen Charakter des Systems zu gefährden.

Konkret könne eine hausarztzentrierte Versorgung (HzV) die Wartezeit auf Termine verkürzen, die Versorgung verbessern und die Ausgaben verringern. Sie sollte daher „zum zwingenden Bestandteil der Regelversorgung gemacht werden“. Die Kassen sollten ihren Versicherten billigere Tarife anbieten, die zum Besuch bestimmter Haus- und Fachärzte verpflichten. Versicherte, die eine solche hausarztzentrierte Versorgung nicht wünschen, könnten über Beitragszuschläge den bisherigen Status quo – im Klartext: die freie Arztwahl – für sich aufrechterhalten.

... und die freie Arztwahl auch

Pimpertz plädiert für ein „Preissignal in Form eines monatlich zu zahlenden Betrages, damit die Versicherten die Wahl aus verschiedenen Modellen kostenbewusst treffen können“. Das heißt, die Kassen dürften künftig mit Praxen individuelle Verträge abschließen: „Das könnte sich für teilnehmende Praxen lohnen, sofern sie ein höheres Patientenaufkommen erwarten dürfen als bei freier Arztwahl.“

Hecken bemängelt, dass in der Ver­sorgung „unnötige Patienten-Arzt-Kontakte stattfinden, Doppel- und Dreifachuntersuchungen durchgeführt werden und bei manchen Patientinnen oder Patienten das Phänomen des 'Ärzte-Hoppings' zu beobachten ist“. Dies führe zur Vergeudung kostbarer personeller und finanzieller Ressourcen und sei auch ein Grund für lange Wartezeiten vor allem auf Facharzttermine.

In der alternden Gesellschaft lebten außerdem mehr und mehr multimorbide Patienten und der Bedarf an medizinischer Versorgung steige, so dass qualifiziertes medizinisches Personal eine immer kostbarere Ressource werde. In dem Zusammenhang sehen die Autoren im internationalen Vergleich einen „erheblichen“ Nachholbedarf bei der Ambulantisierung.

Drei Fragen an Dr. Jochen Pimpertz

Herr Dr. Pimpertz, wenn man Ihre Vorschläge umsetzt, gibt es die freie Arztwahl dann nur noch für Besserverdiener?

Dr. Jochen Pimpertz: Keineswegs. Die Wahl eines Tarifs mit beschränkter Arztwahl kann zu unterschiedlichen Kosten des Versicherungsschutzes führen, aber auch neue Möglichkeiten des Qualitätsmanagements eröffnen. Deshalb hängt die Entscheidung nicht nur vom Geldbeutel ab. Was es aber braucht, ist ein steuerfinanzierter Sozialausgleich, damit niemand überfordert wird, wenn er entsprechend seiner Wahl einen zusätzlichen Betrag statt Beitrag entrichtet – egal ob bei freier Arztwahl oder in einem exklusiven Versorgungsmodell.

Versicherte sollen Praxen künftig nach dem günstigsten Tarif aussuchen können. Wie kann das im Alltag funktionieren?

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Den Krankenkassen käme die Aufgabe zu, je nach örtlichen Gegebenheiten Tarife mit freier Arztwahl oder besonderen Versorgungsnetzwerken zu entwickeln und zu bewerben. Versicherte können dann nicht nur zwischen Kassen wählen, sondern je nach Versorgungsmodell auch zwischen verschiedenen Tarifen. Dafür braucht es Gestaltungsfreiheiten für die Kassen und ärztlichen Praxen, aber auch Preissignale, damit sich eine kostenbewusste Wahl auch für Versicherte lohnen kann.

GKV-Beitragszahler finanzieren mehr und mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben mit. Für 2023 standen dem Bundeszuschuss von 16,6 Milliarden GKV-Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen von 59,8 Milliarden gegenüber. Das ist eine Unterfinanzierung von 43,2 Milliarden Euro. Müsste man diesen Verschiebebahnhof nicht stilllegen?

Die Diskussion kann man gut begründet führen. Doch egal mit welchem Ausgang, es ändert nichts an der Tatsache, dass die Finanzierungserfordernisse angesichts der demografischen Herausforderungen steigen werden. Sollen die Beitragslasten aber nicht ins Uferlose steigen, müssen zunehmend knappe Mittel auch im Gesundheitswesen möglichst effizient eingesetzt werden. Dafür braucht es mehr statt weniger Wettbewerb – auch um den Preis einer finanziellen Eigenverantwortung der Versicherten.

Das Gespräch führte Claudia Kluckhuhn.

Die geplante Krankenhausreform eröffne die Möglichkeit, nicht bedarfsgerechte Versorgungsangebote abzubauen und aufwendige Doppelstrukturen zur Erbringung spezialisierter Leistungen zu vermeiden. Das sei besonders vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels zentral, erläutert Hecken. So bleibe eine Kategorisierung der Kliniken nach den ihnen zugeteilten Versorgungsaufträgen – als Grundversorger, Maximalversorger oder Spezialversorger – für „ein Mehr an Patientensicherheit und effizienten Einsatz von Geldern weiterhin zwingend notwendig“.

Die Studie:
Pimpertz, Jochen / Hecken, Josef, 2024: Mut zu neuen Ideen – Effiziente Versorgung braucht Wettbewerb und knappheitsgerechte Preise, Herausgeberin: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Berlin, Köln

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