Auswertung der BARMER

Unerwartet große regionale Unterschiede bei Amalgamfüllungen

Vor dem Hintergrund des Amalgamverbots in der Europäischen Union ab 2025 haben Experten der BARMER in einer Studie die aktuelle Verwendung des Materials in der vertragszahnärztlichen Versorgung anhand eigener Daten genauer untersucht. Die Zahlen sind teils bis auf Kreisebene aufgeschlüsselt – mit interessanten Ergebnissen.

Basis der Analyse waren die Routinedaten von etwa neun Millionen Versicherten für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2023. Verwendet wurden in erster Linie die konservierend-chirurgischen Abrechnungszahlen, die ab dem 1. Januar 2021 durch eine verpflichtende Zusatzkodierung die Detektion von Amalgamfüllungen ermöglichen. Dabei wurden speziell die Prämolaren und die Molaren (im bleibenden Gebiss) betrachtet. Die Auswertung erfolgte für ganz Deutschland, auf Länderebene und regional differenziert nach Kreisen.

Wie Amalgam in den Mund kam

Amalgam wurde offenbar bereits im 7. bis 10. Jahrhundert nach Christus in der chinesischen Tang-Dynastie als Zahnfüllungswerkstoff eingesetzt. Erste Hinweise auf eine Verwendung in Deutschland datieren aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die eigentliche Einführung als Füllungsmaterial in der westlichen Welt begann in den 1830er-Jahren. Damals wurde Amalgam für Zahnfüllungen hergestellt, indem Quecksilber mit Partikeln von Silbermünzen – aber auch mit anderen Metallspänen – angemischt wurde. Erste Fragen nach der Verträglichkeit tauchen bereits in dieser Zeit auf. Mit der Wende zum 20. Jahrhundert wurde auch die Forschung zu Amalgam substanzieller und die Rezepturen einheitlicher und sicherer. So etablierten sich die hochwertigeren Edel- und Silberamalgame im Gegensatz zu den preiswerteren Kupferamalgamen.

In Verbindung mit den neuen Regeln zur Kariesbehandlung und Kavitätenpräparation nach Black wurde damit erstmals die Basis für eine langlebige, solide, wenig aufwendige und preiswerte Füllungstherapie gelegt. Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden mehr als 75 Prozent der Zahnfüllungen in Deutschland aus Amalgam. Bereits in den 1930er-Jahren wurden Forderungen nach einer Qualitätssicherung laut, da viele Füllungen im Praxisalltag nicht so lange hielten, wie es das Material vermuten ließ. In den 1950er- bis 1980er-Jahren konnte man schließlich mithilfe besserer Messmethoden die Quecksilberfreisetzung im Mund und am Arbeitsplatz – aber auch Quecksilberkonzentrationen in Körperflüssigkeiten – exakter bestimmen. Aus dieser Zeit stammt die letztlich bis heute gültige Erkenntnis, dass die Quecksilberbelastung durch sich lösendes Quecksilber aus Amalgamfüllungen viel geringer ist als durch Umwelteinflüsse und Ernährung.

Zu den Ergebnissen: „Wie angenommen, sehen wir einen deutlichen Rückgang der Amalgamverwendung in Deutschland“, schreiben die Forschenden. „Allerdings sind die regionalen Unterschiede unerwartet groß.“ So gebe es Regionen, in denen der Werkstoff bei mehr als einem Sechstel aller Füllungspatientinnen und -patienten und in über der Hälfte der Praxen noch für Füllungen verwendet wird, während er in anderen Regionen fast keine Rolle mehr spielt.

Mehr als 80 Prozent der Praxen sind „amalgamfrei“

Deutschlandweit lag der Anteil der Praxen, die 2023 mindestens eine Amalgamfüllung abgerechnet haben, bei knapp 20 Prozent. Somit sind mehr als 80 Prozent der Praxen in Deutschland „amalgamfrei“. Auf Länderebene reichten die Anteile der Praxen mit Amalgamverwendung von 8,3 Prozent in Baden-Württemberg bis zu 48,2 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Je nach Kreis schwankte der Wert zwischen 4,4 Prozent und 59,2 Prozent.

Bundesweit lag der Anteil der Amalgamfüllungen im Seitenzahnbereich bei bleibenden Zähnen 2023 bei 2,6 Prozent. Insgesamt 3,5 Prozent der Patienten erhielten in dem Jahr Amalgam für Seitenzahnfüllungen.

Am wenigsten Amalgam wurde in Baden-Württem­berg, Bayern und Hessen verbaut mit rund 1,2, 1,3 sowie 1,9 Prozent. Spitzenreiter sind Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit 8,3, 8,7 sowie 11,2 Prozent. Das heißt, jede neunte Person in Mecklenburg-Vorpommern erhielt bei schadhaften Seitenzähnen eine Amalgamfüllung, in Baden-Württemberg hingegen nur jede 83.

Die Autorinnen und Autoren kommen zu dem Schluss, dass der Verlust „eines medizinisch akzeptierten und langlebigen Werkstoffs ohne Zuzahlung“ vermutlich besonders sozial schwache Bevölkerungsgruppen trifft: „Es sollte eine benachteiligungsfreie Lösung für die jetzigen Inanspruchnehmenden von Amalgamfüllungen angestrebt werden.“

Michael Rädel, Heinz-Werner Priess, Steffen Bohm, Michael Walter: Zahnreport 2024, Verwendung von Dentalamalgam: Aktuelle Versorgungsrealität und Auswirkungen des bevorstehenden Amalgamverbots, DOI 10.30433/zahn.2024.01

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