Zahnarzt versorgt Berufskraftfahrer

„Ich kenne die Enge der Kabine!“

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Seit mehr als zehn Jahren behandelt Dr. Ralph Deppe über die Initiative „DocStop“ Fernfahrer mit akuten Zahnschmerzen aus ganz Europa. Der Zahnmediziner fährt im Rahmen eines Minijobs obendrein selbst LKW und kennt die Bedingungen der Brummifahrer, die oft unter Stress stehen.

Herr Dr. Deppe, Sie machen mit bei der gemeinnützigen Initiative „DocStop“, einem europaweiten Netzwerk aus Medizinern, das medizinische Akutversorgung von Lkw- und Busfahrern übernimmt. Was hat Sie dazu motiviert?

Dr. Ralph Deppe: Allem voran war es der Wunsch, denjenigen zu helfen, die uns tagtäglich mit Waren versorgen und sich selbst dafür zurückstellen müssen. Wir Verbraucher vergessen schnell, dass die Fahrer oft wochenlang unterwegs sind und dabei unter ständigem Zeitdruck stehen. Was dabei im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke bleibt, ist deren medizinische Versorgung.

Unser Ziel neben der „Unterwegsversorgung“ ist, das Leben der Fahrer etwas einfacher und menschenwürdiger zu machen. Mich persönlich begeistern LKW seit meiner Kindheit. Ich fahre zweimal im Monat selbst im Auftrag einer Firma und habe die Enge der Kabine, die oft fehlenden Zugänge zu Sanitäranlagen und warmen Mahlzeiten sowie die tonnenschwere Belastung selbst erlebt.

Die Fahrer sind eine ganz spezielle Patientengruppe. Was sind die besonderen Herausforderungen?

Die Fahrer müssen sehr eng getaktete Time Slots einhalten und gleichzeitig ihre Lenkzeit beachten, sprich, alle 4,5 Stunden einen Parkplatz ansteuern, um Pause zu machen. Zeit ist Geld. Kommt es zu Verspätungen, zum Beispiel aufgrund von Stau, gerät der gesamte Ablauf aus dem Takt: Die Anschlussfahrt kann nicht erreicht werden und die Fahrer stranden irgendwo auf einem Parkplatz. Dort ist oft nicht einmal eine Dusche vorhanden. Bei gesundheitlichen Beschwerden haben die Fahrer auf ihrer Route kaum Gelegenheit, zu ihrem Hausarzt oder Zahnarzt zu kommen. Stattdessen nehmen sie Schmerzmittel oder betäuben die Beschwerden sogar mit Drogen. Das kann gefährlich werden in Bezug auf die Verkehrstüchtigkeit, ziehen sie schließlich bis zu 40 Tonnen mit sich. Über DocStop können sie online oder über die Hotline einen Termin nahe ihrer aktuellen Route finden. Ihnen wird dann auch mitgeteilt, wo sie ihren LKW abstellen können und wie sie die letzten Meter zur Praxis am besten zurücklegen.

Wie sieht dann die Behandlung in der Praxis aus?

Bekommen wir einen Fernfahrer als Patienten vermittelt, versuchen wir ihn so schnell wie möglich zu versorgen. Das heißt, dass er nicht noch lange im Wartezimmer Platz nehmen muss, sondern direkt bei uns auf den Behandlungsstuhl kommt. Schließlich ist der Zeitdruck bei diesen Patienten schon groß genug.

Die meisten sind Routinefälle: Oft geht es um Schmerzen, ausgelöst etwa durch Abszesse, nicht selten begleitet von Fieber. Wir erlösen die Patienten, die sich häufig bereits lange mit den Schmerzen herumgeschleppt haben, dann von dem Druck der Schwellung und versorgen sie. Kurz gesagt, suchen wir Lösungen, die auch schnell durchgreifen, damit es weitergehen kann. Zum Glück musste bisher bei uns niemand ins Krankenhaus überwiesen werden, weil die Lage sich schon so zugespitzt hatte. Ist der Patient ein ausländischer Fernfahrer, verständigen wir uns mit Händen und Füßen.

Bedeutet das für ein Mitglied des Projekts Mehraufwand?

Der Praxisalltag wird tatsächlich kaum beeinträchtigt. Unsere Erfahrungen waren bisher durchweg positiv. Und auch die Abrechnung dieser Patienten ist unkompliziert: bei EU-Bürgern sind die Versicherungssysteme untereinander vernetzt. Bei Patienten aus anderen Staaten gehen diese oder ihre Speditionen in Vorkasse und regeln das dann im jeweiligen Heimatland. Ich sehe etwa zwei Hände voll Fernfahrer im Jahr in meiner Praxis. Das lässt sich gut und unproblematisch managen. Wichtig ist, dass es das Netzwerk von DocStop und das Angebot überhaupt gibt.

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Neben der Vermittlung von Praxen für die Akutversorgung informiert DocStop darüber, wo Unterkünfte und Sanitäranlagen sind.

Gibt es Voraussetzungen, die eine Praxis erfüllen muss?

Nein, die gibt es nicht. Praktisch ist es natürlich, wenn die Praxis – so wie meine – nahe eines Knotenpunkts oder Drehkreuzes liegt. Das vereinfacht die Organisation. Bremerhaven beispielsweise ist als Seehafen Anlaufpunkt für viele LKW-Fahrer. Früher habe ich übrigens Seefahrer behandelt, die ebenfalls wochenlang nicht zu Hause sind.

Gerade wächst das Netzwerk um Übernachtungsmöglichkeiten, die Speditionen auf ihrem Firmengelände zur Verfügung stellen. Eine warme Dusche und ein sicherer Schlafplatz sollten das Mindeste sein. Dies alles dient der Verbesserung der Verkehrstüchtigkeit und damit der Vermeidung von Unfällen auf europäischen Straßen.

Über DocStop

Der gemeinnützige Verein „DocStop für Europäer e.V.“ wurde 2007 gegründet, um in- und ausländischen LKW-Fahrern mit unkomplizierter medizinischer „Unterwegsversorgung“ zu helfen. Das betrifft vor allem Beschwerden in überschaubarem Ausmaß, wie Zahnschmerzen, Dauerkopfweh oder akut auftretende Rückenbeschwerden. Unter der kostenlosen DocStop-Hotline 008000 327867 (008000-DOCSTOP) erfahren die Fahrer die Anlaufstellen in ihrer Nähe. Dort gibt es in der Regel auch einen LKW-Parkplatz. Auch über die Website www.docstop.eu und in vielen Smartphone-Apps für Fernfahrer sind die Partner des Netzwerks abrufbar.

Eine Mitgliedschaft bei DocStop ist nicht erforderlich, die Behandlungskosten übernehmen die Krankenkassen oder die Speditionen. Der Verein wird von Ehrenamtlichen getragen, deren Arbeit größtenteils über Spenden finanziert ist. Die Arztpraxen und Kliniken im DocStop-Netzwerk beteiligen sich ebenfalls freiwillig. Interessierte Kolleginnen und Kollegen senden eine formlose E-Mail an info@docstop.eu.

Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Fernfahrer – etwa den freien Zugang zu Sanitäreinrichtungen. Mit der medizinischen Versorgung soll die Verkehrssicherheit erhöht werden. Der Verein ist deshalb regelmäßig auf Veranstaltungen und Messen mit einem Infostand vertreten, auch auf Rast- und Autohöfen klären Ehrenamtliche regelmäßig über DocStop auf.

Das Gespräch führte Laura Langer.

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