Fehlermanagement in der Praxis – Teil 1

So entsteht psychologische Sicherheit in der Praxis

Anke Handrock
,
Maike Baumann
,
Annika Łonak
Die Digitalisierung hält Einzug in die Praxen, moderne Behandlungstechnologien und KI-gestützte Bildanalysen revolutionieren Diagnostik und Therapie. Wenn es anspruchsvoller und hektischer wird, passieren häufiger Fehler. Damit sich alle im Team möglichst schnell an die Bedingungen anpassen können, ist der Austausch über Fehler und Abweichungen unerlässlich.

Die allermeisten Mitarbeitenden wollen – und das ist prinzipiell auch gut – fehlerfrei arbeiten. In Kombination mit der Annahme (und dem Druck), dass man das auch immer kann, wird dieses Streben jedoch gefährlich. Denn viele haben Angst, Fehler einzugestehen. Daran müssen Sie in Ihrer Praxis arbeiten, Sie brauchen ein gutes Fehlermanagement.

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Erleben von Fehlern bei der Mehrheit der Angestellten Ängste auslöst – Angst vor Sanktionen, vor dem Verlust von Anerkennung, vor negativer Nachrede. Das wiederum bringt viele dazu, Pannen eher zu verbergen. In Zeiten, in denen nahezu alle Dinge in der Praxis vorhersehbar richtig oder falsch gemacht werden konnten, war diese Haltung zwar belastend, aber nicht wirklich schädlich für die weitere Entwicklung. Heute bedeuten Fehler allerdings oft, dass Dinge nicht korrekt erfasst und aufgesetzt wurden, so dass im Nachgang eine komplette Kurskorrektur erforderlich ist. Deshalb würde es allen helfen, wenn Fehler offen angesprochen und gemeinsam Lösungen gesucht werden können.

Dazu braucht es allerdings eine grundsätzlich andere Einstellung zu Fehlern. Studien belegen zudem, dass sich fast 90 Prozent der Mitarbeitenden eine positive Fehlerkultur wünschen, in der Scheitern als Potenzial betrachtet wird. Sie wünschen sich einen offeneren Umgang mit Schnitzern, indem auch die Chefs ihre Missgeschicke eingestehen und darüber sprechen. Ökonomen rechnen, dass allein im administrativen Bereich etwa zehn Prozent der Gesamtarbeitszeit für die Korrektur von Fehlern aufgewendet wird, die anders ausgewertet, wertvolle Lernchancen bieten könnten.

„Wer das verbockt hat, kann was erleben!“

In einer Praxis wurde von der Zahntechnik ein Inlay im Artikulator geliefert. Die Zahnärztin hatte es bereits kurz gesehen. Als sie nach einigen Minuten zurück ins Behandlungszimmer kam, war das Inlay jedoch verschwunden. Der Patient auf dem Stuhl erlebte eine fieberhafte, aber ergebnislose Suche nach seinem Inlay. Die Zahnärztin sagte verärgert: „Wer das verbockt hat, kann was erleben!“ Sie befragte alle anwesenden Mitarbeiterinnen – keine hatte das Stück gesehen.

Es erfolgte eine neue Abformung. Die Stimmung in der Praxis war auf dem Tiefpunkt. Das Inlay und die Schuldige tauchten nie auf. Einige Jahre später wurde diese Situation in einem Coaching erwähnt. Die dienstälteste Mitarbeiterin sagte: „Oh, das ist mir passiert, jetzt kann ich das ja sagen.“ Die Zahnärztin fiel aus allen Wolken und die Mitarbeiterin fuhr fort: „Damals hatte ich viel zu große Angst, rauszufliegen oder vor allen blamiert zu werden. Aber das ist ja jetzt ganz anders hier.

Ich hatte damals extra dafür gesorgt, dass alle Kolleginnen etwas in dem Zimmer zu erledigen hatten. So konnten Sie nicht herausfinden, wem das passiert war. Das Inlay ist mir in die Ritze hinter den Schränken gefallen.“ Wie viel geschickter hätte sich die Situation lösen lassen, wenn die Mitarbeiterin damals den Mut gehabt hätte, die Zahnärztin vor dem Betreten des Zimmers zu informieren! Und wie viel besser wäre die Stimmung in den Monaten nach dem Zwischenfall im Team gewesen!

Schweigen aus Angst bringt niemanden weiter

Im Beispiel (Kasten unten) kann man natürlich die Reaktion der Zahnärztin als Auslöser sehen, aber das wäre zu kurz gesprungen. Wenn eine derartige Äußerung in einer Erregungssituation passiert und hinterher – im Sinne eines Fehlermanagements – angesprochen und bearbeitet wird, wird das voraussichtlich keinen Schaden anrichten. Man weiß heute, dass es darum geht, im gesamten Praxissystem ein Gefühl von psychologischer Sicherheit zu schaffen.

Psychologische Sicherheit im Sinne der US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Amy Edmondson heißt, systematisch auf Dauer eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeitende ohne Angst vor negativen Konsequenzen ihre Meinungen äußern, Fragen stellen oder Fehler offen und angstfrei thematisieren können. Diese Atmosphäre stärkt das Vertrauen in die Führung und ins Team, fördert den Zusammenhalt sowie die Bindung und steigert die Produktivität. Es geht darum sicherzustellen, dass innerhalb der gesamten Gruppe ein positiver, wertschätzender Umgang miteinander herrscht, der es ermöglicht, Fehler ansprechen und diese als gemeinsame Lernchancen nutzen zu können, ohne von Vorgesetzten oder der Gruppe bloßgestellt zu werden.

Was können Sie tun?

  1. Sie können eine offene, vertrauensvolle Kommunikation fördern
    Wichtig ist, in Team-Meetings darauf zu achten, dass hier auch die positiven Dinge Raum finden. Also auch: Was lief gut? Möglichst alle Mitarbeitenden sollten ihre Gedanken und Vorschläge äußern können (und auch dazu motiviert werden). Wichtig ist dabei, dass die Beiträge wirklich aktiv angehört und wertschätzend aufgenommen werden.

  2. Sie können aktiv eine positive Fehlerkultur etablieren
    Wir machen täglich Fehler. Es hilft, als Chefin die eigenen Fehler aktiv anzusprechen und somit ein Vorbild zu sein. Dabei kann man den Schlamassel als normalen Teil von Lernprozessen einordnen. Wenn es um Fehler von Mitarbeitenden geht, hilft es bewusst den „Schuldigen“ nicht wissen zu wollen, sondern an der Optimierung der Prozesse zu arbeiten. Im Englischen gibt es dafür den Slogan: „Blame the process, not the people!“ Wenn Mitarbeitende selber Fehler ansprechen, bedanken Sie sich für die Offenheit (und vielleicht auch für den Mut). Danach sorgen Sie für eine positive Lösung des Problems und stellen sicher, dass niemand über die betroffene Mitarbeiterin herzieht. Es kann auch hilfreich sein, Mitarbeitende zu bitten, aktiv den „Fehler des Monats“ suchen.

  3. Sie können systematisch Vertrauen aufbauen
    Halten Sie Ihre Zusagen ein, um Verlässlichkeit zu demonstrieren. Machen Sie keine Versprechungen, die Sie nicht einhalten können oder wollen. Falls Ihnen das doch passiert, betrachten Sie es als Fehler und benennen Sie das auch so. Sorgen Sie für Transparenz und teilen Sie relevante Informationen offen mit (und so, dass alle davon Kenntnis erhalten), insbesondere bei Veränderungen in der Praxis.

  4. Sie können durch positives Feedback Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken
    Erkennen Sie – auch kleine – Leistungen an und bedanken Sie sich regelmäßig im Wechsel möglichst bei jedem Teammitglied. Das ist oft gar nicht so einfach und erfordert teilweise Übung. Manchmal hilft es, sich eine Woche lang abends für jede Mitarbeitende aufzuschreiben, wofür Sie sich bedanken könnten. Das trainiert die eigene Aufmerksamkeit.

  5. Sie können Ihre Mitarbeitenden so weit wie möglich in Entscheidungsprozesse einbinden
    Bitten Sie aktiv um Vorschläge und Ideen für Prozessoptimierungen und auch für Anschaffungen. Beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden eventuell in Personalentscheidungen ein.

  6. Sie können Unterstützung beim Lernen anbieten
    Etablieren Sie gute Onboarding-Prozesse und fördern Sie Coachings insbesondere für neue Technologien oder Verfahren. Erkennen Sie das Engagement beim Lernen an. Geben Sie regelmäßig konstruktives Feedback über Lernfortschritte und fördern Sie das aktive Nachfragen.

  7. Sie können im Team den Austausch unterschiedlicher Perspektiven und Ansichten unterstützen
    Wenn ich mit meinen Ansichten normalerweise akzeptiert werde – ohne dass andere diese teilen müssen –, verstärkt dies das Gefühl, in dieser Praxis – so wie ich bin – willkommen zu sein. Das erhöht die Sicherheit, wirklich dazuzugehören.

Fehlermanagement in der Praxis

  • Teil 1: Das Prinzip der psychologischen Sicherheit

  • Teil 2: Fehlerbesprechung mit einzelnen Mitarbeitern

  • Teil 3: Fehlerbesprechung mit dem Team

Fazit

Psychologische Sicherheit in einer Praxis stärkt die Zusammenarbeit, das Engagement des Teams und die Produktivität. Indem Sie eine offene Fehlerkultur, eine wertschätzende Kommunikation und vertrauensvolle Beziehungen fördern, schaffen Sie eine Arbeitsatmosphäre, in der sich Ihre Mitarbeitenden sicher fühlen, ihr volles Potenzial einzubringen. Dies führt nicht nur zu einem zufriedeneren Team, sondern auch zu einer höheren Patientenzufriedenheit und einem langfristig erfolgreichen Praxisbetrieb.

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Dr. med. dent. Anke Handrock

Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie,
Coaching und Mediation,
Speakerin und Autorin
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Dipl.-Psych. Maike Baumann

Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin
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Annika Łonak

Fachärztin für Radiologie und Neuroradiologie, Oberärztin Universitätsspital Basel

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