Debatte um Blaumachen, Karenztage und Anreizsysteme

Was tun bei zu hohem Krankenstand?

Allianz-Chef Oliver Bäte hat vorgeschlagen, am ersten Tag einer Krankmeldung keinen Lohn mehr zu zahlen. Aber würde ein sogenannter Karenztag das Problem der hohen Krankenstände lösen?

Angesichts des hohen Krankenstandes rund um den Jahreswechsel hatte Bäte empfohlen, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen und einen sogenannten Karenztag wiedereinzuführen: Arbeitnehmer in Deutschland seien im Durchschnitt 20 Tage pro Jahr krank, der EU-Durchschnitt liege hingegen bei acht Krankheitstagen. So könnten pro Jahr 40 Milliarden Euro eingespart werden.

In Schweden, Spanien oder Griechenland gibt es den Karenztag weiterhin, in Deutschland wurde er abgeschafft, um Arbeiter und Angestellte gleichzustellen. Der Karenztag führt dazu, dass Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen.

„Anwesenheitsprämien sind ein denkbares Instrument“

Welche rechtlichen Aspekte von Boni und Anwesenheitsprämien sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte beachten? Der Arbeitsrechtler und Rechtsanwalt Bernhard Kinold gibt Auskunft.

Ein Belohnungsmodell in Form von Boni für jeden Monat ohne Krankmeldung, sozusagen als Anwesenheitsprämie – kann das arbeitsrechtlich funktionieren?

Ja, arbeitsrechtlich ist das möglich, wenn bestimmte Vorgaben beachtet werden – aber dazu gleich mehr.

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Bernhard Kinold ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Und was ist aus Ihrer Sicht für Zahnarztpraxen davon zu halten?

Da unterscheiden sich Zahnarztpraxen eigentlich nicht von anderen Arbeitgebern. Die Mitarbeitenden werden benötigt, um den ordnungsgemäßen Praxisbetrieb aufrecht erhalten zu können, und ein zu hoher Krankenstand ist kaum durch entsprechende Personalreserven zu kompensieren. Zum einen, weil Personal ohnehin knapp ist und zum anderen, weil eine Personalreserve natürlich auch erheblich Kosten nach sich zieht. Da kann man sich schon einmal Gedanken machen, wie man den Krankenstand denn in den Griff bekommen kann. Anwesenheitsprämien sind da – auch in der Zahnarztpraxis – ein denkbares Instrument.

Wer Prämien für Anwesenheit erhält, läuft Gefahr, sich krank zur Arbeit zu schleppen – was ist aus Arbeitgebersicht rechtlich dazu zu sagen?

Ein Zahnarzt/eine Zahnärztin wird kein gesteigertes Interesse daran haben, mit kranken Assistenzkräften am Stuhl zu stehen. Wenn eine echte, insbesondere ansteckende Erkrankung vorliegt, gefährdet das nicht nur das gesamte medizinische und sonstige Praxisteam, sondern auch Patientinnen und Patienten, zumal sich ja eine gewisse körperliche Nähe kaum vermeiden lassen wird. Der Arbeitgeber darf auch erkennbar arbeitsunfähig erkranktes Personal gar nicht beschäftigen. Zielgruppe der Anwesenheitsprämie ist allerdings ja eher das „gar nicht wirklich kranke“ Personal, was aber im Einzelfall auch schwer abzugrenzen sein dürfte. Wenn ich eine Anwesenheitsprämie einführe, muss ich dies jedenfalls aus Gründen der Gleichbehandlung für alle Beschäftigten tun.

Was sollte eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt beachten, wenn er ein solches Anreizmodell in der Praxis einführen will?

Folgende Voraussetzungen sind einzuhalten: Die Anwesenheitsprämie muss zusätzlich zum normalen Arbeitsentgelt vereinbart werden und die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten (§ 4a Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG). Das ist die arbeitsrechtliche Seite. Daneben ist allerdings auch die Art und Weise der Einführung ein heikles Thema. Gehe ich hier als Arbeitgeber nicht mit dem nötigen diplomatischen Geschick, sondern mit der Brechstange vor, kann das erhebliche Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation haben. Niemand lässt sich gerne nachsagen, krank zu „feiern“.

Welche Anreize könnten aus Arbeitnehmersicht wirksam sein?

Die Anwesenheitsprämie ist für die Mitarbeitenden, die selten krank sind, eine schöne Sache, weil es ja zusätzliches Geld gibt, auf das sonst kein Rechtsanspruch bestünde. Als ungerecht wird sie dagegen empfunden von beispielsweise chronisch wiederkehrend Erkrankten, die dafür ja gar nichts können, aber trotzdem durch die Kürzung der Prämie „bestraft“ werden. Aus Arbeitnehmersicht ergibt sich also kein einheitliches Bild. Ratsam erscheint es, eine Anwesenheitsprämie mit motivierenden Anreizen zu kombinieren. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass ein Arbeitgeber den regelmäßigen Besuch eines Fitnessstudios als steuer- und sozialversicherungsbefreiten Sachbezug oder im Wege der betrieblichen Gesundheitsförderung bezuschusst. Das vereint Gesundheits- und Motivierungsaspekte und nützt damit letztlich allen, auch wenn das Ganze vordergründig den Arbeitgeber natürlich erst einmal Geld kostet. Das ist bei einer Anwesenheitsprämie aber ja nicht anders.

Ist es eine Lösung, wenn der Arbeitgeber die Pflicht zur AU-Bescheinigung am ersten Krankheitstag einführt?

Arbeitsrechtlich ist das jedenfalls kein Problem. § 5 EFZG sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. In den die AU-Bescheinigung ausstellenden Hausarztpraxen führt das natürlich zu einer erheblichen bürokratischen Mehrbelastung. Ob eine AU-Pflicht ab dem ersten Krankheitstag letztlich „Blaumachen“ wirklich verhindern kann, darf zudem bezweifelt werden. Was soll die Hausärztin oder der Hausarzt denn machen, wenn jemand beispielsweise über Übelkeit klagt? Auch dieses Instrument hat zudem den Nachteil, dass es schnell zu Unmut in der Belegschaft führt, weil man sich unter Generalverdacht gestellt sieht. Ein Allerheilmittel wird es vermutlich nicht geben. Eine gute Arbeitsatmosphäre, die zu motivierten Mitarbeitenden führt, die gerne zur Arbeit kommen, ist sicherlich vorzugswürdig.

Das Gespräch führte Gabriele Prchala.

Die Gründe für den hohen Krankenstand könnten jedoch auch ganz woanders liegen. Nach Aussagen des Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, sind die Krankschreibungen mit der Einführung der elektronischen Krankschreibung (eAU) 2021 auf einen Schlag in die Höhe gegangen. Heute werden alle Krankschreibungen zu 100 Prozent erfasst. Vor Einführung der eAU habe der Versicherte die Kopie an die Krankenkasse aber häufig gar nicht weggeschickt, sondern nur die an den Arbeitgeber.

Reinhardt verweist auf eine neue Studie des IGES-Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit: Auch sie hat das neue Meldeverfahren der eAU für die hohen Fehlzahlen ausgemacht, da seitdem Arzt-Atteste automatisch bei den Krankenkassen eingehen. Insgesamt sei die Zahl der Krankentage der DAK-versicherten Beschäftigten von 2021 auf 2022 um 37,6 Prozent angestiegen. Bezogen auf 100 Versicherte waren es von einem auf das andere Jahr 546 Ausfalltage mehr.

Seit der eAU sind viele mit einer leichten Erkältung krank

Als Beispiel nennt die Kasse leichte Erkrankungen. So waren mit Bauchschmerzen in jedem Jahr ungefähr gleich viele Beschäftigte in einer Arztpraxis in Behandlung. Nach Einführung der eAU tauchten jedoch deutlich mehr solche Fälle in den Kassendaten auf, die deswegen nicht nur behandelt, sondern auch krankgeschrieben wurden. Während vorher nur für zehn Prozent der Betroffenen eine entsprechende Krankschreibung bei der DAK-Gesundheit vorlag, sind es nach der Etablierung des Verfahrens 18 Prozent. Bei den Erkältungskrankheiten lässt sich ebenfalls der Anstieg zu 60 Prozent durch das neue elektronische Meldeverfahren erklären.

Ein zweiter wesentlicher Treiber für den sprunghaften Anstieg von 2021 auf 2022 sind demnach Atemwegserkrankungen: Mehr als ein Drittel (35 Prozent) der 564 zusätzlichen Fehltage je 100 Versicherte wurden von Schnupfen, Husten und anderen Atemwegsinfekten verursacht, für ein Fünftel des Anstiegs waren Corona-Infektionen verantwortlich.

Ein ganz anderer Lösungsansatz kam übrigens von der FDP: Sie schlägt einen Bonus vor, den Arbeitgeber für jeden Kalendermonat ohne Krankmeldung steuer- und abgabenfrei und zusätzlich zum Grundgehalt gewähren könnten. Dies sei gegenüber der Bestrafung einer Krankmeldung zu bevorzugen.

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