Prävention wirkt
Für die Deutsche Mundgesundheitsstudie DMS • 6 wurden deutschlandweit repräsentative Stichproben erhoben, die Rückschlüsse auf die Mundgesundheit, das Mundgesundheitsverhalten sowie den zahnmedizinischen Versorgungsgrad der Bevölkerung der gesamten Bundesrepublik zulassen. Die kombinierte multizentrische, national repräsentative Querschnitts- und Längsschnittstudie wurde vom Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) durchgeführt.
Die Ergebnisse der oralepidemiologischen Untersuchung spiegeln nicht nur umfassend den aktuellen Stand wider, sondern bieten im Sinne der analytischen Epidemiologie auch Rückschlüsse auf Zusammenhänge und Ursachen, die für gesundheitspolitische Entscheidungen eine zentrale Rolle spielen. Zum ersten Mal konnte auch eine Generation untersucht werden, die von Beginn an an gruppen- und individualprophylaktischen Maßnahmen teilhaben konnte.
Die Erhebung von Querschnitt-, Trend- und Längsschnitt-Daten der DMS • 6 erfolgte von Oktober 2022 bis September 2023. Erstmalig wurden auch Studienteilnehmer der DMS V (2014) erneut in die Untersuchung einbezogen. Die DMS • 6 hat fünf übergeordnete wissenschaftliche Fragestellungen. Sie betreffen den aktuellen Stand der Mundgesundheit in der Bevölkerung in Deutschland sowie Zusammenhänge zwischen soziokulturellen Merkmalen und oralen Erkrankungen – beide beziehen sich auf die Querschnittsdaten. Die dritte betrifft die Mundgesundheit und den Versorgungsstatus im Zeitverlauf von 1989 bis 2023 (Trend). Die Längsschnittdaten liefern Informationen über Veränderung oraler Erkrankungen im Lebensverlauf sowie den Einfluss von soziokulturellen Merkmalen auf die Entstehung und Entwicklung oraler Erkrankungen.
Für jede Altersgruppe war die Untersuchung von 1.000 zufällig ausgewählten Probandinnen und Probanden geplant. Von den angefragten Personen waren allerdings nur rund ein Drittel bereit zur Teilnahme an der Studie. Deshalb wurden die avisierten Probanden-Zahlen so angepasst, dass sie immer noch bevölkerungsrepräsentative Ergebnisse liefern. Schließlich haben 3.374 Personen an der DMS • 6 teilgenommen, davon 714 jüngere Kinder (acht- bis neun-Jährige), 959 ältere Kinder (Zwölfjährige), 929 jüngere Erwachsene (35- bis 44-Jährige) und 799 jüngere Senioren (65- bis 74-Jährige).
Karies
Die Studienergebnisse zeigen, dass im Bereich der Kariesprävention weiterhin positive Entwicklungen zu verzeichnen sind. Bei jüngeren Kindern wurde eine durchschnittliche Karieserfahrung von 1,4 Zähnen festgestellt, während 59,9 Prozent der acht- bis neun-Jährigen kariesfrei waren. Ältere Kinder hatten eine Karieserfahrung von nur 0,5 Zähnen und 77,6 Prozent waren kariesfrei. In beiden Altersgruppen konnte nachgewiesen werden, dass sich ein höherer Bildungsgrad der Familie positiv auf die Karieserfahrung auswirkt. So sind beispielsweise 85 Prozent der älteren Kinder aus einer hohen familiären Bildungsgruppe kariesfrei (Karieserfahrung 0,3 Zähne), während nur 59 Prozent der Kinder aus niedrigen familiären Bildungsgruppen kariesfrei sind (Karieserfahrung 1,2 Zähne).
DMS • 6 im Detail
In den kommenden Ausgaben werden die zentralen Ergebnisse der DMS • 6 vertiefend analysiert. Sechs separate Beiträge widmen sich den wichtigsten Themenschwerpunkten:
Karies
Parodontitis
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH)
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Migration
Zahnverlust
Bei jüngeren Erwachsenen zeigte sich im Vergleich zur DMS V ein deutlicher Rückgang von kariesbedingten Restaurationen: der DMFT (decayed, missing, filled teeth) sank von 11,2 (DMS V) auf 8,3 Zähne. Wurzelkaries konnte bei 13,8 Prozent festgestellt werden, während 6,9 Prozent der jüngeren Erwachsenen eine kariesfreie Dentition hatten. Der DFMT lag bei jüngeren Senioren bei 17,6 Zähnen. Gleichzeitig war der Zahnerhalt höher: Im Vergleich zur DMS 5 fehlten durchschnittlich nur 8,6 anstelle von 11,1 Zähnen.
Die Ergebnisse spiegeln einerseits wider, dass sich Präventionsmaßnahmen positiv auf die Mundgesundheit und Karieserfahrung auswirken. Gleichzeitig spitzen sich soziale Ungleichheiten weiter zu, was insbesondere in der Gruppe der Zwölfjährigen deutlich wird: Jugendliche aus Familien mit niedrigerem Bildungsniveau wiesen eine viermal höhere Kariesprävalenz auf als solche aus Familien mit höherem Bildungsstand.
Parodontitis
Laut denDMS • 6-Ergebnissen haben 95,1 Prozent der jüngeren Erwachsenen in Deutschland eine Parodontitis (31,6 Prozent Stadium I, 46 Prozent Stadium II, 13,6 Prozent Stadium III und 3,9 Prozent im Stadium IV). Bei jüngeren Senioren liegt die Zahl bei 85,2 Prozent (8,3 Prozent Stadium I, 24,2 Prozent Stadium II, 26,3 Prozent Stadium III und 26,4 Prozent im Stadium IV).
Von den erkrankten Personen hatten 9,2 der jüngeren Erwachsenen und 20,6 Prozent der jüngeren Senioren einen niedrigen Bildungsstatus. Ein Viertel der jungen Erwachsenen gab an, regelmäßig zu rauchen und 15,4 Prozent der jüngeren Senioren hatten einen Typ-2-Diabetes. Hilfsmittel zur Zahnzwischenraumreinigung nutzten rund ein Viertel der jüngeren Erwachsenen und 38,7 Prozent der Senioren täglich. Dabei hatten jüngere Erwachsene im Durchschnitt 26,6 Zähne, von denen 5,6 Zähne eine Sondierungstiefe von mindestens vier Millimeter aufwiesen. Jüngere Senioren hatten durchschnittlich 20,4 Zähne, von denen 8,3 eine Sondierungstiefe von mindestens vier Millimetern hatten.
Dabei ist die Zahl der vorhandenen Zähne bei jüngeren Erwachsenen im Vergleich zur DMS V von 25,9 auf 26,6 Zähne gestiegen, bei jungen Senioren von 17,2 auf 20,4 Zähne.
Die DMS • 6 ist die erste epidemiologische Studie, bei der die neue Paro-Klassifikation angewendet wird. Die Klassifikation unterteilt in Stadien (Schwere der Erkrankung) und Grade (Wahrscheinlichkeit einer Progression der Erkrankung). Nicht alle „Erkrankten“ sind demnach auch behandlungsbedürftig. Klinisch lässt sich das Stadium I als Zwischenphase zwischen Gingivitis und Parodontitis interpretieren, bei der präventive Ansätze vermutlich vorrangig sind.
Senioren-Zahnmedizin
Die Zahlen der totalen Zahnlosigkeit jüngerer Senioren sind in Deutschland weiter zurückgegangen und haben sich mit fünf Prozent im Vergleich zur DMS V (12,4 Prozent) mehr als halbiert. Im Mittel haben jüngere Senioren 19,3 Zähne. Gleichzeitig sind 6,7 Prozent der jüngeren Senioren sind noch vollbezahnt. Maßgeblicher Faktor für das Zahnverlust-Risiko im Alter war der Bildungsstand. So hatten jüngere Senioren höherer Bildungsgruppen im Schnitt nur 5,7 fehlende Zähne, während in es in niedrigen Bildungsgruppen 11,4 waren. Der Filled-Sound (FST)-Index beschreibt die Anzahl der gefüllten oder gesunden Zähne und hat sich von 16,4 (DMS V) auf 18,8 (DMS • 6) verbessert. Die Zahl der Wurzelkaries hat sich im Vergleich zur DMS V (28 Prozent) mit 59,1 Prozent mehr als verdoppelt, während der die Karieserfahrung (DMFT) mit 17,6 recht konstant geblieben ist.
Zahnärztliche Prothetik
Im zeitlichen Verlauf haben Einzelzahn- sowie festsitzende beziehungsweise Implantat-gestützte Versorgungen erheblich zugenommen und sich im Vergleich zur DMS IV von 35 auf 64,7 Prozent erhöht. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Totalprothesen sowie von herausnehmbarem Zahnersatz auf 29,9 Prozent nahezu halbiert.
MIH und Erosionen
Mehr als jedes siebte Kind im Alter von zwölf Jahren ist laut der DMS • 6 von einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) betroffen (15,3 Prozent), wobei auffällt, dass vermehrt Kinder mit höherem familiären Bildungsstatus erkrankt waren. Milde Formen im Sinne von begrenzten Opazitäten waren am häufigsten (63,3 Prozent), während bei 9,2 Prozent Schmelzeinbrüche vorhanden waren. 26,6 Prozent der Kinder hatten bereits zahnärztliche Restaurationen erhalten. Nur bei 0,9 Prozent wurden bereits MIH-Zähne extrahiert. Durchschnittlich waren bei jedem erkrankten Kind 3,4 Zähne von MIH betroffen.
Die MIH-Prävalenz entspricht ungefähr dem Mittelwert von 13 bis 14 Prozent. Im Vergleich zur DMS V sind die MIH-Zahlen in Deutschland deutlich geringer als noch 2014 mit damals 28,7 Prozent. Dabei ist allerdings zu beachten, dass kieferorthopädische Fälle ausgeschlossen wurden, weil die ersten Molaren hier nicht sicher beurteilbar waren. Die tatsächlichen Fallzahlen in Deutschland könnten demnach auch höher sein.
Erosionen wurden bei 43,2 Prozent der jüngeren Erwachsenen beobachtet. Davon zeigten 11,9 Prozent einen initialen Substanzverlust, 26,2 Prozent einen Substanzverlust kleiner 50 Prozent und 5,1 Prozent einen Substanzverlust von mehr als 50 Prozent. Damit zeigen schwere Fälle eine deutliche Zunahme im Vergleich zur DMS V (1,9 Prozent). Bemerkenswert ist, dass die Prävalenz von Erosionen bei jüngeren Erwachsenen mit einem hohen Bildungsstatus höher war.
Plaque
Erstmalig wurde in der DMS • 6 nicht nur das Zahnputzverhalten abgefragt, sondern auch die Zahnputzfertigkeiten auch klinisch mit Hilfe des modifizierten marginalen Plaque-Index (mMPI) untersucht. 84,6 Prozent der älteren Kinder, 82,2 Prozent der jüngeren Erwachsenen und 84,0 Prozent der jüngeren Senioren putzten ihre Zähne zweimal täglich. Knapp 96 Prozent der älteren Kinder und jüngeren Erwachsenen verwendet hierfür fluoridhaltige Zahnpasta. 38,1 Prozent der jüngeren Senioren führten täglich eine Zwischenraumreinigung durch. Nach dem Putzen konnte in allen Gruppen immer noch ein Restzahnbelag von rund 44 bis 52 Prozent festgestellt werden.
Zuckerkonsum
In der DMS • 6 wurden kariogene Ernährungsgewohnheiten und deren Auswirkungen auf die Mundgesundheit mit Hilfe des MSI-Index (Marburger Zucker Index) in drei Altersgruppen untersucht. In keiner der untersuchten Gruppen – Jugendlichen, jüngeren Erwachsenen und jüngeren Senioren – wurde ein Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und klinischen Parametern festgestellt. Deutlich wurden die Auswirkungen kariogener Ernährung auf die Mundgesundheit bei der Analyse der Personen mit den höchsten und niedrigsten zehn Prozent der MSI-S-Werte: hier konnten konsistente Unterschiede der Karieserfahrung in der Gruppe Zwölfjähriger sowie jüngerer Senioren festgestellt werden. Bei jüngeren Senioren betraf dies auch die Plaquewerte. Auch Zwölfjährige mit Migrationsgeschichte hatten höhere MSI-S-Werte.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Erstmalig wurde in der DMS • 6 auch die Mundgesundheit bei jüngeren Senioren mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Im Schnitt hatten diese 2,1 Prozent weniger funktionstüchtige Zähne. In Gruppe der Senioren mit kardiovaskulären Erkrankungen waren zudem Parodontalerkrankungen im Stadium IV (29 versus 24 Prozent) sowie Zahnlosigkeit häufiger (7,4 versus 4,2 Prozent) als bei Senioren ohne kardiovaskuläre Erkrankungen.
Rauchen
Rauchen schadet nicht nur der allgemeinen, sondern insbesondere der Mundgesundheit. Die Ergebnisse der DMS• 6 zeigen, dass Personen die täglich rauchen, ihre Mundgesundheit im Vergleich zu Nichtrauchern schlechter einschätzen. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in klinischen Parametern wider: Raucher hatten höhere Sondierungstiefen und Attachmentverlust, häufiger Wurzelkaries und eine höhere Wahrscheinlichkeit insgesamt weniger als 20 verbleibende Zähne zu haben.
Migration
Die Analyse zeigt Unterschiede in puncto Prävalenzen oraler Erkrankungen und Inanspruchnahmeverhalten von Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. In erstgenannter Gruppe wurden in allen drei Altersgruppen häufiger orale Erkrankungen festgestellt und Migrationsgeschichte kann als unabhängiger Risikofaktor für ebendiese angesehen werden. Klinisch spiegelt sich dies unter anderem in einem höheren BOP und höheren Anzahl kariöser Läsionen wider. Alle drei Altersgruppen zeigten überdies ein weniger gesundheitsförderliches Mundhygieneverhalten und suchten zahnmedizinische Behandlung meist erst im Falle akuter Beschwerden. Das lässt vermuten, dass Menschen mit Migrationsgeschichte nicht gleichermaßen von gruppen- und individualprophylaktischen Angeboten profitieren.