DMS • 6 im Detail: Teil 1 – Karies

Erfolgreiche Kariesprävention in allen Altersgruppen

Heftarchiv Zahnmedizin
A. Rainer Jordan
Kürzlich berichtete die zm über die Ergebnisse der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS • 6), die Mitte März der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Ab dieser Ausgabe stellt der wissenschaftliche Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ), Prof. Dr. A. Rainer Jordan, einzelne Schwerpunkte der Studie vor. Dieses Mal: Karies.

Lange Zeit wurde der Präventionserfolg in der Zahnmedizin in Deutschland mit dem Kariesrückgang bei den zwölfjährigen Kindern begründet. Zu Recht, denn zur Wendezeit war die Karieslast in dieser Altersgruppe hoch. Bereits wenige Jahre nach der Einführung der Gruppen- und Individualprophylaxe konnte die Karieslast um die Hälfte reduziert werden. Mittlerweile ist sie um 90 Prozent gesunken und fast 80 Prozent der Zwölfjährigen sind vollständig kariesfrei. Soweit die Erfolgsgeschichte – bisher.

Karies-Definition

Karieserfahrung ist der Begriff, der in der Epidemiologie die Gesamtheit der durch Karies oder Kariesfolgen (Füllungen oder andere Restaurationen, Zahnverluste) betroffenen Zähne eines Gebisses beschreibt. Sie wird gemessen anhand des DMF(T)-Index; D steht dabei für (decayed) kariöse Zähne (T = teeth), M für kariesbedingte Zahnverluste (missing) und F für kariesbedingte Restaurationen (filling). Der Begriff Karies wird hingegen lediglich verwendet, wenn unbehandelt-kariöse Zähne gemeint sind (D-Komponente des Index). Kariesfrei heißt in diesem Sinne DMFT = 0.

Karieserfahrung bei jüngeren Kindern

Jüngere Kinder im Alter von acht und neun Jahren befinden sich im frühen Wechselgebiss und weisen neben den verbliebenden Milchzähnen bereits Zähne der zweiten Dentition auf. Heute sind 60 Prozent der jüngeren Kinder in Deutschland kariesfrei. Das sind dreimal so viele wie noch zur Wendezeit. Weil es in epidemiologischen Studien schwierig ist, die Gründe für den Zahnverlust verlässlich zu erfassen und die Situation im Wechselgebiss noch einmal komplizierter ist, ist es üblich, während des Wechselgebisses die Karieserfahrung ohne fehlende Zähne anzugeben. Bei jüngeren Kindern beschreibt die Karieserfahrung also üblicherweise die Summe aus kariösen und restaurierten Zähnen. Durchschnittlich weisen jüngere Kinder in Deutschland gut einen Zahn (1,1 Zähne) mit einer Karieserfahrung auf, davon sind im Mittelwert 0,4 Zähne kariös. Der ganz überwiegende Anteil der erkrankten Zähne sind Milchzähne, lediglich 0,1 bleibende Zähne sind bereits betroffen.

Karieserfahrung bei älteren Kindern

Ältere Kinder im Alter von zwölf Jahren sind seit Einführung der Gruppen- und Individualprophylaxe Ende der 1980er-Jahre das Aushängeschild für erfolgreiche Kariesprävention in Deutschland. Betrachtet man die Ausgangswerte von damals, bleibt auch weiterhin beeindruckend, wie stark sich durch eine konsequente Präventionsorientierung chronische – und damit Lebensstil-abhängige – Erkrankungen auf Bevölkerungsebene eindämmen lassen. Man kann hier guten Gewissens von einer sogenannten Morbiditätskompression sprechen, das heißt, dass wir es hierzulande geschafft haben, die Karies – die weltweit häufigste chronische Erkrankung überhaupt – aus einem Großteil (nämlich 78 Prozent) der Münder junger Menschen zu verbannen. Insgesamt ist bei den älteren Kindern eine Stabilisierung der Karieserfahrung auszumachen, denn die epidemiologischen Ergebnisse sind mit denen der DMS V vergleichbar: Etwa 80 Prozent sind kariesfrei und die mittlere Karieserfahrung liegt bei 0,5 Zähnen.

Karieserfahrung bei jüngeren Erwachsenen

Jüngere Erwachsene im Alter von 35 bis 44 Jahren sind erstmalig eine Kohorte in den DMS-Studien, die in ihrer Kindheit vollständig von der Gruppen- und Individualprophylaxe profitieren konnten. Deren Ergebnisse wurden daher mit besonderer Spannung erwartet – und das Ergebnis kann sich sehen lassen! Sieben Prozent in dieser Altersgruppe sind mittlerweile kariesfrei – das ist eine Größenordnung, die wir bei Erwachsenen in Deutschland nie gesehen haben. Im Gegenteil: Lange Zeit konnte man sagen, dass in der Mitte des Lebens die Hälfte des Gebisses eine Karieserfahrung aufwies. Davon sind wir heute weit entfernt. Jüngere Erwachsene weisen im Durchschnitt noch gut acht Zähne mit einer Karieserfahrung auf. Die Karieserfahrung in dieser Altersgruppe hat sich seit der Wendezeit halbiert.

Karieserfahrung bei jüngeren Seniorinnen und Senioren

Die jüngeren Seniorinnen und Senioren, die in der DMS • 6-Studie untersucht wurden, sind zwischen den Jahren 1948 und 1957 geboren. Zu diesem Zeitpunkt gab es von Prävention kaum eine Spur. Man muss sich vergegenwärtigen, dass es erst ab den 1950er-Jahren üblich wurde, Zahnpasten mit Fluorid anzureichern. Den Begriff Prävention gab es zwar schon in der Zahnmedizin, aber in einem Sinne, der heute nur noch schwer nachzuvollziehen ist: Extension for prevention. In dieser anderen medizinischen Gedankenwelt sind also die heutigen Seniorinnen und Senioren groß geworden und so ist es kein Wunder, dass Erfolge einer primären Prävention in dieser Altersgruppe nicht auszumachen sind. Dennoch ist die Karieserfahrung auch bei ihnen deutlich rückläufig: Im Jahr 1997 betrug sie 23,6 Zähne, heute sind es 17,6 Zähne, also ein Rückgang um sechs Zähne.

Prävention wirkt!

Prävention lässt sich in (mindestens) drei Ebenen aufteilen, die Primär-, die Sekundär- und die Tertiärprävention. Auf allen Ebenen zeigt sich, dass zahnmedizinische Prävention wirkt:

Primärprävention

Die primäre Prävention hat – epidemiologisch ausgedrückt – das Ziel der Verringerung der Anzahl der Neuerkrankungen und setzt somit vor Eintritt einer empfundenen Gesundheitsstörung oder Krankheit ein (no illness / no disease). Man könnte sie mit dem Begriff der Vorsorge charakterisieren. Auf die Karies bezogen bedeutet das im Idealfall: Kariesfreiheit. Die Erfolge der primären Kariesprävention zeigen sich mittlerweile von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter.

Sekundärprävention

Die sekundäre Prävention hat – epidemiologisch ausgedrückt – das Ziel der Verringerung der Verbreitung von Krankheiten in der Bevölkerung. Wichtigste Aufgabe ist die Früherkennung und das bedeutet, dass subjektiv betrachtet keine wahrgenommene Gesundheitsstörung (no illness) vorhanden ist, professionell allerdings die Krankheit (disease) bereits entdeckt werden kann. Auf die Karies bezogen heißt dies, frühzeitig kariöse Läsionen zu erkennen, um möglichst noch eine Restauration zu vermeiden. Die Anzahl von kariesbedingten Restaurationen zu reduzieren, ist in diesem Sinne als ein Erfolg der sekundären Prävention anzusehen. Die Erfolge der sekundären Prävention zeigen sich vor allem im Erwachsenenalter.

Tertiärprävention

Die tertiäre Prävention hat – epidemiologisch ausgedrückt – das Ziel der Verhinderung von Folgeschäden von Krankheiten oder des Wiederauftretens. In diesem Fall liegt neben der professionell diagnostizierten Erkrankung (disease) auch eine subjektiv wahrgenommene Gesundheitsstörung (illness) vor. Tertiärprävention könnte man auch mit dem Begriff der Nachsorge charakterisieren. Für die Karies bedeutet dies, den Zahnverlust zu verhindern. Am meisten ausgeprägt sind die Erfolge der tertiären Prävention in der Altersgruppe der jüngeren Seniorinnen und Senioren.

Soziale Ungleichheit von Gesundheit

Den positiven kariesepidemiologischen Entwicklungen steht jedoch ein ausgeprägtes soziales Gefälle entlang des Bildungsstatus gegenüber. Schon bei den älteren Kindern ist festzustellen, dass sowohl die Zahl der (unbehandelten) kariösen Zähne als auch die Karieserfahrung insgesamt mit einem niedrigen familiären Bildungsstatus viermal höher ist als bei hohem familiärem Bildungsstatus. Dieses Ungleichgewicht erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne – bis hin zur vollständigen Zahnlosigkeit bei den Senioren, (Faktor x 4,6).

Epidemiologische Daten müssen jedoch differenziert betrachtet werden: Einerseits haben Zwölfjährige mit niedrigem familiärem Bildungsstatus relativ weniger Gesundheitsgewinne in der Karieserfahrung erreicht als solche mit hohem familiärem Bildungsstatus (DMFT; niedriger Bildungsstatus: DMS I/II 5,8 Zähne > DMS • 6 1,2 Zähne mit einem Rückgang um den Faktor x 5 gegenüber hohem Bildungsstatus: DMS I/II 3,1 Zähne > DMS • 6 0,3 Zähne mit einem Rückgang um den Faktor x 10); andererseits haben ältere Kinder mit niedrigem familiärem Bildungsstatus relativ mehr Gesundheitsgewinne in Bezug auf die Kariesfreiheit erfahren (DMFT = 0; niedriger Bildungsstatus: DMS I/II 8,6 Prozent > DMS • 6 59,0 Prozent mit einem Anstieg um den Faktor x 6,9 vs. hoher Bildungsstatus: DMS I/II 24,2 Prozent > DMS • 6 84,7 Prozent mit einem Anstieg um den Faktor x 3,5).

Die DMS • 6 zeigt als repräsentative Studie für Deutschland die langfristigen Erfolge bei der Kariesprävention in allen Altersgruppen und Bildungsschichten. Gleichzeitig bestehen weiterhin soziale gesundheitliche Ungleichheiten. Aus sozialmedizinischer Sicht scheint es sinnvoll, die zukünftigen Präventionsstrategien konkret entlang der Lebensweltorientierung der bislang nicht erreichten Gruppen und Communitys auszurichten.

Dieser epidemiologische Aufsatz ist Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Gängler gewidmet.

Prof. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ)

Prof. Dr. med. dent. A. Rainer Jordan

Wissenschaftlicher Direktor
Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ)
Universitätsstr. 73, 50931 Köln

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