Apps auf Rezept: Hohe Preise trotz mangelhaft nachgewiesener Wirksamkeit
„Viele der von den Herstellern durchgeführten Studien zum Nachweis der Wirksamkeit ihrer Apps weisen schwerwiegende wissenschaftliche Mängel auf“, fasst Dr. Nikolas Dietzel, Erstautor der Übersichtarbeit, zusammen. Dies liege auch daran, dass die Teilnehmenden zu Beginn der Zulassungsstudien sich im Klaren darüber waren, ob sie die Behandlung überhaupt erhalten oder nicht. Eine solche fehlende Verblindung könne das Forschungsergebnis beeinflussen. Zudem seien die Personen in der Kontrollgruppe häufig nicht behandelt worden. Es fehlte also eine „aktive Kontrollgruppe“ – ein wichtiges Kriterium, um die Wirksamkeit wissenschaftlich nachzuweisen.
Weitere Gründe für wissenschaftliche Mängel seien hohe Studienabbruchraten, die Durchführung von sogenannten Vorher-Nachher-Vergleichen und eine fehlende Transparenz durch unveröffentlichte Studienprotokolle. Auch seien Studienpopulationen teilweise nicht repräsentativ gewesen, da es zum Beispiel viele „digital-affine“ Studienteilnehmende gab.
"Studienergebnisse könnten also verzerrt sein, das heißt die Ergebnisse spiegeln möglicherweise nicht die tatsächliche Wirksamkeit wider“, so Dietzel. „Wenn sich Studienergebnisse nicht verallgemeinern lassen, muss die in der Studie gemessene Wirksamkeit der DiGA ernsthaft infrage gestellt werden“, ergänzt Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor der Übersichtsarbeit.
Es werden auch Apps bezahlt, deren Wirksamkeit noch gar nicht bewiesen ist
Seit mehr als vier Jahren können Ärztinnen und Ärzte DiGA verordnen. Die Kosten für diese Medizinprodukte übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Die Preise für eine „App auf Rezept“ liegen zwischen 260 Euro bis 570 Euro für eine Anwendung über drei Monate pro Patient. Die Hersteller können die Preise für ihre DiGA innerhalb bestimmter Grenzen selbst festlegen, und zwar während eines Erprobungszeitraums und im ersten Kostenerstattungsjahr, sofern die DiGA dauerhaft in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen wurde.
„Somit können auch Anwendungen vergütet werden, deren Wirksamkeit die Hersteller noch gar nicht nachgewiesen haben“, sagt Dietzel. „Aber auch mit Wirksamkeitsnachweis liegen die anfänglichen Herstellerpreise teilweise deutlich über den finalen Vergütungsbeträgen, die nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen bezahlt werden“, ergänzt Kolominsky-Rabas.
Studien zu Kosten im Verhältnis zur Wirksamkeit der DiGA seien bisher selten und kämen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Hier bestehe eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt. „Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Solidargemeinschaft der Beitragszahler viel Geld für die mangelnde Wirksamkeit von digitalen Gesundheitsanwendungen ausgeben sollte“, sagt Kolominsky-Rabas.
Mit Einführung der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung (abEM) will der Gesetzgeber ab Januar 2026 die wissenschaftlichen Anforderungen an die Hersteller erhöhen. So sollen künftig auch nach der Zulassung wissenschaftliche Daten gesammelt werden, etwa zum Nutzungsumfang, über die Zufriedenheit mit der App und über den patientenberichteten Gesundheitszustand. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen Auswirkungen auf den erstatteten Preis haben.
Nikolas Dietzel, Michael Zeiler und Peter L. Kolominsky-Rabas: Wissenschaftliche Evidenz und Kosten von DiGA, G+G Wissenschaft (GGW) 2025, Heft 1, 16–23; https://www.wido.de/publikationen-produkte/zeitschriften/ggw-gesundheit-gesellschaft-wissenschaft/ausgabe-1-2025/?L=0