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ck/pm
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Ob Pflege, Jugendhilfe oder Kindertagesbetreuung: Die sozialen Dienste leiden unter knappen Mitteln und wachsenden Aufgaben. Beschäftigte bringt das regelmäßig an die Grenze ihrer Belastbarkeit, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.

Vor allem in Pflegeberufen könnten schlechte Arbeitsbedingungen einen sich abzeichnenden Fachkräftemangel verschärfen.

Mehr als drei Millionen Menschen arbeiten laut Statistischem Bundesamt in Gesundheits-, Sozial- und Erziehungsberufen. Die Branchen, in denen sie tätig sind, stehen unter dem Druck einer zunehmenden Ökonomisierung: In den sozialen Diensten setze sich mehr und mehr eine Markt- und Wettbewerbslogik durch, schreiben Dr. Volker Hielscher, Lukas Nock, Sabine Kirchen-Peters und Kerstin Blass in der Studie.

Als Beispiel nennen die Forscher die Einführung des Budgetprinzips in der Pflegeversicherung: Unabhängig vom tatsächlichen Hilfebedarf gilt eine feste Grenze für finanzielle Leistungsansprüche. Die Wissenschaftler vom Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft Saarbrücken und der SRH Hochschule Heidelberg haben erstmals in Deutschland vergleichend untersucht, wie sich der Trend zur Ökonomisierung auf die Arbeitsbedingungen auswirkt.

Zeitnot, Druck und Verdichtung

Ihr Ergebnis: Altenpfleger, Sozialarbeiter und Erzieherinnen sind konfrontiert mit "Zeitnot, Druck zur Kostenersparnis und Verdichtung der Arbeit". Darunter litten die professionellen Ansprüche der Beschäftigten - und ihre Gesundheit.

Die Erkenntnisse der Sozialforscher beruhen auf Fallstudien in der Altenpflege, Jugendhilfe und Kindertagesbetreuung. Insgesamt haben sie 82 Führungskräfte, Arbeitnehmervertreter und Beschäftigte von 16 Einrichtungen in Rheinland-Pfalz und Thüringen interviewt. Zusätzlich führten sie bundesweit eine standardisierte Online-Befragung von fast 1.400 Arbeitnehmern der untersuchten Branchen durch.

Trend zur "Satt-und-Sauber-Pflege"

Den größten Ökonomisierungsdruck attestieren die Autoren der stationären Pflege. "Strukturelle Erzeugung von Zeitnot" führe dort zu steigender Arbeitsverdichtung. Arbeitseinsätze von bis zu zehn Tagen hintereinander und massive Überstunden seien an der Tagesordnung.

Aufgaben verschöben sich daher zunehmend in Richtung einer "Satt-und-Sauber-Pflege", also bloßer körperlicher Grundversorgung. So entstehe eine Diskrepanz zwischen den Sachzwängen der Praxis und dem beruflichen Selbstverständnis der Beschäftigten, die gute, "aktivierende" Pflege leisten wollen.

Die Folge: Bei der Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen schneidet die stationäre Pflege am schlechtesten ab. Ein weiterer Faktor ist eine relativ niedrige Bezahlung auch der qualifizierten Pfleger, an der die Übernahme zusätzlicher Verantwortung wenig ändert. "Dies dürfte den aufgrund der demografischen Entwicklung prognostizierten Pflegenotstand weiter verstärken", warnen die Forscher.

Reine Kundenakquise

Auch auf die ambulante Pflege wirken sich ökonomische Zwänge immer stärker aus. Das Hauptaugenmerk der Leitungskräfte gelte der Kundenakquise und der Optimierung von Touren, so die Wissenschaftler. Dabei werde das Zeitmanagement systematisch auf die Selbststeuerung der Mitarbeiter verlagert, die selbst abwägen müssen, wie viel Zeit sie pro Patient aufwenden.

Ein weit verbreitetes Phänomen ist atypische Beschäftigung: Wegen der individuellen zeitlichen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen kommen im Vergleich zu den anderen untersuchten Branchen besonders viele Teilzeitkräfte zum Einsatz.

Den sogenannten Allgemeinen Sozialen Dienst, der in den kommunalen Jugendämtern angesiedelt ist, schätzen die Forscher generell als einen stressigen Tätigkeitsbereich ein. In letzter Zeit seien wachsende Fallzahlen und immer komplexere Einzelfälle hinzugekommen - bei stagnierenden Personalzahlen. Daher hätten viele Fachkräfte ihre persönliche Kapazitätsgrenze erreicht.

Abstriche in der Jugendarbeit

Ähnlich wie bei der stationären Pflege führe die Verdichtung der Arbeit zu einer Verdrängung von Aufgaben: Abstriche müssten Sozialarbeiter in erster Linie bei der Aktivierung und Partizipation der betreuten Jugendlichen und ihrer Familien machen, also bei der "Hilfe zur Selbsthilfe". Stattdessen seien sie gezwungen, vermehrt Druck und Kontrolle auszuüben.

Aufgrund der erhöhten politischen Aufmerksamkeit seien zuletzt erhebliche Ressourcen in den Kita-Ausbau geflossen, schreiben die Wissenschaftler. Daher sei der Ökonomisierungsdruck dort im Vergleich zu den anderen untersuchten Branchen eher moderat. Trotzdem gebe es teilweise Engpässe, insbesondere bei Sachmitteln und der Weiterbildung.

Geplant wird in der Freizeit

Erhöhte Anforderungen an die frühkindliche Bildung und die Beratung der Eltern bedeuteten zusätzlichen zeitlichen Aufwand. Aufgaben wie Planung und Organisation müssten Erzieherinnen zum Teil in der Freizeit erledigen.

Insgesamt machen die Sozialwissenschaftler in allen untersuchten Einrichtungen "Elemente von Verknappung und Vermarktlichung" aus. Für die Arbeitnehmer bringt das teilweise gesundheitliche Belastungen mit sich: Insbesondere in der Pflege sehen viele Beschäftigte einen Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen und gesundheitlichen Problemen.

Trotzdem bleibt der Anspruch an die eigene Arbeit

Dennoch beharren die Beschäftigten aller untersuchten Bereiche auf ihren qualitativen Ansprüchen an die Arbeit: "Gute Arbeit" mit den Menschen leisten zu wollen, sei ein wesentliches Motiv dafür, trotz widriger Umstände an ihrem Beruf festzuhalten, so die Autoren.

Doch zeige der Mangel an Nachwuchs- und Fachkräften sowohl in der Altenpflege wie auch in der Kinder- und Jugendhilfe, dass dringender Handlungsbedarf bestehe, die Arbeitsbedingungen in diesen Feldern attraktiver zu gestalten. Daher fordern die Forscher ein Umdenken in der Sozialpolitik: Hochwertige Dienstleistungen seien ohne eine angemessene Ressourcenausstattung nicht zu haben.

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