Hin und Her zu IGES-Gutachten über Nutzen der Kieferorthopädie
Die BILD hatte in ihrem Bericht vom 3. Januar behauptet, dass die Bundesregierung "jetzt erstmals Zweifel" äußere, dass das "Milliarden-Geschäft der Kieferorthopäden" den – meist jungen – Patienten wirklich immer nütze. Dies soll das BMG dem Bundestag geschrieben haben. Dem Schreiben zufolge, das dem Boulevardblatt nach eigenen Angaben vorliegt, gebe es derzeit "keine ausreichende Evidenz für den patientenrelevanten Nutzen kieferorthopädischer Leistungen". Damit wiederholt das Medium seinen Vorwurf vom April nach der Veröffentlichung eines Prüfberichts des Bundesrechnungshofs, dass es mit "unnützen Zahnspangen" eine "böse Abzocke" gäbe ( die zm berichteten ).
Ein danach von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Auftrag gegebenes Gutachten an das Berliner IGES Institut habe Spahn bisher aber "geheim" gehalten. Besagtes Gutachten, dessen Ergebnisse "BILD" angeblich vorliegen, würde nun "alle Zweifel am Sinn der Kieferorthopädie" bestätigen. Tatsächlich wurde das Gutachten bis zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht veröffentlicht. Die vom BMG beauftragten Wissenschaftler stellten laut BILD sogar infrage, "ob die Ausgaben in der kieferorthopädischen Versorgung den Kriterien der Wirtschaftlichkeit genügen". Die Bundesregierung sähe deshalb nun die Krankenkassen am Zug: Der GKV-Spitzenverband müsse den Nutzen der Behandlungen bewerten. So etwas sei "keine staatliche Aufgabe", soll das BMG geschrieben haben. Anders als von "BILD" dargestellt wird der Behandlungsnutzen jedoch im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) bewertet.
Wie das Blatt weiter berichtet, wolle das Ministerium "in einigen Wochen" ein "Expertengespräch" ansetzen. Das Thema des Gesprächs soll "Sinn und Unsinn der Kieferorthopädie" lauten.
Klarstellung durch das Ministerium
Das BMG stellte indes noch am selben Tag klar, dass es nicht "an der Notwendigkeit kieferorthopädischer Leistungen" zweifelt. Bestätigt wurde nur das Vorhandensein einer "Meta-Studie vom IGES Institut zu dem Thema". Wie es in der Klarstellung heißt, kommen darin die Studienautoren zu dem Ergebnis, dass die Datengrundlage derzeit nicht ausreicht, um diese Frage abschließend zu bewerten. Dass Zahnspangen die Morbidität (Karies, Parondontitis, Zahnverlust etc.) verringern, könne zwar nicht belegt werden, sei dem Institut zufolge aber auch nicht ausgeschlossen. Dafür konstatieren die Studienautoren, dass sich Zahnfehlstellungen sowie die Lebensqualität der Patienten durch diese Behandlung verbessern. Prinzipiell bewertet den Nutzen einer Therapie nicht der Gesetzgeber, sondern der Gemeinsame Bundesausschuss, betont das Ministerium. Und abschließend: "Das BMG wird mit den beteiligten Organisationen den weiteren Forschungsbedarf und Handlungsempfehlungen erörtern."
Das Gutachten "Kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen" des IGES Instituts finden Sie als PDF am Ende dieses Artikels. Es wurde vom Gesundheitsministerium zusammen mit der "Klarstellung" an die zm und andere Medien verschickt.
Aus der Klarstellung des BMG
1. Eine abschließende Einschätzung ist nicht möglich
2. Die Studienlage ist unvollständig
3. Ein patientenrelevanter Nutzen (bezogen auf Morbidität, also Karies, Zahnausfall, etc.) ist zwar nicht belegt. Das heißt aber NICHT, dass es ihn nicht gibt…
4. Die Lebensqualität verbessert sich nach abgeschlossener kieferorthopädischer Behandlung
5. Zahnfehlstellungen werden durch die Behandlung verbessert
Quelle: BMG
Bereits im November hatte die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke aber gleichlautend beantwortet: "Es fehle bisher eine wissenschaftliche Darstellung über die langfristigen Auswirkungen der wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit und die dazu eingesetzten Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Selbstzahler. Angesichts der hohen Anwendungshäufigkeit und den damit verbundenen beträchtlichen Kosten sei eine wissenschaftliche Absicherung der kieferorthopädischen Maßnahmen von besonderer Bedeutung."
KZBV: Kein Zweifel am Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen!
BDK weist "BILD"-Vorwürfe "in aller Deutlichkeit" zurück
Auf zm-Anfrage teilt Dr. Hans-Jürgen Köning, 1. Bundesvorsitzender des Berufsverbandes der Deutschen Kieferorthopäden (BDK), mit, dass er die durch BILD erhobenen Vorwürfe "in aller Deutlichkeit" zurückweist. Desweiteren verweist Dr. Köning auf das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie zum medizinischen Nutzen kieferorthopädischer Behandlung vom April 2018. Wenn das IGES-Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sein sollte, die Studienlage sei nicht ausreichend, würden die Vorschläge des Instituts zu weiteren Forschungsvorhaben geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden müssen. Dabei werden auch die ethischen Probleme von placebokontrollierten Langzeitstudien, die für eine hohe Evidenz erforderlich wären, zu berücksichtigen sein, heißt es weiter. Der BDK wird das Gutachten, sobald es veröffentlicht ist, prüfen und bewerten, wird in der Mitteilung betont. Und: "Die Kieferorthopädie ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil der Zahnheilkunde und der vertragszahnärztlichen Versorgung, mit der notwendigen Zielsetzung, Zahn- und Kieferfehlstellungen zu korrigieren und damit einen Beitrag zur Mundgesundheit der Bevölkerung zu leisten."
eine je nach Indikation festgelegte Mindesteinstufung des Behandlungsbedarfs anhand der kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) in Stufe 3,
die positive Erfolgsaussicht der Behandlung sowie
die Wirtschaftlichkeit der Behandlung.
Quelle: KZBV