Ein Lehrstück in plastischer Anatomie
Die großen Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs trafen auch viele der Ausbildungseinrichtungen für Zahnärzte, Dentisten und Zahntechniker. Viel Lehrgut, also für die Ausbildung notwendige Schaumaterialien, war verloren gegangen. Und die Not an Rohmaterialien hat auch den Bereich der Moulagen sehr getroffen, berichtet die Berliner Medizinhistorikerin Dr. Ilona Marz – viel wurde für Kerzen eingeschmolzen. Das Wachs der Moulagen musste wärmend brennen.
Zehn Jahre nach der Stunde Null, am 1. September 1955, war die Zeit gekommen für die Zahntechnikermeisterschule in Halle/Saale. Eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung war wieder möglich. Umso mehr nachdem sie in den 1960er-Jahren von den beiden Gründern Dr. Eckart Ulrich und Dieter Zukunft um ein modernes Untersuchungs- und Prüflabor für zahntechnische Materialien ergänzt worden war, so dass mit den Meisterschülern Analysen durchgeführt werden konnten.
Eine der ganz frühen Schauarbeiten an der Meisterschule Halle/Saale ist diese von drei Seiten einzusehende äußere und innere Betrachtung des Schädels und der Zähne. Die einfache Einhausung lässt auf eine Selbstanfertigung in der Schule schließen – vielleicht eine der ersten Meisterschülerarbeiten selbst. Die Größe entspricht der natürlichen Größe. Der Schädel ist, um Stabilität zu erreichen, aus Gips gestaltet, alles andere ist aus Wachs modelliert.
Die Zeit meinte es gut und schlecht zugleich mit dem Kunstwerk. In den späten 1950er- und 1960er-Jahren verschwanden viele dieser wichtigen Lehrmittel, sie wichen den Kunststoffmoulagen und den wesentlich besseren gedruckten Bilddarstellungen. Die hier gezeigte überlebte – allerdings unbehütet auf einem Dachboden, wo die Wärme in den Sommermonaten dieser Arbeit enorm zusetzte. Und trotzdem: Sie bleibt ein doppeltes zeitgeschichtliches Zeugnis: der ausgehenden Zeit der Wachsmoulagen, aber auch eines Neustarts der Ausbildung im Zahntechniker-Beruf nach dem Zweiten Weltkrieg.
Unter großem Aufwand erhalten und geborgen werden konnten etwa 40 Schaukästen, die von den Meisterschülern angefertigt wurden und eindrucksvoll Zeugnis ablegen von den verschiedenen Technologien im Zahntechnikerhandwerk.
Beim Beräumen der Meisterschule nach deren Aus im Juni 2017 gingen einige Arbeiten hinaus in die Welt – ins Britische Dentalmuseum in London, ins Sudhoff-Institut in Leipzig oder ins Medizinhistorische Museum in Wismar. Die meisten aber landeten im Dentalmuseum in Zschadraß. Gerettet!
Auch bei den originalen Moulagen, die etwa Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, ist das Dentalmuseum nicht ganz schlecht aufgestellt, kann aber mit den großen internationalen Sammlungen lange nicht mithalten, zumindest noch nicht.
Elfenbeinig wird es in Teil 5 – mit einer Zahnbürste aus der Napoleonischen Zeit.