Bericht über den NHS

„Krankenhauspatienten sterben unentdeckt auf den Fluren“

mg
Gesellschaft
Eine Befragung von 5.000 Pflegekräften durch das Royal College of Nursing offenbart chaotische Zustände im britischen Gesundheitswesen. Offenbar kommen regelmäßig Menschen zu Schaden, weil lebenswichtige Geräte oder das nötige Personal fehlen.

Fast 7 von 10 (66,8 Prozent) der Befragten gaben an, dass sie tagtäglich in überfüllten oder ungeeigneten Räumen – wie Fluren, umgebauten Schränken und sogar auf Parkplätzen – Pflege- und Behandlungsleistungen erbringen müssen. Demoralisiertes Personal berichtet, dass es bis zu 40 Patienten in einem einzigen Korridor betreuen muss, wo es keinen Zugang zu Sauerstoff, Herzmonitoren, Absaugung und anderen lebensrettenden Geräten hat. Sie berichten, dass weibliche Patienten auf den Fluren Fehlgeburten haben, während andere angaben, dass sie Patienten mit Herzinfarkten keine angemessene oder rechtzeitige Wiederbelebung bieten können. Mehr als 9 von 10 (90,8 Prozent) der Befragten gaben an, dass die Patientensicherheit beeinträchtigt wird.

Das Royal College of Nursing ist Englands größte Gewerkschaft und Berufskörperschaft für Pflegeberufe. Die 1916 gegründete Organisation ist heute ein gemeinnütziger Verein, der nach eigenen Angaben mehr als 500.000 Mitglieder hat.

Der 460-seitige Bericht strotzt nur so vor „erschütternden“ Schilderungen, kommentiert der Guardian und nennt exemplarisch folgende:

  • Patienten sind auf Rollwagen und Stühlen in Fluren und Warteräumen gestorben, wo „alle Grundlagen der Pflege zusammengebrochen sind“

  • Eine Krankenschwester berichtet von Herzstillständen auf Fluren ohne Notfallglocke, Notfallwagen, Defibrillator oder ausreichend Platz, so dass sie auf einem Patienten rittlings eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durchführte, „während alle zuschauten“

  • Die Patienten erhielten intravenöse Infusionen und in mindestens einem Fall eine Bluttransfusion in Fluren, die kalt, laut und zu eng sind, um die Anwesenheit von Angehörigen zu ermöglichen

  • Eine Krankenschwester musste einem Patienten sagen, dass er im Sterben liegt, während andere Patienten vorbeigerollt wurden und Befehle durch die Station geschrien wurden, etwa „Wie kann man jemandem auf dem Flur sagen, dass er stirbt?“

„Dieses erschütternde Zeugnis von Pflegepersonal in vorderster Front zeigt, dass Patienten jeden Tag zu Schaden kommen und gezwungen sind, eine unsichere Behandlung in Fluren, Toiletten und sogar in Räumen zu ertragen, die normalerweise Familien vorbehalten sind, um verstorbene Verwandte zu besuchen“, erklärte die Generalsekretärin und Geschäftsführerin des RCN, Prof. Nicola Ranger. „Vulnerable Menschen werden ihrer Würde beraubt und dem Pflegepersonal wird der Zugang zu lebenswichtigen Geräten verwehrt.“

Flure gelten als „temporäre Eskalationsräume“

Mehr als ein Viertel des befragten Pflegepersonals gab an, nicht darüber informiert worden zu sein, dass der Korridor, in dem sie Pflegeleistungen erbringen, als „temporärer Eskalationsraum“ eingestuft wird, wie es der NHS in England beschreibt. Das bedeutet, dass Risikoprotokolle und zusätzliche Maßnahmen zur Entlastung und zum Schutz der Patienten „möglicherweise nicht vorhanden sind“.

Das Pflegepersonal berichtet auch, dass Krebspatienten mit geschwächtem Immunsystem in Fluren und anderen ungeeigneten Räumen untergebracht werden. Eine Krankenschwester konkretisiert einen Fall, bei dem sie Abschirmungen um die Patientin herum angebracht habe, diese stand „im Weg zum Personalraum und zur Toilette, so dass ständig etwas los war. Die arme Frau ist schließlich verstorben.“

Wie viele auf Fluren und in Abstellkammern behandelt werden, ist offen

Der Bericht folgt auf einen Brief, der von einer RCN-geführten Koalition an die Regierung in Westminster und den NHS England geschickt wurde. Darin werden die Beamten aufgefordert, zu veröffentlichen, wie viele Patienten in Fluren und anderen ungeeigneten Orten behandelt werden.

Nicola fügte hinzu: „Es ist an der Zeit, dass die Regierung mutige Maßnahmen für einen NHS ergreift, der so lange vernachlässigt worden ist. Die Minister können sich nicht vor der Verantwortung drücken und müssen erkennen, dass die Wiederherstellung der Patientenversorgung neue Investitionen erfordert, einschließlich des Aufbaus eines starken Pflegepersonals.“

Gesundheitsminister Streeting bittet um Geduld

Gesundheitsminister Wes Streeting hatte jüngst in einer Dringlichkeitsdebatte im Unterhaus die Bilanz der Labour-Regierung in Bezug auf den NHS zu verteidigen, da viele Krankenhäuser in den vergangenen Wochen aufgrund saisonaler Effekte überlastet waren. Er reagierte auf die Angriffe der Konservativen, indem er laut Guadian erklärte, dass „die Korridorpflege unter der vorherigen Regierung in den NHS-Krankenhäusern zur Normalität wurde. Sie ist unsicher, würdelos, eine grausame Folge von 14 Jahren Versagen des NHS, und ich bin entschlossen, sie in die Geschichtsbücher zu verbannen.“

Streeting fügte hinzu, dass die Regierung zwar das Ziel habe, die Zustände zu beenden, „aber ich kann und werde nicht versprechen, dass es im kommenden Jahr keine Patienten mehr geben wird, die in Korridoren behandelt werden. Es wird Zeit brauchen, um den Schaden, der unserem NHS zugefügt wurde, rückgängig zu machen“.

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