Union und SPD wollen iMVZ per Gesetz regulieren
Die Spitzen von CDU, CSU und SPD haben sich am Mittwochnachmittag auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Alle Vorhaben stehen derzeit noch unter Finanzierungsvorbehalt, betonte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. Zudem müssen die SPD-Mitglieder dem Vertrag Ende April noch zustimmen.
9 der insgesamt 146 Seiten des Koalitionsvertrags befassen sich mit Gesundheit und Pflege. Für das Gesundheitswesen kündigen Union und SPD tiefgreifende strukturelle Reformen. „Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern“, heißt es zu Beginn des Gesundheitskapitels. Ziel seien stabile Beiträge, schnellere Arzttermine und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen.
Schwerpunkt ambulante Versorgung
Bereits im Ergebnispapier der Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit und Pflege hatten Union und SPD versprochen, iMVZ künftig zu regulieren. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir erlassen ein Gesetz zur Regulierung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ-Regulierungsgesetz), das Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sicherstellt“. iMVZ wirksam zu regulieren, ist auch ein zentrales Anliegen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), das sie in ihrer „Agenda Mundgesundheit“ mit Forderungen für die 21. Legislaturperiode formuliert.
Die künftigen Koalitionspartner wollen die Länderbeteiligung in den Zulassungsausschüssen über eine ausschlaggebende Stimme stärken und eine „kleinteiligere Bedarfsplanung“ ermöglichen. Zwischen über- und unterversorgten Gebieten in Deutschland soll es einen „Fairnessausgleich“ geben.
Wie bereits im Ergebnispapier der AG Gesundheit und Pflege angekündigt wollen Union und SPD eine Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten prüfen. In diesen Gebieten sollen zudem universitäre Lehrpraxen „vereinfacht ausgebracht“ werden können. In (drohend) unterversorgten Gebieten soll es Zuschläge zum ärztlichen Honorar geben, in überversorgten Gebieten (größer 120 Prozent) Abschläge.
In diesem Zusammenhang kommen die künftigen Koalitionspartner auf die Zahnärzte zu sprechen. So heißt es weiter: „Dabei definieren wir auch den Versorgungsauftrag und ermöglichen den Ländern, die Bedarfsplanung für Zahnärztinnen und Zahnärzte selbst vorzunehmen“. Weiter ausgeführt wird dies nicht.
Für eine zielgerichtete Versorgung der Patienten und eine schnellere Terminvergabe setzt die künftige Koalition „auf ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag“. Ausgenommen sind die Augen- und die Frauenheilkunde.
Für Menschen mit chronischen Erkrankungen wollen Union und SPD geeignete Lösungen erarbeiten, zum Beispiel Jahresüberweisungen oder einen Fachinternist als steuernden Primärarzt im Einzelfall. Primärarzte oder die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) betriebene Telefonnummer 116117 sollen den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin feststellen und eine Termingarantie bei einem Facharzt geben. Dafür werden die KVen verpflichtet, diese Termine zu vermitteln. Gelingt das nicht, wollen SPD und Union den „Facharztzugang im Krankenhaus ambulant für diese Patientinnen und Patienten“ ermöglichen. „Zudem schaffen wir die flächendeckende Möglichkeit einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege in Verbindung mit Telemedizin“, heißt es weiter.
Die sektorenübergreifende Versorgung wollen die künftigen Koalitionspartner stärken und in diesem Zuge Hybrid-DRGs weiterentwickeln. Das Honorarsystem wollen sie auf Jahrespauschalen umstellen, um Arztkontakte zu reduzieren. Weiterhin kündigen sie an, Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf den Weg zu bringen.
Anpassungen soll es außerdem bei der telefonischen Krankschreibung geben: „Missbrauch“ solle künftig ausgeschlossen werden – zum Beispiel durch Ausschluss der Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen.
Vage Vorschläge zur Stabilisierung der GKV-Finanzen
Gleich das erste Unterkapitel des Koalitionsvertrags widmet sich den angeschlagenen Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). „Wir wollen die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung auch langfristig stabilisieren und zugleich eine hohe Qualität und ein hohes Niveau der Leistungen sichern. Wir wollen die Einnahmen durch ein höheres Beschäftigungsniveau vergrößern und die Kosten auf der Ausgabenseite reduzieren“, kündigen Union und SPD an. Dies solle durch ein „Gesamtpaket aus strukturellen Anpassungen und kurzfristigen Maßnahmen“ geschehen. So soll die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen geschlossen werden.
Während die AG Gesundheit und Pflege konkrete Vorschläge vorgelegt hatte – etwa die vollständige Finanzierung der bisher nicht kostendeckenden Beiträge für Bürgergeldempfänger aus Steuermitteln – bleibt der Koalitionsvertrag hinsichtlich konkreter Maßnahmen vage. Eine Experten-Kommission unter Beteiligung der Sozialpartner soll „die gesundheitspolitischen Vorhaben dieses Koalitionsvertrags in der Gesamtwirkung“ betrachten und bis zum Frühjahr 2027 weitere Maßnahmen vorschlagen.
Die einzige konkrete finanzwirksame Maßnahme, die der Koalitionsvertrag nennt, ist die Entlastung der GKV beim Transformationsfonds zur Abfederung der Klinikreform. Der Betrag soll nun aus dem Sondervermögen fließen.
Weniger Dokumentationspflichten angekündigt
Weiterhin wollen Union und SPD Bürokratie im Gesundheitswesen abbauen. „Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen massiv, etablieren eine Vertrauenskultur und stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Professionen, statt sie mit Bürokratie aus Gesetzgebung und Selbstverwaltung zu lähmen“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Alle Gesetze im Gesundheitswesen sollen einem Praxischeck unterzogen werden. Datenschutzvorschriften und alle Berichts- und Dokumentationspflichten sollen auf zwingende Notwendigkeit überprüft werden. Und: Entsprechende Pflichten, die aufgrund der Coronapandemie eingeführt worden sind, sollen abgeschafft werden – allerdings ohne, dass die Vorsorge künftiger Pandemien gefährdet werden dürfe.
Zudem soll eine von Künstlicher Intelligenz (KI) unterstützte Behandlungs- und Pflegedokumentation ermöglicht werden. Ein „konsequent vereinfachtes und digitales Berichtswesen“ wird demnach angestrebt.
Im ambulanten Bereich soll zudem eine Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung niedergelassener Ärztinnen und Ärzte eingeführt werden. Entsprechende Regelungen sollen auch für andere Leistungserbringer gelten.
Digitalisierung soll vorangetrieben werden
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll nicht wie bislang geplant direkt bundesweit eingeführt werden, sondern stufenweise zunächst in einer bundesweiten Testphase genutzt werden. Erst in einem letzten Schritt soll es eine verpflichtende sanktionsbewehrte Nutzung der Ärztinnen und Ärzte geben.
Der Koalitionsvertrag sieht darüber hinaus eine Vereinfachung des Austauschs zwischen Versicherungsträgern und Ärzten vor. Und: „Rahmenbedingungen und Honorierung für Videosprechstunden, Telemonitoring und Telepharmazie verbessern wir, um die Versorgung flächendeckend sicherzustellen“, lautet ein weiteres Vorhaben der künftigen Regierung. Diesbezüglich solle auch die Gematik zu einer „modernen Agentur“ weiterentwickelt werden, um die Akteure im Bereich Digitalisierung besser zu vernetzen.
Klinikreform wird modifiziert
Die Klinikreform soll an einigen Stellen modifiziert werden. Die Zuweisung der Leistungsgruppen soll erst zum 1. Januar 2027 und nicht wie im Gesetz vorgesehen zum 31. Oktober 2026 erfolgen. Den Ländern sollen zur Sicherstellung der Grund- und Notfallversorgung besonders im ländlichen Raum Ausnahmen und erweiterte Kooperationen gewährt werden. Die Definition der Fachkrankenhäuser soll überarbeitet werden, um für Länder „relevante Fachkliniken“ zu erhalten.
Große Pflegereform geplant
„Die strukturellen langfristigen Herausforderungen werden wir mit einer großen Pflegereform angehen“, kündigen Union und SPD im Koalitionsvertrag an. Die Grundlagen der Reform soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeiten und die Ergebnisse noch 2025 vorlegen. Zum Arbeitsauftrag der Kommission gehört insbesondere die Prüfung des Leistungsumfangs der Pflegeversicherung. Außerdem will die künftige Koalition Gesetze zur Pflegekompetenz, Pflegeassistenz und zur Einführung der „Advanced Practice Nurse“ auf den Weg bringen.
Gesundheitswirtschaft wird Leitwirtschaft
Die industrielle Gesundheitswirtschaft – insbesondere die pharmazeutische Industrie und Medizintechnik – wollen Union und SPD als „Leitwirtschaft“ stärken. Steigenden Kosten für patentgeschützte Arzneimittel will die voraussichtlich nächste Bundesregierung mit einer Weiterentwicklung des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (AMNOG) begegnen. Das solle insbesondere die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) eingeführten Leitplanken und die personalisierte Medizin betreffen.
„Dabei ermöglichen wir den Zugang zu innovativen Therapien und Arzneien und stellen gleichzeitig eine nachhaltig tragbare Finanzierung sicher“, heißt es im Koalitionsvertrag. Pharmadialog und Pharmastrategie sollen fortgesetzt werden.