US-Studie zu Per- und Polyfluoralkylsubstanzen

Ewige Chemikalien im Trinkwasser erhöhen das Mundkrebsrisiko

Forschende haben einen Zusammenhang zwischen der Konzentration künstlicher „ewiger Chemikalien“ im Trinkwasser und der Häufigkeit bestimmter Erkrankungen des Verdauungstrakts, des Hormonsystems, der Atemwege sowie des Mund- und Rachenraums festgestellt.

Wenn das Trinkwasser mit Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) verunreinigt ist, treten bestimmte Krebsarten bis zu 33 Prozent häufiger auf. Das zeigt eine Studie der Keck School of Medicine der University of Southern California. Die Studie, die von den National Institutes of Health finanziert wurde, ist die erste, die den Zusammenhang zwischen Krebs und einer PFAS-Kontamination des Trinkwassers in den USA untersucht hat.

Wirtschaftsministerium übernimmt Argumente der Chemielobby

Auch in Europa soll der Einsatz von PFAS, eingeschränkt werden. Die Industrie wehrt sich gegen diese Regulierungspläne jedoch mit enormer Lobbyarbeit. Internationalen Recherchen des sogenannten Forever Lobbying Projects zufolge hat das dazu geführt, dass selbst das deutsche Wirtschaftsministerium mittlerweile nachweislich falsche oder irreführende Informationen von der Industrie übernahm und weiterverbreitete. Die Berichte stützen sich auf die Ergebnisse einer Zusammenarbeit von Redaktionen aus 16 Ländern, an der auch NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung und die deutsche Ausgabe der MIT Technology Review beteiligt waren. Das Team hat nach eigenen Angaben Tausende Dokumente geprüft, rund 200 Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz gestellt und mit zahlreichen Insidern und Experten gesprochen.

Das Absurde: Im Januar 2023 hatte Deutschland gemeinsam mit Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden bei der EU-Chemikalienagentur ECHA den Vorschlag eingereicht, PFAS in der EU zu verbieten (zm berichtete). Das Verfahren läuft noch, eine Entscheidung wird für 2025 erwartet – etwa 60 Jahre nachdem der Hersteller DuPont entdeckt hatte, dass die Stoffe bei Ratten die Leber vergrößern und sich im Blut der Mitarbeitenden anreichern.

Den Berichten zufolge ist jedoch unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einem PFAS-Verbot kommt. Die Industrie reichte Tausende Schreiben bei der ECHA ein, insgesamt fast 70.000 Seiten. Als zentrales Argument verweist die Chemielobby auf eine angebliche Unbedenklichkeitsbewertung durch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Allerdings erklärte die OECD den Redakteuren auf Anfrage, sie habe „keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt“. Auf der Website der Organisation heißt es zudem: „Es besteht keine Einigkeit darüber, dass Fluorpolymere wenig besorgniserregend sind.“ Weiteres Argument der Industrievertreter seien zwei wissenschaftliche Publikationen, schreibt das Forever Lobbying Project. Diese legten dar, dass Fluorpolymere angeblich zu groß seien, um Schäden in menschlichen Zellen zu verursachen. Der Haken: Die Autoren beider Publikationen waren entweder direkt bei der Industrie angestellt oder von ihr bezahlte Berater.

Die Stoffgruppe der PFAS umfasst etwa 10.000 Substanzen. Selbst wenn zeitnah alle PFAS verboten werden, würden sie so schnell nicht aus der Umwelt verschwinden, weil sie schwer bis kaum biologisch abbaubar sind und sich daher stetig in der Umwelt anreichern – in Böden, in Flüssen und im Meer. Über Nahrungsmittel, Trinkwasser oder die Luft gelangen sie in den menschlichen Körper. Studien zeigen, dass nahezu bei allen Menschen rund um den Globus PFAS im Blut nachweisbar sind.

PFAS, die weitverbreitet in den verschiedensten Produkten zum Einsatz kommen – vom Löschschaum bei der Feuerwehr über Medizinprodukte, Outdoor-Kleidung, Kosmetik bis hin zu Konsumgütern wie Möbeln und Lebensmittelverpackungen – wurden in etwa 45 Prozent der Trinkwasservorräte in den Vereinigten Staaten gefunden.

Frühere Untersuchungen haben diese Chemikalien, die sich nur langsam abbauen und im Laufe der Zeit im Körper ansammeln, mit einer Reihe von Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht, darunter Nieren-, Brust- und Hodenkrebs (zm berichtete). Um nun ein umfassenderes Bild von PFAS und dem Krebsrisiko zu zeichnen, führten die Forschenden eine ökologische Studie durch, bei der große Datensätze auf Bevölkerungsebene verwendet werden, um Expositionsmuster und damit verbundene Risiken zu ermitteln.

Für 6.800 Krebsfälle im Jahr verantwortlich

Dabei fanden sie heraus, dass zwischen 2016 und 2021 in Bezirken in den USA mit PFAS-kontaminiertem Trinkwasser bestimmte Krebsarten häufiger auftraten, wobei die Häufigkeit nach Alter und Geschlecht variierte. Insgesamt tragen PFAS im Trinkwasser Schätzungen zufolge zu mehr als 6.800 Krebsfällen pro Jahr bei, basierend auf den neuesten Daten der US-Umweltschutzbehörde (EPA).

„Diese Ergebnisse erlauben es uns, eine erste Schlussfolgerung über den Zusammenhang zwischen bestimmten seltenen Krebsarten und PFAS zu ziehen“, sagte Erstautor Dr. Shiwen Li. „Dies legt nahe, dass es sich lohnt, jeden dieser Zusammenhänge individueller und genauer zu erforschen."

Die Studie liefere nicht nur einen Fahrplan für die Forschung, sondern unterstreiche auch die Bedeutung der Regulierung von PFAS, betonen die Wissenschaftler. Ab 2029 werde die EPA den Gehalt von sechs Arten von PFAS im Trinkwasser kontrollieren.

Um zu verstehen, wie die PFAS-Kontamination mit der Krebsinzidenz zusammenhängt, verglichen die Forscher zwei umfassende Datensätze: einen, der alle gemeldeten Krebsfälle abdeckt, und einen, der alle Daten zu PFAS im Trinkwasser im ganzen Land enthält. Die Daten zu Krebsfällen zwischen 2016 und 2021 stammten aus dem Surveillance, Epidemiology and End Results Program des National Cancer Institute, während die Daten zu PFAS-Gehalten im öffentlichen Trinkwasser (2013–2024) aus den Unregulated Contaminant Monitoring Rule-Programmen der EPA stammen.

Li und seine Kollegen kontrollierten eine Reihe von Faktoren, die das Krebsrisiko beeinflussen könnten. Auf individueller Ebene zählten dazu Alter und Geschlecht; auf Landkreisebene schlossen sie Veränderungen der Krebsinzidenz aufgrund des sozioökonomischen Status, der Raucherquote, der Adipositasprävalenz, der Urbanität und des Vorhandenseins anderer Schadstoffe aus.

Jenseits der Grenzwerte steigen die Krebsraten

Anschließend verglichen die Forscher die Krebshäufigkeit in den einzelnen Bezirken mit der PFAS-Kontamination des Trinkwassers, wobei sie die von der EPA empfohlenen Grenzwerte für jede Art von PFAS zugrunde legten. In den Bezirken, in denen das Trinkwasser die empfohlenen Höchstwerte für PFAS überschritt, traten häufiger Krebserkrankungen des Verdauungs- und Hormonsystems, der Atemwege sowie des Mund- und Rachenraums auf. Der Anstieg der Inzidenz reichte von einem leicht erhöhten Wert von 2 Prozent bis zu einem stark erhöhten Wert von 33 Prozent bei Mund- und Rachenkrebs in Verbindung mit Perfluorbutansulfonsäure, kurz PFBS.

Männer in Bezirken mit verunreinigtem Trinkwasser erkrankten häufiger an Leukämie sowie an Krebserkrankungen der Harnwege, des Gehirns und der Weichteile als Männer, die in Gebieten mit nicht verunreinigtem Wasser leben. Bei Frauen traten häufiger Schilddrüsenkrebs, Krebs im Mund- und Rachenraum sowie Weichteilkrebs auf. Auf der Grundlage der neuesten verfügbaren EPA-Daten schätzen die Forscher, dass die PFAS-Kontamination des Trinkwassers zu 6.864 Krebsfällen pro Jahr beiträgt.

„Wenn die Leute hören, dass PFAS mit Krebs in Verbindung gebracht werden, ist es für sie schwer zu erkennen, inwiefern dies relevant ist. Indem wir die Zahl der zurechenbaren Krebsfälle berechnen, können wir abschätzen, wie viele Menschen betroffen sein könnten“, erklärt Li. „Und wir können auch den persönlichen und finanziellen Tribut ableiten, den diese Fälle Jahr für Jahr fordern.“

Nun seien Studien auf individueller Ebene erforderlich, um festzustellen, ob der Zusammenhang kausal ist und welche biologischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Insgesamt ergänzen die Ergebnisse den Wissenschaftlern zufolge die Hinweise darauf, dass die PFAS-Werte begrenzt werden sollten. „Bestimmte PFAS, die weniger untersucht wurden, müssen stärker überwacht werden, und die Regulierungsbehörden müssen über andere PFAS nachdenken, die vielleicht noch nicht streng reguliert sind."

Li, S., Oliva, P., Zhang, L. et al.: Associations between per-and polyfluoroalkyl substances (PFAS) and county-level cancer incidence between 2016 and 2021 and incident cancer burden attributable to PFAS in drinking water in the United States. J Expo Sci Environ Epidemiol (2025). https://doi.org/10.1038/s41370-024-00742-2

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