Expert Debriefing

Den Erfahrungsschatz sichern

Wer viele Jahre bei demselben Arbeitgeber arbeitet, häuft oft einen riesigen Erfahrungsschatz an – meist, ohne sich selbst darüber bewusst zu sein. Mit einem „Expert Debriefing“ können Chefs versuchen, das Wissen scheidender Kolleginnen und Kollegen für das restliche Team zu bewahren.

Vier von zehn Beschäftigten über 25 Jahre arbeiten nach Angaben des Statistischen Bundesamts schon seit mindestens zehn Jahren in ihrer aktuellen Anstellung. In diesem Zeitraum spielen sich Routinen ein, die für effiziente Abläufe sorgen. Für den zahnärztlichen Bereich kann Trainerin Dr. Susanne Woitzik das bestätigen: „Erfahrene ZFA wissen, wie sie die Praxis auf einen möglichst stressfreien Tag vorbereiten und wo sich Zeit sparen lässt. Sie wissen über die medizinischen Besonderheiten einzelner Patientinnen und Patienten genau Bescheid und können den Behandlungsraum entsprechend vorbereiten.“

Und natürlich greifen sie sofort zum richtigen Formular, und wenn der Steri im laufenden Betrieb ausfällt, unternehmen sie auch sofort die notwendigen Schritte, um den Betrieb bis zur Reparatur des Geräts aufrechtzuerhalten. „Diese Zeitmanagement-Tricks sind dem restlichen Team – insbesondere neuen Mitarbeitenden – oft unbekannt“, so Woitzik.

Unbewusstes in Worte fassen

Der Fortgang langjähriger Teammitglieder kann den organisatorischen Ablauf einer Praxis stören, erklärt die Trainerin, die schon viele Jahre zahnärztliche Praxen betreut. Das zu verhindern, indem man ihre Kenntnisse rechtzeitig dokumentiert und so nutzbar macht, ist Ziel eines Expert Debriefings. Wörtlich aus dem Englischen übersetzt bedeutet der Begriff „Debriefing“ so viel wie Nachbesprechung. 

Im Arbeitskontext ist mit Debriefing auch die Einarbeitung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers gemeint. Das sei leichter gesagt als getan, betont Woitzik, denn bei vielen Kenntnissen handele es sich um nirgendwo niedergeschriebenes, individuell abgespeichertes Wissen. Hinzu kommt, dass sich die Mitarbeitenden über den Wert ihrer Erfahrungswerte nicht in vollem Umfang bewusst sind. „Das liegt zum Beispiel daran, dass die täglichen Arbeitsabläufe stark intuitiv und quasi automatisiert angewendet werden. Aber: Was für langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach und offensichtlich erscheint, ist für Neueinsteiger möglicherweise kompliziert und undurchsichtig.“ Für das Expert Debriefing unterscheidet Woitzik zwischen Prozesswissen und implizitem Wissen:

  • Prozesswissen bezieht sich auf die Kenntnis standardisierter Abläufe, wie sie etwa in Protokollen, Handbüchern oder Checklisten beschrieben sind. Es umfasst strukturiert alle Schritte, die notwendig sind, um eine Aufgabe erfolgreich zu erledigen. Dieses Wissen ist im Qualitätsmanagement einer Praxis explizit dokumentiert und leicht vermittelbar, weil es auf klaren Regeln und Anweisungen basiert. Mitarbeitende, die über Prozesswissen verfügen, können bei hoher Patientenfrequenz die Termine so koordinieren, dass Wartezeiten minimiert und Notfallpatienten dennoch integriert werden können. Sie wissen, wie man Abrechnungsfehler vermeidet und saisonale Schwankungen in der Materialnutzung einplant.

  • Implizites Wissen ist oft das Ergebnis langjähriger Routine und entwickelt sich durch „Learning by doing“. Die Mitarbeitenden merken oft selbst nicht, dass sie über dieses Wissen verfügen – bis sie darauf angesprochen werden. Da es nicht auf standardisierten Schritten basiert und stark situationsabhängig ist, lässt sich diese Art Know-how nur schwer in Checklisten übertragen. Ein Beispiel ist das Gespür langjähriger Mitarbeitender für die Bedürfnisse und Ängste von Patientinnen und Patienten. Dieses Verständnis geht über erlernbare Kommunikationstechniken hinaus.

Prozesswissen und implizites Wissen ergänzen sich und tragen beide zu Effizienz und Qualität bei – das Prozesswissen, indem es für eine reibungslose Abwicklung im Alltag sorgt und für alle im Team greifbar ist. „Implizites Wissen hingegen sorgt bei Herausforderungen, die vom Standard abweichen, für flexible Lösungen“, unterscheidet Woitzik. „Mitarbeitende, die über implizites Wissen verfügen, können schnell und sicher auf unerwartete Situationen reagieren, da sie aus einem großen Erfahrungsschatz schöpfen. Dieses Wissen sichert also auch unter herausfordernden Bedingungen eine hohe Servicequalität und erhält das Vertrauen der Patientinnen und Patienten.“

Abläufe definieren

Coachin Woitzik schlägt für das Expert Debriefing folgenden Ablauf vor:

1. Vorbereitung: In dieser Phase werden die Befragungsschwerpunkte geklärt. Als Themen kommen Praxisorganisation, Patientenmanagement, Teamführung, Zusammenarbeit mit der Praxisleitung und externen Kontaktpersonen oder besondere Herausforderungen, die bewältigt wurden, infrage. In den Debriefings, die Woitzik in der Vergangenheit geleitet hat, lag der Fokus beispielsweise auf dem Termin-, Notfall- und Engpassmanagement.

2. Expert Debriefing: Im Gespräch mit den scheidenden Mitarbeitenden werden die festgelegten Inhalte adressiert und durch gezielte Fragen zutage gefördert. Mögliche Fragen, mit denen sich vor allem das individuell gespeicherte Wissen herauskitzeln lässt, sind zum Beispiel: „Wie stellen Sie sicher, dass das Terminmanagement der Praxis sowohl lang- als auch kurzfristig betriebswirtschaftlich ausgewogen ist?“ oder „Welche ‚unsichtbaren Zeitfresser‘ in der Terminplanung haben Sie über die Jahre identifiziert, die das Honorarvolumen senken?“

„So habe ich bei einem Debriefing mit der Frage ‚Wie stellen Sie sicher, dass aufwendige Termine priorisiert werden können?‘ herausgefunden, dass die langjährige Praxismanagerin eine sehr effektive Methode zur Steuerung angewendet hat", erzählt Woitzik. „Sie erklärte, dass sie bei der Planung der Termine darauf achtet, die verfügbaren Zeiten im Praxisablauf bestmöglich zu nutzen und Zeitfenster für Behandlungen, die mit einem hohen Zeitaufwand verbunden sind, im Terminkalender geblockt hat. Sollten sie eine Woche vor dem Termin noch nicht vergeben sein, werden sie für alle Behandlungen freigeschaltet. Darüber hinaus kombiniert sie längere Behandlungen, etwa Kronen oder Implantate, mit kürzeren Routinebehandlungen wie Kontrolluntersuchungen.

Diese Kombination sorgt dafür, dass der Tag effizient genutzt wird. Das ermöglicht auch, flexibel auf Änderungen im Zeitplan reagieren zu können. Wenn etwa eine aufwendige Behandlung abgesagt wird oder sich verzögert, bekommen die behandelnden Zahnärztinnen, Zahnärzte und deren Assistenzen über das PVS einen Hinweis, dass sie bei den parallel einbestellten Kontrolluntersuchungen Zeitpuffer haben und eventuell notwendige Behandlungen gleich mit durchführen können. Damit können Honorarausfälle für den Tag weitgehend kompensiert werden. In dem Debriefing wurde für mich ganz deutlich, dass im Termin-Tetris ein tiefes Verständnis für die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge in der Praxis steckt – ein Wissen, das somit gesichert war und weitergegeben werden konnte.“

3. Dokumentation: Das erfasste Wissenwird in eine nach Schlagwörtern durchsuchbare Wissensdatei überführt. Sie kann Checklisten, Prozessbeschreibungen, Entscheidungsbäume, einen Katalog mit Best-Practice-Beispielen sowie eine FAQ-Liste enthalten. Auch Videoaufzeichnungen von Arbeitsabläufen oder Gesprächssituationen können hilfreich sein. Wichtig ist, dass das gesamte Team darauf Zugriff bekommt.

4. Training: Das im Expert Debriefing gesammelte Wissen wird in Übungssituationen mit dem Team trainiert. Idealerweise nimmt daran auch die Person teil, die die Praxis bald verlässt.

Hürden beiseite schaffen

Ein Debriefing kann man nicht übers Knie brechen. Nach Möglichkeit sollte man damit früh beginnen, rät Woitzik. Idealerweise direkt wenn eine Kündigung bekannt wird oder sich abzeichnet, dass jemand aus Altersgründen die Praxis verlassen wird. Für die Befragung sollten feste Zeiten festgelegt werden, in denen die scheidende Person freigestellt ist. Auch das sollte man laut Woitzik einkalkulieren: Das Debriefing kann am emotionalen Widerstand scheitern. „Langjährige Mitarbeitende können sich manchmal nur schwer von der Praxis trennen und versuchen daher, diesem unangenehmen Thema aus dem Weg zu gehen“, berichtet sie und spricht noch ein weiteres Hindernis an: „Manchmal vertreten die ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen auch die Haltung, dass die Neuen sich ihr Wissen – genau wie sie damals – sukzessive selbst erschließen müssen.“

Diese Hürden kann man versuchen aus dem Weg zu räumen, indem man den Prozess als das bezeichnet, was er im Grunde ist: eine Anerkennung für das Geleistete. „Wenn das klargestellt wird, öffnen sich viele Mitarbeitende mit anfänglichem Widerstand. Sie finden Freude daran zu reflektieren, was sie geleistet haben, und empfinden das Debriefing als wertschätzenden Abschluss ihrer Tätigkeit“, erklärt Woitzik. „Das Weitergeben von Wissen vermittelt Sinn und zeigt den scheidenden Kolleginnen und Kollegen, dass sie selbst im Abschied eine essenzielle Team-Rolle innehaben.“

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