Mängel bei Antibiotikaverschreibungen in deutschen Krankenhäusern
„Unsere Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Bedarf an nachhaltigen Antibiotikaprogrammen und Fachärztinnen und Fachärzte für Infektiologie, um die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Siegbert Rieg. „Nur so können wir langfristig Resistenzen vorbeugen und die Behandlungsqualität steigern.“
Etwa ein Drittel der untersuchten Patientinnen und Patienten erhielt mindestens ein Antibiotikum, meist zur Therapie, in selteneren Fällen zur Prävention. Es zeigte sich insgesamt eine große Streuung der Verordnungsqualität, auf alle Verordnungen bezogen waren jedoch ein Viertel der Therapien nicht adäquat, bei ungefähr der Hälfte der Fälle wäre der Einsatz eines Antibiotikums mit schmalerem Wirkspektrum möglich gewesen, schreiben die Forschenden. Weitere Qualitätsindikatoren wie die rechtzeitige Dokumentation der Behandlungsdauer oder die Überprüfung der Antibiotikatherapie nach zwei bis drei Tagen wurden nur in etwa einem Drittel der Fälle erfüllt. Auch die Umstellung von intravenösen auf orale Antibiotika fand nur in etwa der Hälfte der Fälle statt, bei denen das eigentlich sinnvoll gewesen wäre.
Beobachtete Praxis trägt zur Entstehung von Resistenzen bei
Kritisch ist zudem, dass nur in 45 Prozent der Fälle eine Blutkulturanalyse und bei etwa 60 Prozent der Fälle ausreichende mikrobiologische Proben vor Beginn der Antibiotikatherapie entnommen wurden, obwohl diese Untersuchungen wesentliche Erkenntnisse zur Therapiesteuerung liefern. „Neben optimierungsbedürftiger Antibiotika-Auswahl beeinträchtigen fehlende Diagnostik und mangelhafte Dokumentation die Qualität der Versorgung erheblich. Diese Defizite gefährden nicht nur die Wirksamkeit der Behandlung, sondern tragen auch zur Entstehung von Resistenzen bei“, betont Rieg.
Die Studie hebt den Bedarf an strukturierten Programmen hervor, die für eine sachgemäße Verschreibung und Anwendung von Antibiotika sorgen. „Solche Antimicrobial Stewardship-Programme könnten erheblich dazu beitragen, unnötige Antibiotikatherapien zu reduzieren und die Qualität der Behandlungen zu erhöhen“, erklärt Rieg. Derzeit fehlen jedoch solche Programme und spezialisiertes Fachpersonal in Form von Fachärztinnen und Fachärzten für Innere Medizin und Infektiologie in den meisten nicht-universitären Krankenhäusern.
Deutschland zeigt Nachholbedarf
„Mit dem Wissen, das seit mehr als 15 Jahren an unserer Klinik zu Antibiotic Stewardship und zum infektiologischen Konsiliarservice aufgebaut wurde, können wir anderen Krankenhäusern eine wichtige Unterstützung bieten. Dass diese erforderlich ist, zeigen unsere Befunde“, sagt Prof. Dr. Robert Thimme, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Freiburg.
„Ein flächendeckender Einsatz von Antimicrobial Stewardship und die breite Verfügbarkeit spezialisierter Infektiologinnen und Infektiologen sind entscheidende Maßnahmen, um die Versorgungsqualität zu verbessern. Deutschland hat hier Nachholbedarf“, so Rieg. Weitere Untersuchungen sollen nun im Rahmen der ID-Roll-out-Studie zeigen, wie die Einführung von AMS-Programmen genau strukturiert sein sollte und wie viel spezialisiertes Personal erforderlich ist, um den größtmöglichen Effekt auf die Qualität der Antibiotikatherapie in nicht-universitären Krankenhäusern zu erzielen.
Die Studie wurde als Kooperationsprojekt von der Abteilung Infektiologie, Klink für Innere Medizin II, und der Sektion Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA) des Universitätsklinikums Freiburg sowie der AOK Baden-Württemberg und zehn nicht-universitären Krankenhäusern durchgeführt. Die Förderung erfolgte im Rahmen der Ausschreibungen des GBA-Innovationsfonds.
Vom 18. bis 24. November ist die Weltwoche für den verantwortungsvollen Gebrauch von Antibiotika (WAAW), mit der die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf das globale Problem von Antibiotikaresistenzen hinweist.
Först Gesche, Giesen Roland, Fink Geertje et al., An in-depth analysis of antimicrobial prescription quality in 10 non-university hospitals, in southwest Germany, 2021. Euro Surveill. 2024;29(46):pii=2400156. https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2024.29.46.2400156